time to say goodbye

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"Freust du dich auf die Schule, Lucy?", fragte mein Dad. Wir saßen in seiner Küche beim Frühstück. Ich spielte mit meinem Löffel in den Cornflakes umher. "Geht so", antwortete ich schultern zuckend. "Du klingst ja nicht so begeistert. Ist vor den Sommerferien irgendwas passiert?" Dad sah mich besorgt an. Seine Lesebrille saß auf seinem Kopf, in seinen unordentlichen dunklen Haaren und seine braunen Augen strahlten eine gewisse Fürsorglichkeit aus. Ich seufzte lächelnd. "Nein, alles gut in Hogwarts." Er nickte und wandte sich wieder seiner Zeitung zu. Ich löffelte meine Cornflakes weiter aus. Ich hatte gelogen, denn es war tatsächlich etwas passiert. Ich hatte mich zum ersten Mal richtig verliebt. In ein Mädchen. Sie hieß Minna und war ein Jahr älter als ich, aber ich war ihr Hals über Kopf verfallen. Am vorletzten Tag vor den Sommerferien hatte ich sie sogar geküsst. Aber sie hatte mich weg geschubst und angeschrien. Mittlerweile bin ich nicht mehr in sie verliebt, aber es ließ mir trotzdem keine Ruhe. Was, wenn andere Mädchen auch so reagieren würden, wenn ich mich in sie verlieben würde? Ich war erst fünfzehn Jahre alt, ich hatte mein ganzes Leben noch vor mir. Aber was wäre, wenn sich das trotzdem nie ändern würde? "Hast du meine Lesebrille gesehen, Schatz?", fragte Dad. Ich lachte und nahm sie von seinem Kopf. Er stimmte in mein Lachen mit ein und setzte sich die schmale Brille kopfschüttelnd auf. Ich sprang aus dem Korbsessel auf, in dem ich saß. "Ich mache mich dann mal fertig. Mum kommt ja schon in... äh...", ich warf einen Blick auf die Uhr, „ zwei Stunden." Er nickte und nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse. "Mach das, Lucy!" Ich stieg die steilen, knarzenden Treppen hoch. Obwohl es noch Vormittag war, schien die Sonne bereits durch die Dachfenster in mein Zimmer und ich spürte, wie es begann, unangenehm stickig und schwül zu werden. Das Fenster musste ich nachts offen lassen, um überhaupt noch Luft zu bekommen, was mir einige schöne Mückenstiche an Armen und Beinen eingebracht hatte, sowieso einen besonders großen direkt am Hals.

Meine Eltern waren geschieden und das schon seit einer langen Zeit. In den Sommerferien wohnte ich bei meinem Vater und die restlichen Ferien verbrachte ich bei meiner Mum. Die sonstige Zeit war ich ja eh in Hogwarts. Es war ein ziemlicher Unterschied, wo ich gerade lebte. Mein Vater hatte ein etwas abgelegenes Häuschen in Dover, an der Küste und meine Mutter bewohnte ein geräumiges Apartment mitten in Birmingham, Englands zweitgrößter Stadt. Ich fühlte mich bei beiden zuhause, aber Dad's Haus hatte ein wenig mehr Charme. Mit Mum war ich bereits ein paar Mal innerhalb Birmingham umgezogen und wir hatten unser jetziges Apartment erst seit knapp drei Jahren. In dem Haus, in dem Dad jetzt lebte, hatten wir schon immer gewohnt, auch als meine Eltern noch verheiratet waren. Es war ein Hochzeitsgeschenk von Dad's Großonkel gewesen, der mittlerweile aber auch nicht mehr lebte. Er hatte viel Geld und viele leerstehende Häuser gehabt und dachte sich wohl "Hey, das könnte ich ja auch meinem Lieblings-Neffen schenken."

Mein Zimmer war klein und durch die Dachschräge noch enger, aber es war heimelig, vor allem in den kälteren Monaten war es hier sehr gemütlich. Leider war ich in den kälteren Monaten ja nicht hier, sondern entweder im Internat oder bei Mum. Man kann ja nicht alles haben! Ich kramte die Klamotten, die ich über die Ferien im Zimmer verstreut hatte, zusammen und stopfte sie in meine Tasche. Das meiste davon konnte ich gar nicht mehr anziehen und ich nahm mir vor, das morgen am letzten Tag bei Mum alles in die Wäsche zu schmeißen. Meine kurze Hose ging noch und das eine Top konnte ich auch noch tragen, also packte ich die nicht ein. Nachdem das Zimmer zwar immer noch rumplig aussah, aber dafür nicht mehr meine eigenen Sachen enthielt, ging ich die Treppen hinunter ins Badezimmer. Die Küche war leer und ich sah, dass Dad schon auf der Terrasse saß, den Laptop auf dem Schoß. Er war ein Autor, aber seit seinem Bestseller vor sechs Jahren hatte er kein wirklich gut verkauftes Buch mehr heraus gebracht. Er übersetzte mittlerweile italienische Bücher ins Englische, versuchte nebenbei aber trotzdem ein neues Buch zu schreiben. Ich half ihm gelegentlich dabei. Ich tapste ins Bad und drehte die Dusche auf. Das Wasser war zwar warm, aber unglaublich erfrischend. Ich wollte gar nicht mehr unter dem Wasserstrahl hervor kommen, aber irgendwann wusste ich nicht mehr, wie viel Zeit vergangen war und ich bekam Panik, dass Mum gleich schon da sein könnte, also stieg ich aus der Kabine und trocknete mich ab. Ich merkte, dass ich doch noch fast über eine Stunde hatte. Als ich meine Klamotten über gezogen hatte, ging ich nach draußen zu Dad und setzte mich neben ihn. Ich erkannte, dass er nur einen Tab mit Text offen hatte, was bedeutete, dass er an seiner eigenen Geschichte arbeitete und nichts übersetzte. "Soll Hamish jetzt schon von der Affäre mitbekommen, oder nicht?", fragte er mich. Ich legte meine Beine auf den Tisch vor mir und überlegte.  "Ist Aubrey denn schon zurück aus Texas?" Er schüttelte den Kopf. "Nein, Olive hat ja gedroht sich wegen dem Tod ihres Sohnes umzubringen." Ich sah meinen Vater verwirrt an. "Aber was hat das mit Aubrey zu tun?" Er fuhr sich mit den Händen über die Stirn. "Das ist so kompliziert... also es war ja sowieso schon klar, dass Aubrey mit sechzehn Jahren ein Kind hatte, das sie dann in eine Babyklappe gesteckt hat, bevor sie aus Texas abgehauen ist." Ich nickte, denn daran konnte ich mich noch erinnern. "Warte, warte!", rief ich," dann war dieser Sohn von Olive das, oder wie?" Er schüttelte den Kopf. "Nein! Olive selber ist Aubreys Tochter." "Passt das denn vom Alter her?", hinterfragte ich die familiären Verstrickungen. "Ja, ich hab das ausgerechnet. Ich glaube, du vergisst nur manchmal, dass Aubrey über fünfzig ist." Ich klatschte mir mit der Handfläche an die Stirn. "Stimmt, ich denke immer sie ist erst Anfang dreißig oder so." Dad lächelte. "Dann würde das von der Sache mit Olive und Aubrey ablenken, wenn Hamish die Affären-Sache da schon herausfindet." Dad nickte nachdenklich. "Stimmt auch wieder..." Er begann, zu tippen, während ich die Augen zu machte und die Sonne auf meiner Haut genoss. Das ging eine ganze Weile so, bis das Gekreische der Kinder immer lauter wurde und ich meine Augen langsam wieder öffnete. Ich sah wie Deedee den kleinen Hügel mit ihren beiden Neffen hinauf stapfte. Ich winkte ihr zu und sie lächelte und winkte zurück. Ich stupste Dad an, der zu sehr in sein Schreiben vertieft war. "Hm, was?", fragte er erschrocken. Ich deutete auf die Drei, die schon fast bei uns angekommen waren und auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. Er und Deedee waren jetzt schon seit knapp zwei Jahren zusammen und ich kannte niemanden, der besser zusammen passte. Sie hatte dunkelrot gefärbte Locken und ein breites, freundliches Lächeln. Ihr älterer Neffe Finn kam auf uns zu gerannt und fiel Dad um den Hals. "Hallo, Großer! Na, wie geht's dir?", sagte er lachend und strich ihm über den Rücken. Er kletterte auf den Schoß meines Dad's, welcher schnell den Laptop wegnahm, und breitete seine Arme aus. "Sooooo gut geht's mir", rief er, als Deedee keuchend ankam. "Hallo, Schatz", begrüßte sie Dad und gab ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen. Währenddessen stand ich auf und nahm ihr ihren acht Monate alten Neffen Evin ab. "Hallo, Lucy. Dankeschön", sagte sie, immer noch vollkommen außer Atem. Babys mochten mich, so auch Evin, der sofort begann an meinen Haaren zu spielen. "Finn? Möchtest du Lucy nicht etwas geben?", fragte Deedee und beugte sich zu ihrem Neffen. Er kletterte von Dad's Schoß zurück auf den Boden und hielt mir eine Karte und eine Schachtel mit Süßigkeiten hin. Dad nahm mir den Kleinen ab, während Deedee sich neben ihn auf die Bank setzte. Ich nahm beides entgegen und bedankte mich bei Finn und Deedee. In der Karte stand, dass sie sich auf den nächsten Sommer mit mir freuen würden und dass sie mir viel Spaß im Internat wünschten. Da Dad ein Muggel war, wohnte er auch in solch einer Gegend. Er hatte Deedee nie erklärt, dass seine Tochter eine Hexe war, ebenso wie ihre Mutter, aber das musste er für sich selbst entscheiden. Mir war es egal, ob sie Bescheid wusste, so lange wir nicht mit dem Gesetz in Schwierigkeiten gerieten, wenn sie es weiter erzählte. Ich wusste nicht wirklich, ob man ihr das zu trauen könnte, aber ich kannte sie ja auch erst seit zwei Sommern. Und im ersten Sommer waren sie und Dad erst seit ein paar Wochen zusammen.

Eine halbe Stunde später klingelte Mum an der Tür. "Ich mach auf", rief ich und rannte ins Haus. Ich riss die Tür auf und Mum umarmte mich. "Hallo, Lucy-Liebling", sagte sie und ich schlang meine Arme um sie. "Hi, Mum", antwortete ich und lächelte. Als wir uns lösten, strich sie mir über die Wange. "Hast du alles gepackt?", fragte sie und ich nickte. Mir fiel auf, wie nass ihr Mantel war und ich senkte meine Stimme. "Bist du appariert?", fragte ich und zog die Augenbrauen zusammen. "Ja, natürlich. Glaubst du ich fahre hier fünf Stunden mit Umsteigen her?" Ich verdrehte die Augen. Durch meinen Dad dachte ich wie ein Muggel. Ich hatte nicht mal meine magischen Sachen mit hier her gebracht, sondern sie bei Mum gelassen. Nur bei den Hausaufgaben war ich gezwungen, sie mitzunehmen. Die machte ich aber auch in den ersten paar Tagen fertig und verbannte die dicken Wälzer und das Pergament in die hinterste Ecke meines Zimmers. "Zieh wenigstens den Mantel aus, hier scheint den ganzen Tag schon die Sonne. Außerdem ist Deedee hier", raunte ich und sie zog ihn seufzend aus. Mum kannte Deedee ein wenig. Sie hatten sich mal getroffen, als ich in der Schule war. Ich ging zurück auf die Terrasse, gefolgt von meiner Mutter. "Mum ist hier", verkündete ich. "Hallo, Sophie", begrüßte Dad seine Ex-Ehefrau. "Hi Matt, Hey Deedee." Mum lehnte sich im Türrahmen an und verschränkte die Arme. Diese zu cool für alles-Attitüde hatte sie von meinen Großeltern übernommen und ich wusste nie, was ich davon halten sollte. Manchmal war es mir unglaublich peinlich, aber in anderen Situationen war ich sehr stolz, dass Kind meiner Mutter zu sein. Zum Beispiel wenn irgendwelche Typen in der Stadt uns hinterher riefen und sie dann irgendeinen sarkastischen Kommentar dazu abgab und ich mich den Rest des Weges kaputt lachte. Mum hatte dunkelbraune Haare, die über die Jahre immer dunkler wurden, einen gebräunten Teint und ein verschmitztes Grinsen. Ihre Augen waren genauso grün wie meine. "Ich hole dann mal schnell meine Sachen runter", sagte ich und ging nach drinnen. "Ich komme mit", brüllte Finn und rannte zu mir. "Willst du nicht lieber bei deiner Tante bleiben und meine Mum ein bisschen kennen lernen?", fragte ich freundlich, als mir einfiel, dass ich Pergament und Tinte noch einpacken musste. Der Sechsjährige schüttelte seinen Kopf und schien nun noch überzeugter mitzukommen. Ich seufzte lautstark und kletterte mit ihm im Schlepptau die Treppen hinauf. Ich ging schnurstracks zu der Ecke meines Zimmers und nahm schnell beide Utensilien. Ich versuchte sie möglichst unauffällig in meine Tasche zu befördern, doch Finn sah das Tintenfass und tippte darauf. "Was ist das?", fragte er neugierig. "Tinte, damit kann man schreiben", erklärte ich rasch und packte das Fass in die Tasche. "Warum nimmst du sowas und nicht einfach einen Kugelschreiber?", fragte er weiter. "Weil ich eben altmodisch bin." Ich lächelte ihm zu und hoffte, dass er mit seinen Fragen aufhören würde. "Was bedeutet das?" "Dass ich alte Sachen mag." Ich verließ das Zimmer wieder, ging die Treppen runter und Finn folgte mir. Sobald wir unten waren, sprintete er auf die Terrasse. "Tante Deedee! Lucy hat gesagt, sie ist altisch", rief er stolz. Evin kicherte, weil es ihn immer freute, wenn sein großer Bruder glücklich war. Finn hatte eine abgeschwächte Form von Autismus, weshalb es für seine Eltern nicht einfach war, ihn groß zu ziehen. Darum passte Deedee auch manchmal auf ihn und Evin auf. Aber egal, das tat jetzt nichts zur Sache. "Lucy hat was gesagt?", fragte Dad lachend. "Ich habe altmodisch gesagt", stellte ich richtig und grinste.

Zum Abschied umarmte ich alle und Dad fuhr uns des Scheines wegen zum Bahnhof. Auf der Hälfte des Weges ließ er uns an einem verlassenen Straßenrand raus. "Danke, Matt", sagte Mum und schenkte ihm ein kurzes Lächeln, bevor sie das Auto verließ. Ich schloss Dad noch ein letztes Mal in die Arme. "Bis nächsten Sommer, Lucy! Wir Face Timen aber, okay?" Ich nickte lächelnd. "Ja, natürlich. Ich rufe dich abends an, wenn ich angekommen bin." Er küsste meine Stirn. "Ich hab dich lieb, Luce." "Ich dich auch lieb, Daddy." Ich stieg aus und ging rüber zu Mum. Wir sahen, wie Dad zurück nach Hause fuhr und es tat ein bisschen weh. Einige Momente später hatte Mum meine Hand ergriffen und wir standen im Wohnzimmer unseres Apartments.

Schimmern deines NebelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt