Draußen wurde es immer kälter. Der Regen überflutete die Außenflächen und ließ matschigen, schlammigen Boden zurück. Luke nahm seine Pflichten unglaublich ernst. Er beriet die Erstklässler, wann immer er konnte und stand bei Fragen stets zur Stelle. Wir entdeckten eine völlig neue, verantwortungsvolle Seite an ihm. Aber mochten wir sie? Nicht wirklich. Ich saß mit Danny, Luke und Stella vor einem der Fenster und sahen dem Regen zu. Er prasselte aufs Dach und gegen die Scheiben, während wir schwiegen. Stella tippte irgendetwas auf ihrem Handy herum. "Hey, hattest du den Bericht schon fertig?" Eine Stimme ließ uns alle herum fahren. Ein kleines, agiles Mädchen mit rabenschwarzen Haaren stand uns die Arme über der Brust verschränkt gegenüber. Poppy Tinsley, die neue Schulsprecherin. "Ja, den hatte ich schon fertig. Warte, ich hol ihn kurz aus meinem Zimmer", rief Luke voller Tatendrang und sprang auf. Ich betrachtete Poppy genauer. Ihre schwarzen Haare rahmten ihr herzförmiges Gesicht in einem Kurzhaarschnitt ein. Der Pony und ihre dunklen, zusammengezogenen Augenbrauen ließen sie irgendwie streng und autoritär wirken. Sie trug ein grünes Sweatshirt und Jeans. Poppy war eine Ravenclaw, obwohl niemand so wirklich wusste, warum. Die meisten Ravenclaws waren entweder schlau, hatten ein schräges Hobby oder beides. Aber Poppy hatte keine guten Noten und seit sie Schulsprecherin wurde, verbreiteten sich Gerüchte, wie sie an den Posten gekommen war. Sie habe Kontakte oder dafür bezahlt, um ihre Stellung zu erhalten. Sie war nicht mal Vertrauensschülerin gewesen und viele zweifelten an ihren Fähigkeiten. Luke erzählte es nicht wirklich, aber zwischen den Zeilen könnte man raushören, dass die meisten Vertrauensschüler versuchten, ihr jegliche Kompetenzen ab zu reden und nur auf Archie's Anweisungen hörten. Luke und Aimee, sowie die Vertrauensschüler aus Hufflepuff, Bea und Muhammad und ein Sechstklässler aus Ravenclaw hatten wohl darüber geredet und fanden es nicht so gut, dass beinahe nur noch Archie den Ton angab. Er nutzte die Situation für sich, aber anderes hätte man nicht erwarten können, die beiden Schulsprecher mochten sich wirklich nicht. Und nun stand sie da und man konnte ihr ansehen, dass sie gestresst war. "Und, ist alles gut? So mit Schulsprecherin sein?", fragte ich und lachte nervös. Fuck! Das war wohl ein bisschen zu auffällig. Sie rang sich ein halbes Lächeln ab. "Ja, alles gut. Und, wie ist es so Fünftklässlerin zu sein? Hab das schon ganz vergessen." Guter Themenwechsel! Stella schaltete sich ein: "Richtig stressig, vor allem weil wir dieses Jahr ja unsere Z.A.Gs haben und besonders aufpassen müssen. Hast du Snapchat?" Sie grinste zufrieden und tippte wieder etwas auf ihrem Handy. "Folg mir mal! Ich heiße da Stellastar. Da dokumentier ich so meinen Alltag." Stella lächelte Poppy an, doch die zuckte nur halb die Schultern. "Ich hab kein Handy." Danny lehnte sich zurück. "Wieso das nicht?", fragte er, ein wenig geschockt. Wie könnte man in dieser Zeit kein Handy haben, selbst als Hexe. Sogar die Reinblüter hatten sich ihre eigenen Smartphones besorgt. "Ist einfach nicht so meins." Mir fiel auf, dass ich noch nie so wirklich mit Poppy geredet hatte. Ich kannte sie vom Hörensagen, einer von Khadijas Brüdern war in ihrem Jahrgang. Aber seit sie dieses Jahr als Schulsprecherin berühmt wurde, hörte man so einiges von ihr. Sie käme aus einer zerbrochenen Familie mit alkoholabhängigen Eltern, hätte schon als kleines Kind eine Geschichte mit Drogen gehabt und ein großes Geheimnis solle auf ihr lasten. Irgendetwas mit gewaltsamen Toden aus der Zeit von Lord Voldemort. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus und ich zog die Ärmel meines Pullovers runter. „Du bist die erste Person, von der ich jemals sowas gehört habe", antwortete Stella und schien sich nicht entscheiden zu können, ob sie beeindruckt oder verwirrt sein sollte. „Wie hält man sowas aus? Also, wie bleibst du mit deinen Freunden in Kontakt oder mit deiner Familie? Ich meine, Muggeltechnologie muss dein Leben doch zumindest ein bisschen beeinflusst haben, oder?" Sie lehnte sich beim Sprechen nach vorne und wartete nun gespannt auf eine Antwort. Poppy verlagerte ihr Gewicht von ein Bein auf das andere. „Unsere Eltern sind auch fabelhaft ohne Smartphones ausgekommen. Es ist tatsächlich möglich, ob ihr glaubt oder nicht." Das Lächeln in ihrem Gesicht war eher sarkastisch und schien ihre Augen nicht zu erreichen. Ein paar Momente voll peinlicher Stille tauchte Luke wieder auf, eine dicke Rolle Pergament in der Hand. „Hier, Poppy! Ich hab die Pläne zu den Rundgängen auf der Rückseite, daneben sind die einzelnen Beschwerden mit Uhrzeit und Datum. Das müsste noch von den Lehrern abgezeichnet werden. Hier vorne sind dann die Fragen der Erstklässler, sowie Beschwerden und Anfragen speziell an Archie und dich." Er machte kurz eine Pause und gab sich alle Mühe, auf den Boden zu schauen. Poppy nickte, während sie sich das Pergament ansah. „Sehr gut gemacht, Luke, wirklich. Das ist gut kategorisiert. Besser als ich es erwartet hätte. Du hast da viel Arbeit reingesteckt, oder?" Er sah auf, sein Gesicht strahlte und er nickte glücklich. „Wenn dir das Spaß macht, kannst du die für die nächste Zeit auch machen." „Ja, von mir aus", meinte er nach einigen Momenten. „Oder soll ich das an die Slytherins weiterleiten?", fragte sie, leicht grinsend. Er grinste ebenfalls und nickte. Danach drehte er sich zu mir und lachte. „Sag das Izzy und Elijah nicht, okay Lucy? Absolut nichts gegen dein Haus, aber die beiden sind so machtgeil. Sie würden alles tun, um solcher Arbeit zu entgehen. Vor allem Izzy will viel lieber irgendwas zu sagen haben." Ich nickte schmunzelnd. „Keine Sorge, ich nehm's nicht persönlich." Poppy verschränkte ihre Arme und lächelte leicht. „Du bist in Slytherin?" Als Antwort nickte ich. „Komisch. Du wirst irgendwie gar nicht so." Ich begann laut zu lachen, Stella kicherte, während Luke und Danny laut aufstöhnten. „War das notwendig?", beschwerte Danny sich, „Ich bin eh schon pleite!" Luke begann in seiner Tasche zu kramen. „Gilt das überhaupt?", fragte er währenddessen. Ich nickte, immer noch laut lachend. „Ja, das zählt definitiv!" Poppy zog verständnislos die Augenbrauen zusammen, mit leicht geöffnetem Mund. „Was?", kam es leise über ihre Lippen. Luke begann zu erklären, während er ein zerknülltes Pergament aus seiner Hosentasche zog: „Wir haben vor... zwei Jahren, glaub ich eine Liste geschrieben mit allen Klischees über Slytherins und immer wenn jemand das zu Lucy sagt, bekommt sie von Danny und mir jeweils eine Galleone." Ich streckte fröhlich grinsend meine Hand in Richtung der beiden. Die andere Hand hielt ich zu einer Faust geballt zu Poppy. „Danke sehr", lächelte ich. Sie schien plötzlich auch sehr zufrieden und ließ ihre Faust gegen meine prallen. Stella nahm Luke die Liste aus der Hand und begann zu lesen. „Du bist ganz anders, als ich mir eine Slytherin vorgestellt habe, für eine Slytherin bist du nett/tolerant/normal/etc., Was hältst du als Slytherin von Lord Voldemort, Waren deine Großeltern/Eltern Todesser?, Wir können nicht befreundet sein, weil ich in Gryffindor bin, Kommst du damit klar, dass ich in einem anderen Haus bin? Die Liste geht immer weiter." Ich nickte zustimmend. „Ich bin dadurch jetzt reich", erklärte ich ernst. Poppy schluckte. „Ernsthaft?" Sie schien entsetzt. Ich lachte auf. „Nein, nein. Mit den Jahren hat sich das wieder gelegt. In der ersten Zeit war es viel schlimmer. Du bist glaub ich sogar die erste in diesem Schuljahr. Herzlichen Glückwunsch!" Sie schien peinlich berührt. „Nicht etwas, worauf man unbedingt stolz sein sollte. Sorry, das war falsch von mir. Vor allem als Schulsprecherin, sowas darf ich mir nicht erlauben." Danny winkte ab. „Das passt schon!", meinte er grimmig. „Jemand", sagte er und sah zu Stella, „könnte ja darauf kommen, ganz oft solche Dinge zu Lucy zu sagen, um mich zu nerven." Stella verschränkte ihre Arme. „Auf wen willst du hier gerade anspielen?", fragte sie sichtlich genervt. „Auf wen willst du hier gerade anspielen?", äffte Danny sie nach. Sie schnappte nach Luft. „Ist es etwa immer noch wegen Marvin?" Danny verschränkte die Arme und sah aus dem Fenster. „Ich fasse es nicht. Du bist so kindisch, Daniel. Nur weil ich mit jemanden zusammen bin, den du nicht leiden kannst, machst du hier die ganze Zeit so einen Aufstand. Wir sind jetzt seit... über drei Monaten zusammen und du bist immer noch nicht darüber hinweg." Stella rückte ihre Brille gerade, die während ihrer Rage verrückt war. Danny blieb still. „Ich schreib Tante Katie, wie du dich aufführst." Sie zückte ihr Handy und begann, darauf herum zu tippen. „Stopp, Stella!", rief ich und trat zwischen die beiden. „Verteidigst du ihn etwa?", fragte sie schockiert. „Das hab ich nicht gesagt. Danny ist total stur und versucht sich in deine Beziehung einzumischen, das stimmt. Aber du reagierst über. Wenn du Dannys Mum schreibst, dann bricht zwischen euren Eltern ein Krieg aus. Die werden nicht mehr klar kommen und mit Anschuldigungen um sich werfen. So wie letztes Mal." Es wurde still im Raum, denn alle wussten, dass ich Recht hatte. Dannys Mum Katie und Stellas Dad Steve konnten sich nicht leiden, das konnten sie noch nie wirklich. Am Anfang sprachen sie auf Familienfeiern einfach nicht und reduzierten ihren Kontakt auf ein Minimum, bis zu einem Streit, der stattfand, als wir vier ungefähr zwölf waren. Es waren die Sommerferien und wir hatten uns versammelt, um Onkel Tonys Geburtstag zu feiern. Er ist Dannys Vater. Es gab Meinungsverschiedenheiten und ein heftiger Streit entbrannte. Unsere Großeltern schickten uns nach oben und als wir uns oben auf die Treppenstufen setzten, um zu lauschen, hatten Tony und Hailey, Stellas Mum und Tonys Schwester, sich ebenfalls zerstritten. Über die Jahre redeten sie kaum miteinander. Es wurde besser, aber die Familienbeziehung wurde nie wieder richtig hergestellt. Es war Stellas Dad ein Dorn im Auge, das sie sich so gut mit Danny und seiner Mum verstand und mit einer Textnachricht könnte das gesamte Kartenhaus komplett einstürzen. Ich zog Danny und Luke die Münzen aus den Händen. „Ich geh dann mal besser. Danke für den Bericht, Luke", verabschiedete Poppy sich peinlich berührt mit einer kurzen Handbewegung. Ich nickte ihr zu, keine Ahnung, was die anderen machten. Ich warf Luke einen verzweifelten Blick zu. Jetzt wo Poppy weg war, dachten die beiden vielleicht, jetzt könnte ihr Streit erst richtig losgehen. „Danny, wir sollten auch los zum Gemeinschaftsraum. Henry wollte doch noch irgendwas Wichtiges erzählen", begann Luke. Danny wimmelte ihn mit einer Geste ab. „Stella, hör auf Lucy. Ein Wort zu meiner Mum und alles ist wieder kaputt." Ich schrak beinahe zurück und Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus. Ich wusste nicht, dass es Danny so hart getroffen hatte. Er klang richtig bitter, in dem was er sagte. Stella verzog das Gesicht, nickte aber wortlos. Er und Luke hauten ab. Mein Cousin und ich tauschten einen letzten Blick und kurz darauf war ich alleine mit Stella. Es herrschte Stille. Man hörte das Wispern der Leute in den Gemälden und ehe ich mich versah, schluchzte meine Freundin los. „Stella?", fragte ich besorgt und ging einen Schritt auf sie zu. Sie kniff die zitternden Lippen aufeinander, die ersten Tränen kullerten ihre Wangen hinunter und ihre Nase war rot angelaufen. Ich legte meine Hand auf ihren Arm und streichelte ihn. „Wieso kann er damit nicht einfach aufhören? Er hat das Ganze angefangen", presste sie hervor. „Oh, ich weiß es nicht", antwortete ich vorsichtig. „Jungs sind bescheuert. Sie machen das Leben nur schlimmer", schluchzte sie und warf sich um meinen Hals. Ich legte meine Arme um sie und versuchte sie zu beruhigen. „Ich bin so glücklich, dass ich mit Marvin zusammen bin und Danny macht alles kaputt. Wieso kann er sich nicht um seinen eigenen Kram kümmern?" – „Stress mit Jungs kann wirklich anstrengend sein." Wir verbrachten noch einige Minuten so, bis eine dürre, ältere Dame in einem der Portraits aufgescheucht ankam. „Mädchen, versteckt euch! Peeves ist im Anmarsch und er hat schlechte Laune." Keine von uns hatte besondere Lust, Peeves miese Launen am eigenen Leib mitzuerleben, deshalb huschten wir schnell über eine schmale Treppe weiter runter ins Gebäude. Die Treppe begann, sich zu drehen, sobald ich von ihr abgesprungen war. Die anderen Treppen spielten ebenfalls verrückt und da es Donnerstag war, war die Treppe, die wir normalerweise benutzten, nicht da. Wir hörten drei Kinder, die aufkreischten. Ein Mädchen und zwei Jungen kamen an einem anderen Eingang zu den Treppen und sahen erschüttert aus. Peeves Stimme war nicht mehr weit. Stella riss mich durch eine winzige Tür, bevor wir noch einige Treppen hinab liefen, einen Flur entlang, bis wir es zu den Kerkern schafften. Dort holten wir erstmal Atem. „Ich glaube, wir haben ihn abgehängt", teilte ich mit und ließ mich auf eine Stufe sinken. Stella nickte. „Geht's wieder?", fragte ich ein wenig besorgt. Sie lachte und wischte sich die Tränenspuren aus dem Gesicht. „Ja, die Flucht hat mir gerade echt gut getan." Ich lächelte, während sie sich völlig außer Atem neben mir fallen ließ. „Ich hab darüber nachgedacht, was du vorhin gesagt hast." „Hm?" „Das mit dem Stress mit Jungs kann anstrengend sein." „Ja, und?" „Das soll jetzt nicht irgendwie wertend klingen, aber hattest du überhaupt schon mal Stress mit Jungs?" Gerade hatte ich sie noch angesehen, jetzt wand ich meinen Blick ab. Da war er. Mein wunder Punkt: Jungs und Liebe. Zwei Begriffe, die sich von mir einfach nicht miteinander verbinden ließen. „Nicht wirklich, nh?", murmelte ich, da sie die Antwort ja schon wusste. „Ich hab da vorher nie so drüber nachgedacht. Also dass du mal einen Freund hast oder so." Ja, ich auch nicht, fügte ich in Gedanken hinzu. Ich hatte vermutlich immer schon gewusst, dass Jungs nicht so mein Fall waren, aber richtig realisiert hatte ich das erst im letzten Jahr. Stella lachte kurz auf. „Ich dachte eigentlich auch nicht, dass ich irgendwann mal einen Freund haben würde." Nun sah ich doch wieder zu ihr. „Echt? Wieso das denn nicht?" Sie strich sich die Haare hinter die Ohren und atmete hörbar aus. „Wegen der Sache mit Austin." Ich nickte verständnisvoll, doch unter meinem Pulli bekam ich eine Gänsehaut. Ich war nicht dabei gewesen, aber wie Stella damals davon erzählt hatte, ließ es so real wirken. Es war schon so lange her, doch es schien, als wäre es erst gestern gewesen. „Aber ich bin glücklich mit Marvin." „Ja, ich weiß." Wir lächelten beide. „Eure Babys wären zuckersüß." Ich stupste ihr in die Seite. „Hör auf damit", kicherte sie. „Womit? Damit etwa?", fragte ich provokant, während ich ihr weiterhin in die Seite pikste. „Das kitzelt, lass das", lachte sie. Wir gingen die Treppen hinab und machten uns auf den Weg zu unseren Gemeinschaftsräumen. In dieser Nacht schlief ich gut, mit verwirrenden Träumen, an die ich mich am nächsten Morgen nur noch bruchstückweise erinnern konnte.
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Schimmern deines Nebels
FanfictionScheidungskind und Hexe Lucy Haynes kehrt für ihr fünftes Schuljahr zurück nach Hogwarts. Dort warten ihre Freunde, ihre Familie und eine schwierige Phase ihres Lebens auf sie. Nach einem großen Skandal versucht das junge Mädchen die Wahrheit aufzud...