Ich rief Dad gleich abends über FaceTime an. "Hey, Lucy. Schöne Fahrt gehabt?" Seine Brille saß wieder auf seinem Kopf. "Ja, es war ganz gut. Neuer Klatsch und Tratsch... Apropos, Luke ist Vertrauensschüler geworden." Dad lachte überrascht. "Wirklich? Das ist wunderbar. Richte ihm meine Glückwünsche aus, ich schicke ihm später auch noch eine Nachricht." "Mach ich. Und wie läuft's bei dir so?" Dad erzählte von seinem Roman und wir diskutierten ein wenig über die nächsten Schritte und wie die Szenen auf die Leser wirken würden. Außerdem fragte er, ob ich mal drüber lesen wollte. "Ja, unbedingt. Schickst du mir das als PDF?" Er nickte. "Wird erledigt. Warte, ich mach's jetzt einfach schnell", sagte er und unterbrach das Video. "Lucy?", rief eine Stimme von draußen. "Ja, was?", brüllte ich zurück. Khadija, ein Mädchen aus meinem Schlafsaal, streckte ihren Kopf zur Tür hinein. "Was ist das neue Wlan-Password? Ich hab keinen Empfang." Sie fuhr sich gestresst durch die braunen Locken. "slytherin_rules, mit einem großen X am Anfang. Wer das da hingepackt hat, darf heute von mir aus vor der Tür schlafen." Sie lachte. "Danke, Luce, du bist die Beste. Grüß deinen Daddy von mir." Ich nickte. "Mach ich, gern geschehen." Sie ging zurück in den Gemeinschaftsraum. "Nettes Mädchen, wie hieß die nochmal?", fragte mein Dad, der das ganze Gespräch natürlich mitbekommen hatte. "Khadija", antwortete ich. "Hm, kann ich mir nicht merken. Also die PDF ist verschickt." "Über E-Mail?" "Ja, an deine normale Adresse." "Alles klar." "Okay, ich hab Deedee heute Abend zum Essen eingeladen und ich muss noch anfangen zu kochen. Wir sehen uns später. Gute Nacht, hab dich lieb." "Ich dich auch, Dad. Nachti." Wir legten auf. Das Wetter war bei unserer Ankunft schwül gewesen, doch mittlerweile hatte es geregnet. Die Einschulung war relativ ereignislos verlaufen. Die Erstklässler hatten ihre Häuser-Tendenzen bekommen und danach gab es das übliche Festmahl. Vielleicht sollte ich darüber erzählen. Seit vier Jahren probierte die Schule ein neues System aus, um die Häuser-Rivalitäten aufzuheben. Die Erstklässler bekamen eine Tendenz, in welches Haus sie am ehesten passen würden, wurden aber nicht in dieses Haus eingeteilt. Erst nachdem die ersten beiden Schuljahre vergangen waren, bekamen sie den Hut nochmal aufgesetzt, um endgültig ihr Haus zu entscheiden. Außerdem wurde jeder Schüler vorher darauf hingewiesen, dass er Mitspracherecht auf die Wahl seines Haus hatte. Die Erst- und Zweitklässler hatten eigene Schlafräume, pro Jahrgänge und nicht nochmal in Häuser aufgeteilt. Das Ziel der Schule schien erreicht zu werden. Ich war damals aber trotzdem damit klar gekommen, seit der ersten Klasse in Slytherin zu sein. Tatsächlich hatten wir damals neben den Besenflugstunden noch anderen Unterricht, der nur in der ersten Klasse stattfand. Da ging es darum, dass jeder Schüler akzeptiert werden sollte, egal welchen Blutstatus oder welche Herkunft er hat und es gab mehrere Gruppenprojekte, wo man mit Schülern aus anderen Häusern zusammen arbeiten musste, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Ich fragte mich, wieso sie das Häusersystem nicht gleich abschafften und wir stattdessen durch Interessen eingeteilt wurden und nicht nach Charaktereigenschaften, aber die Tradition musste wohl bewahrt werden und man wollte nicht, dass die Gründer sich im Grab umdrehten.
Wir hatten Schlafsäle mit jeweils drei Leuten und außer Khadija und mir schlief noch Eny Sullivan, eine entschlossene Brillenträgerin aus Irland, mit bei uns, die dieses Jahr Vertrauensschülerin geworden war. Die beiden waren nett und ich kam gut mit ihnen zurecht, aber Stella, Luke und Danny kannte ich schon mein ganzes Leben lang und ich hatte keine Freunde, die mir näher standen. Ich hörte immer noch die gedämpften Stimmen aus dem Gemeinschaftsraum und ich stand von meinem Bett auf, um den anderen aus meinem Haus Gesellschaft zu leisten. Einige Siebtklässler hatten sich den Platz um den Kamin herum gesichert und ich sah Khadija und Eny mit ein paar anderen aus unserem Jahrgang an einem Tisch an der Wand sitzen. Sie spielten Karten und ich stellte mich neben sie. "Was spielen die?", fragte ich Dustin, der am Rand stand und das Geschehen beobachtete. "Poker", erwiderte er. "Und, wer führt?", erkundigte ich mich grinsend. Khadija sah auf jeden Fall nicht besonders glücklich aus. "Kieran und Eny, im Moment. Obwohl Kieran einen deutlichen Vorteil hat, weil er in den Ferien nichts anderes gemacht hat, als zu pokern." Ich fragte mich, wie Eny dann mit ihm mithalten konnte. Sie war aber auch wirklich dabei. Ihre rotblonden Haare hatte sich zurück gebunden und sie bewahrte ein perfektes Pokerface. Die anderen schieden relativ schnell aus, bis nur noch Eny und Kieran übrig waren. Mittlerweile hatten sich auch ein paar andere Schüler um den Tisch gescharrt, um beim Spiel zuzugucken. Ich teilte mir mit Khadija und Nienke einen großen Sessel, von dem wir eine gute Sicht auf das Geschehen hatten, zumal jeder Zug von Dustin kommentiert wurde. Es lief darauf hinaus, dass Kieran gewann, da er eine Technik aus den Ferien anwandte. Alle klatschen ihn ab und klopften ihm auf den Rücken. Er und Eny schüttelten sich die Hände. "Ich will Revanche, morgen Abend um zehn Uhr", forderte sie Kieran auf, der daraufhin nur grinste. "Mit Vergnügen." Die Viertklässler verzogen sich in ihre Schlafsäle und auch wir wurden langsam müde und gingen durch den Gang zu unseren Zimmern. Nienke hielt mich auf, bevor ich die Tür öffnen konnte. "Hey, Lucy, ich hab da mal 'ne Frage." Ich nickte. "Dann frag!" "Schleichst du dich gleich mit mir raus? Ich wollte meine kleine Schwester besuchen gehen, sie wurde heute eingeschult." Ich lächelte. "Klar komme ich mit. Welche Tendenz hat sie bekommen?" "Ravenclaw... war aber auch klar. Für ihre elf Jahre ist sie ziemlich schlau." "Kann ich mir vorstellen. Schläft sie jetzt nicht schon?" Nienke schüttelte ihren Kopf. "Nein, ich hab ihr gesagt sie soll wach bleiben, bis ich komme." "Na, dann. Wollen wir los?" Sie nickte mit einem Grinsen auf dem Gesicht. "Auf dich kann man sich immer verlassen, Lucy."
Die Gänge waren kalt und damit wir nicht so sehr auffielen, hatten wir nur Socken an. Wir rannten über den kalten, glatten Steinboden und hopsten die Treppen in den oberirdischen Teil des Schlosses hoch. Am Fuß der Treppe lugte Nienke umher, um zu sehen, ob irgendjemand die Flure patrouillierte. "Keiner da", flüsterte sie und wir huschten weiter. Ein kleiner Junge aus einem Gemälde hopste die Bilder neben uns entlang. Ich lächelte ihm zu. Eine dicke Frau mit Haube und in Samtgewändern folgte ihm. "Jonathan, komm ja zurück zu Mummy und deinen Schwestern. Jonathan!", kreischte sie und Nienke und ich beeilten uns schnell von der Lärmquelle davon zu kommen. Wir hörten Schritte auf uns zu kommen und zwar aus der Richtung, in die wir gerade rannten. Nienke sprang zur Seite und versteckte sich hinter einer großen Anrichte. Ich warf meinen Kopf hin und her, auf der Suche nach einem geeigneten Versteck, denn bei Nienke war kein Platz mehr. "Das Gemälde", zischte sie mir zu und ich ging auf eines der Gemälde zu und versuchte, es bei Seite zu schieben, doch es war zu spät. "Was ist das hier für ein Lärm- was machst du hier?" Luke sah mich entgeistert an. Ich prustete leise. Sein Vertrauensschüler-Abzeichen glänzte in der Dunkelheit. "Nienke, du kannst rauskommen", lachte ich in ihre Richtung und sie stand langsam auf. "Wir wollten ihre kleine Schwester besuchen... Du hast nichts gesehen", erklärte ich und wedelte wild mit meinen Armen herum. "Lass dich das nächste mal nicht erwischen, Luce, sonst hat das noch Konsequenzen", flüsterte er grinsend. Ich nickte. "Ay Ay, Captain", salutierte ich und schlich weiter mit Nienke.
Der Gemeinschaftsraum der Erstklässler war leer und verlassen. "Wir wissen ja gar nicht in welchem Schlafsaal sie ist", stellte ich zischend fest. Sie grinste. "Warte nur ab", flüsterte sie und ging den Flur zu den Räumen der Mädchen entlang, der überall immer links war. Eine der Türen schimmerte bläulich und Nienke zeigte auf sie. "Ich hab dir ja gesagt, dass sie schlau ist", flüsterte sie lächelnd und öffnete leise die Tür. Das Zimmer war in Dunkelheit gehüllt und noch bevor wir Lumos sagen konnte, regte sich etwas in einem der Betten und ein kleines Mädchen mit Afro-Zöpfen flitzte uns entgegen und klammerte sich an Nienke. "Hi, Nelly. Schönen ersten Tag gehabt?", fragte ihre Schwester und schloss die Tür zum Schlafsaal. "Ja, das Essen hat noch besser geschmeckt als ich dachte und hier ist alles so groß und so alt. Ich hab sogar schon eine Freundin gefunden, sie heißt India, aber sie schläft schon." Nienke lächelte ihre kleine Schwester an. "Das ist schön, ich freu mich für dich"erwiderte die ältere der beiden. "Was hast du morgen in der ersten Stunde?" Nelly überlegte. "Ich glaube Verwandlung. Wo muss man da hin?" Nienke erklärte ihr den Weg und versprach, sie vor dem Unterricht noch einmal zu besuchen. Danach mussten wir zurück in unseren eigenen Schlafsaal. "Deine Schwester ist echt niedlich", flüsterte ich, als wir die Treppen hinunter stiegen. Ich hörte, wie sie leise lachte. "Ja, oder? Sie ist mein Ein und Alles." Ich lächelte und wünschte mir, ich könnte auch behaupten, eine kleine Schwester zu haben, die mir alles bedeutete, aber ich war nun mal ein Einzelkind.
Der nächste Morgen war regnerisch und wir stopften das Frühstück nur so in uns hinein. Ich lächelte Nienke zu, als sie zum Ravenclaw-Tisch ging, an dem Nelly saß. Stella schlang ihre Arme von hinten um mich und quetschte sich neben mich auf die Bank. Ihre Hufflepuff-Krawatte stach zwischen dem ganzen Grün und Silber hervor. "Wie geht es meiner allerbesten Freundin auf der ganzen Welt?", fragte sie lächelnd. "Du bist ein bisschen zu gut drauf, kann das sein?", neckte ich sie. Stella seufzte glücklich und ihre blauen Augen glitzerten. "Marvin und ich sind heute morgen Händchen haltend zur großen Halle gegangen. Es war so schön", erzählte sie. "Du bist mit Marvin zusammen?", fragte Khadija lachend, die gegenüber von uns saß. Stella nickte überglücklich. "Das freut mich für euch, ihr beide passt super zusammen", erwiderte Khadija und lächelte. "Danke, Khadija." Lief Stella etwa gerade rot an? "Du bist so verliebt, dass es schon wieder peinlich ist", stellte ich fest. Stella verdrehte die Augen. "Du hast gut reden. Warte, bis du erstmal einen Freund hast, dann siehst du das ganz anders." Ich aß schweigend weiter. Ich würde niemals mit irgendeinem Jungen zusammen sein. Nachdem ich aufgegessen hatte, gingen wir zum Zaubertränkeunterricht, einen Unterricht, den ich tatsächlich mit Stella zusammen hatte.
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Schimmern deines Nebels
FanfictionScheidungskind und Hexe Lucy Haynes kehrt für ihr fünftes Schuljahr zurück nach Hogwarts. Dort warten ihre Freunde, ihre Familie und eine schwierige Phase ihres Lebens auf sie. Nach einem großen Skandal versucht das junge Mädchen die Wahrheit aufzud...