Kapitel drei

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»July! Hey, July! Warte mal!« Der Mathetyp rannte über den Campus zu mir herüber und blieb außer Atem vor mir stehen. Überrascht sah ich ihn an. Was wollte der denn? Ich hatte keine Lust, mit ihm zu sprechen, vor allem nicht nach dem, was gestern passiert war.
»Falls es wegen gestern ist: Ich möchte nicht darüber sprechen. Alles klar?«, sagte ich und ließ ihn stehen. Doch leider ließ er sich anscheinend nicht so leicht abwimmeln, denn er folgte mir ins Gebäude.
»Hey, es tut mir leid. Ich wusste ja nicht, dass du-«
»Schon gut. Okay?«, sagte ich schnell, ich wollte immerhin nicht, dass die ganze Schule mithörte.
»Also, falls du mit jemandem darüber reden möchtest...«
»Ich möchte nicht darüber reden, schon gar nicht mit einem Fremden.«, erwiderte ich und verließ das Gebäude wieder, da es mir draußen besser gefiel, ohne diese Menge, die die engen Gänge verstopfte. Der Typ lief neben mir her.
»Oh, okay. Ich bin Zack und ich bin kein Fremder. Immerhin haben wir zusammen Mathe. Und zwar in genau fünf Minuten.«, meinte er ohne auf seine Uhr zu sehen.
»Super, da freue ich mich aber.«, erwiderte ich.
»Also, hast du hier schon Freunde gefunden?«
Was sollte die Frage denn? »Ich bin erst drei Tage hier.«
»Oh, stimmt. Wenn das so ist, kannst du dich ruhig zu uns setzen. Also zu mir und meinen Freunden, in der Mittagspause. Die haben sicher nichts dagegen.«, schlug er vor.
»Hör mal, nur weil du weißt, dass ich adoptiert bin, heißt das noch lange nicht, dass du so tun musst, als würdest du mich mögen. Okay? Ich komm auch allein zurecht.«, sagte ich schlecht gelaunt. Der Traum saß mir immer noch in den Gliedern, obwohl ich mich ja nicht mal mehr an ihn erinnern konnte. Zack folgte mir über den Hof und wieder hinein ins Schulgebäude zum Matheraum.
»Deshalb mache ich das auch gar nicht.«, sagte er und hielt mich am Arm fest, sodass ich ihn ansehen musste. Ärgerlich blickte ich auf seinen Griff, woraufhin er seine Hand schnell zurückzog. »Tut mir leid. Du bist neu hier, da kannst du doch sicherlich Gesellschaft gebrauchen, oder?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Würde ich dann nicht selbst danach fragen? Außerdem bin ich heute nicht so in der Stimmung zu reden.«
»Na gut, dann reden wir anderen eben.«, meinte er und lächelte mich an. Nun stieg meine Laune an, zumindest ein wenig. Auch wenn ich es nicht gern zugegeben hätte. Vielleicht sollte ich sein Angebot einfach annehmen, dann würde ich immerhin nicht weiter allein an einem Tisch herum sitzen und schweigend in der Luft herum starren, bis die Pause beendet war. Gesellschaft war möglicherweise wirklich gar nicht so schlecht, wenn ich endlich keine Außenseiterin mehr sein wollte.
»Also abgemacht? Wir essen zusammen Mittag?«, hakte er nach und nun musste ich auch ein klein wenig lächeln. »Meinetwegen.«
In der Mittagspause schleifte Zack mich also zu einem Tisch, ziemlich zentriert in der Cafeteria platziert, und stellte mich seinen Freunden vor. Doch da knapp ein Dutzend Schüler an diesem Tisch saßen, konnte ich mir kaum einen ihrer Namen merken. Nur ein Mädchen namens Tory war mir aufgrund ihrer außergewöhnlichen Kleidung aufgefallen. Sie sah aus wie ein Punkmädchen, die Haare knallrot, eine schwarze Lederjacke mit Nieten an den Schultern und unzähligen, silbernen Ketten um den Hals und die Arme. Allerdings passte ihr zartes, elfengleiches Gesicht so gar nicht zum Rest. Sie lächelte mir zu und sofort war sie mir sympathisch. Immerhin griff sie mich nicht so an wie Zoey, überhaupt war niemand von Zacks Freunden im geringsten überheblich. Ein etwas dickerer Junge lachte beinahe die ganze Pause ununterbrochen und schafft es dabei sogar noch, zwei Portionen Gyros zu verschlingen. Da die anderen ihn immer wieder ansprachen und ihn darauf aufmerksam machten, dass er nicht schmatzen sollte, hatte mein Gehirn auch seinen Namen nach dem Mittagessen gespeichert. Mike. Zwar unterhielten sich die anderen auch ab und zu mit mir (obwohl ich ja eigentlich gar nicht hatte reden wollen), doch deren Namen gingen in meinem einen Ohr rein und gleich im anderen wieder raus.
Danach hatte ich Chemieunterricht, und es stellte sich heraus, dass Zack und zwei seiner Freunde (Josh und Megan) ebenfalls in meinem Kurs waren. Da das Wetter so gut war, setzten wir uns ganz außen ans Fenster, um so doch noch etwas Sonne genießen zu können, wenn wir schon nicht draußen sein konnten. Professor Barnes, dessen weißes, zu einem Zopf gebundenes Haar vom Sonnenlicht zu leuchten schien, ging vor der Tafel auf und ab und zählte irgendwelche chemischen Stoffe auf, die wir für unser folgendes Experiment brauchen würden.
»Auf meinem Pult findet ihr die Anweisungen, im Labor holt ihr euch bitte die anderen Materialien und Chemikalien. Aber bitte seid vorsichtig dabei.«, sprach er weiter und gab uns das Zeichen loszulegen.
»Er sollte lieber aufpassen, dass sein Pferdeschwanz nicht in Brand gesteckt wird und er die Schule in die Luft jagt.«, sagte Zack grinsend. Ich verdrehte meine Augen, konnte mir ein Lächeln aber doch nicht verkneifen.
Zack, Josh, Megan und ich betraten gemeinsam das Labor und drängten uns an den anderen Gruppen vorbei, die sich um die Schränke versammelten.
»Die anderen scheinen alle am Anfang der Liste anzufangen, lass uns doch die letzten Chemikalien als erstes suchen.«, schlug Josh vor und fuhr mit seinem Finger über die Anweisungen.
»Natriumchlorid.«, sagte er und wir folgten den Beschriftungen an den Regalen, bis wir es fanden.
»July, was hältst du davon, wenn du schon mal das Aluminium suchst?«
»Klar!«, antwortete ich sofort und machte mich auf die Suche nach dem richtigen Regal.
Nach wenigen Minuten hatte ich das hölzerne Fach mit dem Aluminium gefunden und öffnete die verschmutzte gläserne Schranktür.
»Danke schön, July.«, sagte plötzlich jemand neben mir und griff vor mir in den Schrank und holte sich den Behälter mit dem Aluminium darin heraus. Zoey, wer konnte es denn anderes sein? Grinsend sah sie mich an. Nicht aufregen! Dann suchte ich mir eben etwas anderes von der Liste. So schnell würde diese Barbiepuppe mir den Tag nicht vermiesen. Doch bevor ich mich von ihr abwenden konnte, stieß sie mit dem Ellenbogen gegen den Schrank, er schwankte leicht hin und her, bis etwas herausfiel. Und zwar direkt auf mich. Im letzten Moment konnte ich meinen Kopf noch zurück ziehen, doch mein restlicher Körper blieb nicht verschont. Eine stinkende Flüssigkeit ergoss sich über mein Shirt.
»Was ist das?«, fragte ich entsetzt. Zoey, Blondie eins und zwei (die, wie sich herausgestellt hatte, Lucy und Irine hießen) kicherten.
»Nur Brennspiritus.«, meinte Lucy lachend.
»Was ist denn hier passiert?«, fragte Professor Barnes, der neben uns aufgetaucht war und mich anstarrte, als wäre ich eine Kuh, die duschte. Augenrollend stemmte ich meine Hände in die Hüfte.
»Ihr ist der Brennspiritus auf den Kopf gefallen, weil sie ihn nicht richtig zu gedreht hat, Professor.«, log Zoey schleimerisch.
»Sehe ich vielleicht so aus, als wäre ich nicht in der Lage, eine verdammte Flasche Brennspiritus zu verschließen?«, fragte ich. Unser Lehrer sah verwirrt zwischen uns hin und her. Da mischte sich auch noch Lucy ein: »Offensichtlich. Wir waren immerhin dabei.«
Hier ging es ja zu wie im Kindergarten! Nicht zu fassen, dass die drei es bis zur Highschool geschafft hatten.
Professor Barnes sah mich trotzdem streng an.
»Sie sollten Ihren Fehler wenigstens zugeben, Miss Bates. Dann würde ich Ihnen das noch mal durchgehen lassen. Aber auch wenn Sie hier neu sind, heißt das nicht, dass Sie sich hier alles erlauben dürfen. Haben Sie verstanden?«
Nach dieser Standpauke konnte ich nur seufzen.
»Meinetwegen. Tun wir so, als wäre ich hier die Dumme.«, murrte ich ein letztes Mal, doch das schien die Sache nicht gerade besser zu machen. Ärgerlich wies er auf den Boden, auf dem der Brennspiritus eine große Pfütze gebildet hatte und die zerbrochene Flasche in zwei Teilen da lag.
»Machen Sie das sauber, dann vergesse ich die ganze Sache. Und beeilen Sie sich ein wenig, sonst verpassen Sie noch das ganze Experiment.« Damit verließ er das Labor wieder und alle starrten mich an. Ich stand da wie ein begossener Pudel.
Nachdem ich vor aller Augen den Boden wischen musste, verschwand ich mit der Entschuldigung, ich könnte in dieser Kleidung nicht weiterarbeiten und würde mich umziehen. Eigentlich wollte ich allerdings nur weg von diesen ganzen Leuten, die meine Mitschüler waren, und diesem Idioten, der Lehrer genannt wurde.
Zuhause war ich zum Glück allein und musste weder Mom noch Dad erklären, wieso ich schon so früh zurück war. Schnell zerrte ich mir die vom Brennspiritus getränkten Sachen über den Kopf und warf sie in die Waschmaschine. Ich wollte nur noch raus und laufen. Da das lockere Top noch durchgeschwitzt vom gestrigen Nachmittag war, zog ich ein enganliegendes, bauchfreies Top und eine bunte Shorts über. Draußen glühte die Sonne noch auf mich hinab, obwohl es schon fast drei Uhr nachmittags war. Meine ganze Wut lag in meinem Sprint zum Waldstück hinüber, den ich nun zu meiner persönlichen Laufstrecke erklärt hatte. Nach über einer Stunde war ich wieder auf dem Rückweg. Vor mir tauchte langsam wieder das Wohngebiet auf und ich senkte mein Tempo ein wenig. Die losen Haarsträhnen klebten an meinem verschwitzen Hals und meine Lunge fühlte sich mittlerweile rau an, doch das machte mir eher weniger aus.
»Hey!«
Im ersten Moment hatte ich nicht damit gerechnet, dass dieses Hey an mich gerichtet war. Erst als Zacks Gestalt neben mir auftauchte, erkannte ich seine Stimme wieder. Eine Weile liefen wir schweigend nebeneinander her. Ein paar mal wanderte mein Blick zu seinem Körper. Er trug eine kurze Jogginghose und ein T-Shirt, das mir zeigte, wie gut gebaut er eigentlich war. Das war mir vorher noch nie aufgefallen. Auch seine Beine waren schlank und muskulös. Sein wuscheliges braunes Haar stand ein wenig vom Laufen ab und klebte an seinen Schläfen, genauso wie bei mir. Oh mein Gott! Ich musste schrecklich aussehen. Vollkommen verschwitzt und gerötet im Gesicht und mit dieser schlampigen Frisur.
»Ich habe dich im Chemieunterricht vermisst. Professor Barnes hat gesagt, es hätte einen kleinen Unfall gegeben.«, brach er da die Stille und ich wandte schnell meinen Blick von ihm ab. Über uns wurde die Sonne, die vor einer Stunde noch auf uns hinunter gestrahlt hatte, nun von dicken dunkelgrauen Wolken verborgen. Der Asphalt unter unseren Füßen war nass von den Rasensprengern der an der Straße liegenden Gärten und unsere Schritte wurden von einem Platschen begleitet. Ein leichter Wind kam auf und fuhr mir angenehm kühl über mein erhitztes Gesicht. »Mir ist der Brennspiritus auf mein T-Shirt gekippt und ich musste mich umziehen.«, erklärte ich. Zum Glück waren die drei gerade nicht im Labor gewesen, als das Schlamassel passiert war.
»Das hab ich schon gehört. Wieso bist du nicht zurückgekommen?«, fragte er. Hörte ich da wirklich Enttäuschung in seiner Stimme?
»Ich musste mich ein wenig abregen. Und ehrlich gesagt wollte ich nicht wieder zurück in diesen verdammten Raum.«
»So was kann doch jedem mal passieren, immerhin hast du ja nicht die ganze Schule in Brand gesetzt. Das wäre schon ein wenig schwerwiegender.«
Ich musste lächeln. Langsam blieben wir stehen, denn wir hatten die Straße erreicht, die zur Schule führte. Von hier aus konnte ich nur einen Bus vor dem Gebäude stehen sehen, es war ja auch schon relativ spät.
»Ob du es glaubst oder nicht, aber mir ist mal beim Sezieren ein Schweineauge aus der Hand geflutscht und durch den ganzen Raum geflogen, direkt ins Gesicht meiner Lehrerin.«, erzählte er und musste grinsen, was kleine Grübchen auf seinen Wangen entstehen ließ.
»Ehrlich?«, fragte ich amüsiert. Da entdeckte ich wieder diesen schwarzen Van mit den getönten Scheiben, nur dass er dieses Mal auf der anderen Straßenseite stand. Vielleicht hatte jemand dem Fahrer endlich mal gesagt, dass er nicht auf dem Gehweg parken und den Weg versperren durfte. Zack sprach einfach weiter.
»Jep. Sie hat mich dazu verdonnert, zwei Wochen lang in jeder Biologiestunde Protokoll zu führen.« Er fuhr sich durch seine Haare. »Na ja, auf jeden Fall hat sie mir danach auch nichts mehr zugetraut. Mein Sitznachbar musste dann immer die komplizierten Teile durchführen.«
Er lachte bei dem Gedanken und ich musste ebenfalls amüsiert grinsen, obwohl mein Blick immer noch an diesem Van hing. Da wir keine Lust hatten, an der Schule vorbei zu laufen, drehten wir um und schlenderten gemächlich die Straßen zurück. Zu dieser späten Stunde saßen nur noch wenige draußen im Garten, vielleicht lag es auch am Himmel, der immer dunkler wurde.
»Also, hast du jetzt noch was vor?«, fragte Zack mich, als wir uns meinem Haus näherten.
»Nein, ehrlich gesagt will ich mich einfach nur noch ins Bett werfen.«, gab ich zu. Durch den Albtraum letzte Nacht hatte ich kaum noch eine Stunde Schlaf bekommen und fühlte mich auch dementsprechend erschöpft.
»Warme Milch hilft, falls du Schlafprobleme hast.«, meinte er da und ich sah ihn verwirrt an.
»Was? Wie kommst du denn darauf?«, wollte ich wissen und verschränkte meine Arme vor der Brust.
»Ich hab gehört, dass du gestern im Geounterricht eingeschlafen bist - und dein Buch durch den Klassenraum geworfen hast.«
Fassungslos starrte ich ihn an. »Was? Wer hat das denn behauptet?«
»Zoey und-«
»Wer auch sonst? Und du hast ihnen natürlich geglaubt?«, fragte ich etwas überrascht. Ich hätte ihn nicht für so naiv gehalten.
»Äh... ja. Scheint so. Okay, jetzt komme ich mir doch ein wenig dumm vor. Alle drei haben das bestätigt, ich habe nicht weiter nachgehakt.«, sagte er ein bisschen verlegen und rieb sich den Nacken.
»Nur zur Info: Ich habe erstens nicht geschlafen, sondern war nur in Gedanken. Und zweitens ist mein Buch nur runter gefallen, ich habe es nicht durch den ganzen Klassenraum geworfen!«
Zack hob beschwichtigend die Hände.
»Schon gut, ich glaube dir.«
»Danke!«, sagte ich, immer noch etwas genervt. Wieso konnte es auf einer Schule nicht einfach mal leicht sein? Als ich Zack wieder ansah, umspielte ein amüsiertes Lächeln seine Lippen, was meine Laune nicht gerade hob. »Was?«
Sein leuchtender Blick wanderte über meinen Körper und blieb am meinem Gesicht hängen.
»Nichts.«
Ich überlegte, wieso er mich so anstarrte. Das machte mich nervös.
»Tut mir echt leid, dass ich Zoey geglaubt habe.«, sagte er da. »Was meinst du, wieso sie das über dich rum erzählt haben?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Moralisch verwerfliche Gedanken? Ein Hang zum Bösen? Was weiß ich.«
Nun wurde sein verschmitztes Grinsen breiter.
»Was ist so witzig?«
»Nichts.«, wiederholte er. »Wir sehen uns dann morgen in der Schule.« Dann war er auch schon weg und ließ mich verwirrt zurück.

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