Kapitel zehn

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Seltsamerweise war ich seit dem Morgen meines Geburtstages in Zacks Zimmer von keinen unheimlichen Träumen mehr heimgesucht worden. Oder aber ich hatte sie wieder vergessen.
Das war das erste, an das ich dachte, als ich langsam wieder zu mir kam. Ich lag auf etwas Weichem, einem Bett, wie ich nach dem Öffnen meiner Augen bemerkte. Um mich herum befand sich ein kleiner, etwas heruntergekommener Raum, wahrscheinlich ein Hotelzimmer. Am einzigen Fenster stand Zack mit dem Rücken zu mir und hielt den dunklen Vorhang zur Seite, um nach draußen zu sehen. Ich setzte mich auf und starrte ihn an. Er hatte mich hierher gebracht; er hatte mich betäubt, zumindest hatte es sich so angefühlt. Nur wie er es getan hatte, war mir ein Rätsel. So etwas hatte ich noch nie erlebt, genauso wenig wie das, was er an der Raststätte mit unseren Verfolgern getan hatte.
»July« Er drehte sich zu mir um und kam auf mich zu. Rasch rutschte ich vom Bett und trat von ihm zurück. Als ihm mein wütender und verwirrter Blick auffiel, blieb er auf der anderen Seite des Bettes stehen und sah mich nur an.
»Es tut mir leid, July.«
Ich runzelte die Stirn und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich weiß nicht, ob ich dir noch glauben kann. Ich habe dir vertraut und du hast... du hast... Was genau hast du mit mir gemacht? Wer bist du?«
Zack fuhr sich durch sein Haar und blickte nervös zu Boden. »July, es tut mir ehrlich leid, ich hatte nicht vor...«
»Wer bist du?«, wiederholte ich fester. Er sah auf, nun weniger nervös und lächelte mich leicht an.
»Man nennt mich einen Hexenmeister, oder Hexer, wenn du willst, genauso wie unsere Verfolger. Und da sie hinter dir her sind, nehme ich an, du bist auch eine - eine Hexe, meine ich.«
Mit offenem Mund starrte ich ihn an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Zack sah mich erwartungsvoll an und wartete auf eine Antwort. Also reagierte ich.
»Und das soll ich dir glauben? Du bist ja total verrückt.«
Er legte seinen Kopf schief und zog eine Augenbraue hoch. »Ich wusste, dass du das sagen würdest. Aber es ist die Wahrheit.«
Ich schüttelte den Kopf. »So was gibt es nicht, Hexen, Zauberer, Feen...« Das waren doch alles nur Märchen, oder? Doch die Dinge, die Zack getan hatte, gingen mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Das war nicht normal gewesen. Konnte es wirklich sein, dass er die Wahrheit sagte?
»Nein, es heißt nicht Zauberer, sondern Hexenmeister, wie ich dir schon sagte. Alles andere lassen wir erst mal außen vor.«
»Und«, ich schluckte. »wenn das wahr wäre, was du erzählst, dann sag mir, was du genau getan hast. Wie du das getan hast, im Auto und mit dem Männern.«, forderte ich ihn auf.
»Bei den Männern habe ich eine unsichtbare Blockade erschaffen, die allerdings nur ungefähr fünf Minuten gehalten haben muss. Und dich habe ich einschlafen lassen.«, sagte er, als wäre es das natürlichste der Welt.
»Aber wie hast du das getan? Mich einschlafen lassen?«
»Mit Magie.«, sagte er wieder in demselben selbstverständlichen Ton wie zuvor.
»Okay, beweis es.«
»Gut.«, stimmte er zu. »Komm.« Er reichte mir seine Hand. »Ich zeig es dir.«
Skeptisch runzelte ich die Stirn. »Woher weiß ich, dass du mich nicht wieder einschlafen lässt?« Er zuckte mit den Schultern. »Du musst mir wohl einfach vertrauen.«
Seufzend gab ich nach und nahm seine Hand. Er lächelte. Dann zog er mich zur Tür und hinaus. Vor uns lag ein Platz, in dessen Mitte ein Schild mit der Aufschrift Motel stand, dahinter erstreckte sich eine Rasenfläche mit einigen Bäumen. Alles schien verlassen zu sein, hinter den Fenstern der anderen Zimmer war kein Licht zu sehen, womöglich war nicht einmal jemand anderes hier, immerhin sah dieses Motel nicht gerade gut erhalten aus, ehrlich gesagt ziemlich heruntergekommen. Aber unauffällig war es, perfekt für uns also.
»Also... was hast du nun vor?«
Zack zwinkerte mir vielsagend zu und schloss dann geheimnisvoll seine Augen. Irritiert musterte ich ihn, wusste nicht genau, was ich tun sollte. Immerhin wollte er mir beweisen, dass er ein Hexenmeister war, oder so was. Vollkommener Schwachsinn.
Blitzartig fegte mir ein heftiger Windstoß ins Gesicht und peitschte mir die schwarzen Haare in die Augen. Ich fröstelte und sah zu dem sternenübersäten Himmel hinauf. Es war keine einzige Wolke zu sehen. Zacks Augen waren immer noch geschlossen und er schien überhaupt nicht mehr richtig hier zu sein, es war als wäre er ganz woanders. »Zack?«
Irgendwie machte mir dieser heftige Wind doch ein wenig Angst und ich schlang meine Arme um meinen Körper. Da wirbelten unzählige Blätter durch die Lüfte, umrundeten uns und landeten schließlich am Boden. Im ersten Moment fiel mir nichts Ungewöhnliches auf, erst bei näherem Hinsehen bemerkte ich, dass die Blätter Linien im Gras bildeten. Nein, nicht nur Linien, sondern Buchstaben? War das ein J ? Ich hielt meinen Atem an, während die Blätter immer mehr bildeten. Irgendwann legte sich der Wind und ich blinzelte. Dort am Boden stand nun JULY. Mit offenem Mund starrte ich meinen Namen an und dann Zack, der seine Augen wieder geöffnet hatte und mich grinsend ansah.
»Ähm, wie... Wie genau hast du das gemacht?«, fragte ich und schluckte. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Zumindest bis auf die Sache mit unseren Verfolgern auf dem Parkplatz der Raststätte. Nur dass das hier viel beeindruckender war.
»Mit Magie.«, wiederholte er, als wäre das logisch. Ich runzelte die Stirn. Um uns herum hatte sich der Wind mittlerweile wieder gelegt, es war als wäre er nie da gewesen. Ich merkte es nur daran, dass meine Haare zerzaust waren.
»Gut, du bist also ein Hexenmeister. Aber ich kann sowas nicht.«
»Natürlich kannst du sowas auch - mit etwas Übung.«
Ich schüttelte den Kopf. »Woher willst du das überhaupt wissen, mhm?«
Er zog seine Augenbrauen hoch. »Ich habe es gespürt, genauso wie die, die hinter dir her sind. Und ich denke, du hast schon einmal Magie angewendet - wenn auch nur unbewusst.«
»Wie bitte?« Ich runzelte die Stirn. Das wurde mir gerade ein wenig zu viel auf einmal. Nicht nur, dass ich verfolgt wurde, nein, meine Eltern waren tot und der einzige Freund, den ich hatte, versuchte mir beizubringen, dass ich eine Hexe war. Nein, das klang überhaupt nicht verrückt. Kein bisschen. »Ich... Das ist unmöglich.«
»Nein, das ist es nicht. Ich habe es schon bei dir gesehen.«
Ruckartig fuhr mein Kopf in seine Richtung. »Wann?«
»In der Schule, du hast durch deine Wut deine Glasflasche platzen lassen.«
Daran erinnerte ich mich, allerdings war mir von diesem Augenblick etwas ganz anderes im Gedächtnis geblieben. Der Tagtraum, oder was auch immer das gewesen war. Ich hatte gesehen, wie jemand mir dieses Zeichen an der Hüfte zugefügt hatte. Die Erinnerung daran ließ den Schmerz augenblicklich wieder aufflammen und ich sog scharf die Luft ein. Meine Hand presste sich wie automatisch auf den Stern auf meiner Haut.
»July? Alles okay?«, hörte ich Zack etwas besorgt fragen. Er näherte sich mir ein paar Schritte, doch ich streckte ihm meine andere Hand entgegen und hielt ihn auf.
»Bleib, wo du bist!«, zischte ich nur. Meine Finger bohrten sich vor Schmerz in meine Haut, das Zeichen hörte nicht auf zu schmerzen. Vor meinen Augen tauchten erneut die Bilder auf, die ich schon einmal gesehen hatte. Grelles Licht. Kalte, unheimliche Augen über mir. Eine Hand, die ein scharfes Messer auf mich zu kommen ließ. Es schnitt in meine Hüfte. Und dann diese Stimmen, die in meinem Kopf herum schwirrten. Zuletzt wurde das Messer noch einmal erhoben und zwar an meinen Kopf. Heftiger Schmerz schoss hindurch.
Und ich schrie, meinen Kopf zwischen meine Hände gepresst. Es fühlte sich an, als würde er jeden Augenblick bersten. Ich konnte nicht mehr stehen, sank in die Knie und krümmte mich.
»July! Was ist los? Rede mit mir!« Zacks Stimme drang leise zu mir durch, wie durch eine Wand aus Watte. Ich konnte nicht antworten, meine Zunge war zu schwer. Da spürte ich seine Hände unter meinen Oberschenkeln und unter meinen Armen und verlor den Boden unter mir. Eine Sekunde später fand ich mich auch schon wieder auf dem Bett wieder und kugelte mich zusammen, um den Schmerz auszusperren. Ich spürte Zacks Nähe, als er sich neben mich setzte und auf mich einredete. Ich merkte erst, dass ich weinte, als er mir mit seinen Fingern die Tränen vom Gesicht wischte. Schnell raufte ich mich zusammen und zwang mich dazu, keine mehr zu vergießen. Der Schmerz ebbte langsam ab, trotzdem hielt das tiefe Pochen in meinem Kopf an. Zack war mir so nah. Ich rutschte instinktiv von ihm ab, um so viel Platz zwischen uns zu bringen, wie es eben in diesem Bett möglich war. Er starrte mich immer noch mit besorgtem Blick an und runzelte bei meiner Reaktion die Stirn.
»Was ist los? Hast du Angst vor mir, weil ich dir die Wahrheit über mich gesagt habe?«
Ich verstand es immer noch nicht ganz. In meinem Kopf drehte sich alles, das alles schien mir so unreal zu sein. Diese... Magie. Oder was auch immer das war. Aber ich hatte es mit meinen eigenen Augen gesehen, es konnte kein Trick gewesen sein. Außerdem spürte ich in meinem Inneren, dass er nicht log. Nur was mich anging, war ich nicht so überzeugt.
»Nein, ich habe keine Angst vor dir.«, erwiderte ich schließlich. Sein Blick war skeptisch.
»Und wieso sitzt du am anderen Ende des Bettes?« Eine berechtigte Frage.
»Weil ich nicht möchte, dass du mich wieder einschlafen lässt oder was weiß ich, was du sonst noch mit mir anstellen kannst.«
Ein leichtes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, doch ich fand die Situation überhaupt nicht witzig. »Keine Sorge, ich tue dir nichts, July. Nur weil ich dir gesagt habe, dass ich ein Hexer bin, heißt das nicht, dass ich plötzlich jemand anderes bin. Ich bin noch derselbe, der mit dir zur Schule gegangen ist.«, behauptete er. Ich rührte mich allerdings nicht von der Stelle.
»Ich vertraue dir trotzdem nicht mehr. Ich meine, du hast das einfach ausgenutzt, im Auto. Hättest du mir das Ganze nicht auch da erklären können? Du hättest mich nicht bewusstlos... zaubern... müssen. Oder was auch immer das genau war...«
»Einschlafen lassen.«, verbesserte er mich. Ich schnaubte. »Ist mir doch egal, wie es heißt! Ich will nur wissen, wieso. Wieso hast du das getan?« Ich drückte meine Fäuste gegen die Schläfen. Mein Blut pulsierte heftig dahinter.
»Geht es dir gut, July?«, fragte Zack mich. Sein Lächeln war wieder verschwunden.
»Ja.«, sagte ich genervt. »Beantworte einfach die Frage!«
»Ich... Ich weiß nicht. Ich war wohl etwas überrumpelt, die ganze Situation hat mich einfach überfordert. Tut mir leid. Ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun sollen, ich hatte nicht vorgehabt, das zu tun. Aber ich brauchte einfach Zeit, um mir zu überlegen, was ich dir erzählen und wo ich anfangen soll. Ehrlich gesagt, habe ich mir vorher keine Gedanken darüber gemacht...«
»Hast du denn je vorgehabt, mir die Wahrheit zu erzählen?«, fragte ich und als ich in seine Augen sah, blitzten Schuldgefühle darin auf und ich erkannte die Antwort bereits, bevor er sie aussprach. »Also gut. Hätte ich mir ja denken können.«
»July...« Er rutschte über die Decke in meine Richtung, aber ich hob abwehrend die Hände.
»Bleib, wo du bist!«
»Kannst du dich bitte beruhigen? Ich bin dein Freund und ich möchte dir helfen. Da sind andere unserer Art hinter dir her und sie sind gefährlich. Du weißt nichts über dich und deine Magie, du brauchst Hilfe. Du brauchst mich, allein überlebst du nicht einen Tag auf der Flucht. Verstehst du das? Ich hab dir das nicht umsonst erzählt, du musst lernen, deine Kräfte einzusetzen. Du hast keine Ahnung, was da draußen auf dich wartet. Genauso wenig weiß ich, was die von dir wollen. Aber sie spüren deine Magie, wie ich es getan habe, als du deine Flasche im Klassenzimmer zerspringen lassen hast. Ich weiß, dass es dich schon jetzt beeinflusst.«, meinte er und sah mir direkt in die Augen. Ich saß nur da und war tatsächlich sprachlos nach seinem Vortrag. Nun fühlte ich mich überrumpelt und ein wenig schuldbewusst. Vielleicht hätte ich ihm wirklich zuhören und nicht von Anfang an verurteilen sollen. Ich wusste nicht, ob ich ihm vertrauen konnte, das hatte sich aufgelöst, als er mich in dem Wagen verhext hatte, aber vielleicht sollte ich seine Hilfe annehmen. Immerhin war er ja wirklich mein Freund gewesen, der einzige, den ich hatte. Außerdem, wen hatte ich denn noch abgesehen von ihm? Meine Eltern waren tot und sonst war da niemand. Ich hatte also gar keine andere Wahl, als ihm zuzuhören und mich auf ihn einzulassen. Aber ich würde vorsichtig sein ihm gegenüber.
»Hast du mich verstanden?«, hakte er nach. Ich zuckte zusammen, als er mich erneut ansprach. »Natürlich habe ich dich verstanden, ich habe zwar von alledem nicht viel Ahnung, aber ich bin nicht taub.«
Er zog eine Augenbraue hoch und musterte mich.
»Tut mir leid.«, sagte ich schnell. Ich dachte an das, was meine Mutter mir gesagt hatte, als sie mich am ersten Tag zur Schule gefahren hatten. Sei nett, July.
»Aber was meinst du genau? Inwiefern beeinflusst es mich schon jetzt?«, fragte ich.
Sein Gesichtsausdruck entspannte sich nun ein wenig und er lehnte sich neben mir an die Wand. »Das Pentagram an deiner Hüfte. Ich weiß nicht, warum, aber es hängt irgendwie mit deiner Magie zusammen. Nehme ich zumindest an, du hast doch Schmerzen, oder? Und deine Kopfschmerzen sind bestimmt auch nicht normal. Sie bedeuten etwas...«
»Und was?«
Er zuckte mit den Schultern. »Da bin ich wirklich überfragt. Aber das Pentagram ist das Zeichen der Hexerei. Jemand hat es dir verpasst, und derjenige war eine Hexe.«

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 13, 2017 ⏰

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