Masken

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Die Millbrook High School ist ein großes Backsteingebäude mit einem noch größeren Parkplatz. Während April einige Meter hinter June einen der langen Korridore entlangläuft, und die Auszeichnungen und Jahrgangsfotos in den Vitrinen begutachtet, fragt sie sich wie lange es wohl dauern wird, bis ihre Schwester erschöpft sein wird von der langen Busfahrt.

An dem Tag hatten sie Glück gehabt, dass Emmett sie gefahren hatte, obwohl sie eigentlich dagegen war, mit einem mutmaßlichem Verbrecher ins Auto zu steigen. Sobald April und June angezogen im Wohnzimmer standen und noch überlegten ob ein Taxi oder der Bus eine bessere Möglichkeit wäre, kam er die Treppen hinunter und fragte ob die beiden denn auch in die Stadt wollten. June hatte die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und dem ihr noch fremden Mitbewohner zugestimmt.

„Ich habe da auch noch etwas zu erledigen. Soll ich euch mitnehmen?", hatte er ganz geheimnisvoll erwidert und seine Blicke huschten permanent zu ihr. Sie selbst hatte zu einem Nein angesetzt, aber June kam ihr erneut zuvor: „Ja. Na klar."

Doch als sie ihre Schwester ermahnen wollte, hatte Emmett bereits eingewilligt: „In Ordnung. Ich warte dann beim Wagen."

Die nächsten zwei Stunden versuchte sie freundlich zu ihm zu sein, weil er sich die Mühe gab nach Chapelhill zu fahren, damit April eine der Unis besichtigen konnte, die ihr im Internet gefielen, dort auf sie eine halbe Stunde wartete und schließlich die beiden zur Millbrook High School fuhr, ehe er seinen Weg ging. Obwohl er kein Wort darüber verlor, weckte etwas an seiner Geheimniskrämerei ihre Neugier.

June betritt das Sekretariat so unmittelbar, dass April sich beeilen muss um gemeinsam mit ihrer Schwester den nach Orangenblüten duftenden Raum zu betreten.

„Hallo, was kann ich für sie tun?"

April überlässt June das Reden und sieht sich in dem Raum langsam um. Fotografien des Footballteams neben dem Schulmaskottchen und Urkunden der besten Schulen North Carolinas hängen von den Wänden und April bemerkt den Stapel Unterlagen die sich auf dem Schreibtisch häufen. Der Anrufbeantworter leuchtet rot und signalisiert eine neue Nachricht.

„Ich würde mich gerne hier einschreiben. Für das neue Schuljahr."

Die kleine Frau mustert erst June dann April: „Hmm. Also sie beide?"

„Nein. Nur ich.", antwortet June mit einem Lächeln.

„Die Formulare sind hier, aber unsere Direktorin ist bis nächsten Monat nicht anwesend, die Anmeldung wäre schon längst fällig gewesen."

„Ja, das wissen wir auch, nur sind wir leider erst seit kurzem nach North Carolina gezogen."

„Tut mir leid,", seufzt die Frau gespielt, „Vorschriften sind eben Vorschriften."

June starrt die Frau einige Momente zögerlich an, dreht sich dann um und sieht April mit traurigen Augen an, bevor sie sich zum Gehen wendet. Sie erinnert sich an die Dusche heute Morgen und wie aufgeschmissen sie war bei dem Gedanken ihre Schwester jemals unglücklich zu sehen.

„Wissen Sie wir wünschten wir könnten auch sagen es tue uns leid, dass wir nicht früher zur Anmeldung erschienen sind. Aber leider haben uns unsere Eltern nicht gesagt sie würden nach ihrer Anmeldungsfrist sterben, so dass wir vorher umziehen und unser Leben komplett umstellen mussten. Also bitte ich sie inständig uns das nicht übel zu nehmen und meiner Schwester einen dieser dämlichen Anmeldungsbögen zu geben."

Aprils Stimme war mit jedem Wort lauter geworden und jetzt, wo die Ruhe entstand und peinliche Stille in den Raum trat, ist sie genauso überrascht von sich selbst, wie die Frau, die sie hinter dem Tresen mit denselben großen Augen anstarrt, wie ihre Schwester, die sich von der Tür weggedreht hatte.

Be MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt