Flieder

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Ihre Mutter hatte Flieder gemocht.

Die Natur hat den Menschen so vielen Blumen gegeben, so viele Düfte und Farben, aber ihre Mutter hatte Flieder gemocht.

Das Symbol der beginnenden Liebe und der Treue.

April weiß nicht, weshalb ihr das jetzt einfällt. Jetzt wo der Himmel dichte, dunkle Wolken bringt und sie aus dem Fenster in ihrem Zimmer ihre Tante beobachtet, die die Haare in Locken über die Schulter fallen gelassen hat, wie sie in ein Taxi steigt und nach Osten davonfährt. April lässt ihren Blick durch den Garten wandern. An den gepflegten Dahlien und Lilien, dem gemähten Rasen und den gestutzten Büschen, ist es unmöglich nicht zu erkennen, dass sich Michelle täglich um ihren Garten kümmert.

„April? Ich bin da, was brauchst du?"

June hat ihre Haare hochgebunden und einen langen Rock zu einem kurzgeschnittenen Trägertop angezogen. Sie würde sich mit Trevor treffen und sie sieht bezaubernd aus.

„Grant arbeitet, Michelle ist weg und Emmett...Emmett ist sonst wo"

„Und du würdest gerne wissen wo er ist,", unterbricht sie June ohne mit der Wimper zu zucken, „Ich verstehe ja, April. Er ist der mysteriöse Mitbewohner, der einen auf Beschützer macht und immer da ist, wenn man ihn braucht, aber ich glaube nicht, dass er der Richtige ist. Vor allem nicht jetzt. Nach Blake und wo du doch so verletzlich bist..."

Aber ihre Worte sind in Aprils Ohren nur ein schwaches Rauschen, das überspielt wird durch das Arbeiten ihrer Organe, das Rattern ihres Gehirnes, welches die Zeit wieder zurückdreht und die Bilder, die sich vor ihrem geistlichen Auge wiederholt abspielen.

Sie sieht sich selbst in einem weißen Sweatshirt und einer willkürlich gewählten Jeans vor ihnen stehen, bereit sich bei ihrem Freund Trost zu suchen, da ihre beste Freundin nicht da war. Die Bilder haben keinen Ton, aber das brauchen sie auch nicht, weil keiner von dreien etwas sagt. Sie sieht sich am Absatz kehrtmachen und ohne Emotionen, ohne der Fähigkeit zu denken ins Auto zu steigen und wegzufahren. Ein weiteres Bild zeigt June wie sie ihre Schwester, aus der alles Leben gewichen zu sein scheint, ansieht und offenbar nicht weiterweiß. June, die sich mit verquollenen Augen fragt warum der Schock die Eltern verloren zu haben, bei ihrer Schwester erst fünf Stunden später eintritt. April sieht wieder die alte Dusche in ihrem früheren Badezimmer, wie sie sich bekleidet unter den Strahl stellt, in der Hoffnung, all seine Berührungen und all ihre Umarmungen von ihrem Körper zu waschen. Sie sieht auch June, die ihre ältere Schwester anschreit, das Wasser zudreht und ein Mädchen, das ihrer selbst ähnelt, jedoch nicht sie selbst ist. Nicht sie selbst sein kann. So leblos während ihre kleine Schwester sie umzieht und ins Bett legt, und sie nur auf die Decke starrt, als gäbe es kein Leben mehr für sie.

Sie erinnert sich, nachdem sie drei Stunden lang nur auf die Decke starrte, aufgestanden zu sein und in der Küche ihrer Schwester alles anvertraut hatte. Es war schrecklich, aber June war da und hatte sie im Arm gehalten. Sie war diejenige die mit dem Bus nach Downtown fuhr um Aprils Sachen aus seiner Wohnung zu holen, diejenige die Lucianas Schuhe ihrer ehemaligen besten Freundin zurückgab und diejenige die alle Bilder aus Aprils Schlafzimmer holte.

Vielleicht ist das der Grund wieso sie sich nicht anmerken lässt, dass es sie stört, dass ihre kleine Schwester ihr Ratschläge für ihre Beziehungen geben will.

June ist mittlerweile verstummt und sieht ihre Schwester unter den dünnen Augenbrauen an.

„June. Was redest du denn da?"

Ihre kleine Schwester zuckt nur mit den Schultern, während sie sich den langen Rock glattstreicht.

„Was ich sagen wollte, wir sind alleine. Und ich brauche deine Hilfe.", sagt April mit Nachdruck.

Be MineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt