Kapitel 6: Der Schock

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Als ich das nächste Mal meine Augen aufschlug, erschien mir alles wie ein Fiebertraum. Nichts von alledem konnte real sein. Ich musste es geträumt haben. Ich musste einfach.

Doch so kam es nicht

Ich lag erneut in einem hell erleuchteten Raum. Das kalte, grelle Kunstlicht blendete mich und ich brauchte einige Zeit, bis ich klar sehen konnte. Anders als in dem ersten Raum, in dem ich aufgewacht war, lag ich hier nicht am Boden, sondern auf einer Liege. Sie war mit Papier abgedeckt. Genau wie immer beim Arzt. Ich hatte auch einen neuen Anzug an. Meiner war voller Risse und Blut gewesen. Dieser hier sah genauso aus wie mein alter, nur sauber und neu. Doch er konnte nur das Blut und nicht die Erinnerung von mir nehmen. Alles in dem Raum war weiß. Die Wände, die Möbel und auch die Kleidung der Menschen, die ich in diesem Moment bemerkte. Ich allein stach erneut mit dem grauen Anzug und den blaue Wellen hervor. Die Personen saßen an der gegenüberliegenden Wand auf weißen Stühlen. Sie wirkten so platziert und gestellt, dass es fast schon lustig war. Aber eben nur fast.

"Yuki meine Süße! Da bist du ja. Ich wusste das du es schaffen wirst. Ich wusste es einfach. Von Anfang an!"

Seine Stimme erkannte ich sofort, doch trotzdem verblüffte mich der Anblick dieser Person. Es musste der Mann sein, der durch die Lautsprecher mit mir geredet hatte, als ich in dieser Halle festsaß. Ich hatte einen aufgeblasenen Schnösel mit übertriebener Frisur und schriller Kleidung erwartet, doch mir saß der gewöhnlichste Mann aller Zeiten gegenüber. Ich richtete mich langsam auf, um ihn und seine Begleiter genauer zu betrachten.
Er trug, genau wie die beiden anderen Männer neben ihm, einen Anzug ganz in weiß. Seine Frisur war schlicht aber schick und er wirkte sehr formell.
Während er mich mit einem Lächeln und strahlenden Augen anschaute, starrten mich die beiden anderen Männer so durchdringend an, dass mir ein kalter Schauder über den Rücken lief. Es fühlte sich an, als würden ihre Blicke direkt in meine Seele greifen. Mir viel auf, dass merkwürdigerweise alle von ihnen schwarze Haare hatten. Genauso tiefschwarz wie meine eigenen. In meiner Schule wurde ich immer bestaunt für meine Haare, doch hier schien ich mit der Masse zu verschmelzen.
Sie warteten darauf, dass ich etwas sagte, doch ich hatte nichts zu sagen. Nach einiger Zeit räusperte sich der Lautsprechermann.
"Yuka mein Schätzchen. Ich weiß, hier ist alles total verwirrend für dich. Aber keine Sorge, du hast deine erste Hürde gemeistert und das ist schon der erste Schritt in dein tolles neues Leben. Ist das nicht klasse?"
Erneut strahlte er mich an und schien erwartungsvoll. Doch ich war noch viel zu paralysiert von seinem Gerede.
"Mein tolles neues Leben?"
Ich spuckte die Wörter nur so vor mich hin, um ihm zu zeigen, was ich von diesem Leben hielt. Doch das schien er gar nicht erst wahrzunehmen.
"Ja genau! Jetzt sind wir endlich auf einer Wellenlänge. Ich wusste sofort, dass du etwas besonderes bist."
Ich konnte nicht verstehen, was er von sich gab und schaute ihn nur weiter an. Er schien darauf zu warten, dass ich etwas dazu sagte, doch was sollte ich schon drauf antworten? Ich hatte keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hatte. Ich wollte einfach nur nach Hause. Ich spürte, wie einige Tränen in mir aufkeimten, doch ich schluckte sie herunter. Ich hatte mich schon zu oft unterkriegen lassen.
"Was meinst du Yuka, sollen wir uns vielleicht mal über deine Zukunft unterhalten? Vielleicht unter zwei Augen?"
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich plötzlich. Er wirkte nun ernst und wies mit einer leichten Kopfbewegung auf die beiden Herren an seiner Seite. Es wirkte fast, als wollte er mich vor ihnen warnen. Oder mich auf etwas anderes hinweisen. Doch in diesem Moment meldete sich einer der Beiden das erste Mal zu Wort.
"Wir haben unsere Befehle, Sir. Wir werden das Mädchen keinen Moment aus den Augen lassen."
Kein einziger Muskel in seinem Gesicht schien sich zu regen und man konnte keine Emotionen erahnen. Er wirkte wie ferngesteuert.
Nun erschien mir der Lautsprechermann nur noch ernster, geradezu wütend.
"Sind sie sich sicher, dass sie uns nicht für einen Moment allein lassen können?"
Die Worte spie er aus seinem Mund wie ein Drache und ich wusste nicht, vor wen ich mich in diesem Moment mehr fürchten sollte. Er vollführte einige Handbewegungen, die ich zuerst nicht verstand. Er wollte mir irgendetwas sagen und schaute mich durchdringend mit einer fordernden Mimik an. Und plötzlich erkannte ich, was er mir sagen wollte, doch ich konnte es nicht verstehen. Er wollte mir sagen, dass ich die Beiden irgendwie loswerden sollte, doch wie konnte ich das tun?
Er sah meine Verwunderung und meine Verwirrung. Im nächsten Moment machte er eine Handbewegung, die mich an eine Welle erinnerte. Wollte er mir sagen, dass ich Wasser bändigen sollte? Doch hier war keins. Das musste ihm doch klar sein.
In diesem Augenblick wurde mir alles klar.
Ich sollte das anwenden, was ich gelernt hatte.

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