Kapitel 7 Nikki

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Der Flur den wir entlanggingen, kam mir unendlich lang vor. Jeder Raum, den ich bisher gesehen hatte, war einfach weiß. Alles war kahl und leer und ich fühlte mich verloren. In meinem grauen Anzug stand ich deutlich von meiner Umgebung ab. Und von meinen Begleitern.

Als wir endlich an unserem Ziel ankamen, brach in mir der kalte Schweiß aus. Ich hatte noch immer nicht realisiert, was James mir vorhin offenbart hatte. Alles was ich bisher erlebt hatte, soll falsch gewesen sein? Und meine Familie existiert nicht? Mum, Nikki...alles falsch?

Ich hatte nicht besonders viel Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn die Tür vor mir wurde entriegelt. Ein heller Lichtstrahl blendete mich im ersten Moment und ich konnte nichts sehen. Als sich meine Augen an das Licht gewöhnt hatten, sah ich, dass dieser Raum deutlich größer war, als ich erwartet hatte. Er glich eher einem Saal, in welchem mindestens hundert Leute zu sitzen schienen. Jeder einzelne von ihnen starrte mich an. Ich hatte jedoch keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, denn ich war wie gebannt. Während zu den Seiten des Raumes die Menschen auf Stühlen und Bänken am Boden saßen, war vorne eine Art Bühne errichtet worden, wo nur etwa zehn Leute saßen. Hinter ihnen standen ebenfalls einige, welche dem Anschein nach wie eine Schutzmauer agierten. Dass sie eine Machtposition einnahmen, war mehr als deutlich. Das Beeindruckendste jedoch war, dass jeder einzelne von ihnen mich unentwegt anstarrte. Blanker Hass schien mir entgegen zu kommen. Ich konnte jedoch meinen Blick nicht mehr von einer Person lösen. Nikki. Er stand einfach da, als einer der Beschützenden. Er schaute mich ebenfalls an, doch sein Blick schien mich einfach zu durchdringen. Er war vollkommen ausdruckslos. 

"Yuka, kommst du bitte?"

Als James mich leicht an meinem Arm zog, bemerkte ich erst, dass ich stehen geblieben war. Langsam löste sich meine Starre und ich ließ mich von ihm führen. Wir gingen gemeinsam zu einem kleinen weißen Tisch, welcher sich zusammen mit einem Stuhl einsam in der Mitte des Raumes befand. Er war mir bis dahin nicht einmal aufgefallen, doch als ich mich an diesen Platz setzen musste und allein gelassen wurde, brach noch mehr kalter Schweiß in mir aus. Es kam mir vor, als würde jede meiner Bewegungen genauestens untersucht. Ein falscher Atemzug, und sie würden mich umbringen, da war ich mir sicher. Doch trotzdem war ich nicht in der Lage, meinen Blick von Nikki zu lösen. Unendlich viele Gedanken schwirrten in meinem Kopf, und etwa doppelt so viele Fragen. Was machte er hier? Hatte James gelogen? Würde er mich retten? Viel Zeit zum Nachdenken blieb mir jedoch nicht, denn im nächsten Moment erhob sich einer der zehn Männer vor mir. 

"Yuka", sagte er nur. 

Ich wartete, bis er weiter sprach, doch es geschah nichts mehr.

"J-J-Ja?", fragte ich. Mein Herz klopfte so schnell, wie wahrscheinlich noch nie in meinem Leben. Mein Atem rasselte und ich konnte kaum sprechen.

"Yuka, du wurdest bereits darüber informiert, dass nun dein neues Leben beginnt. Es wird dir wahrscheinlich schwer fallen, dein altes hinter dir zu lassen, doch je schneller du dies tust, desto mehr Zeit sparst du dir. Unser Land, in welchem du nun lebst, nennt sich "Shaanti". Es bedeutet Frieden und kommt aus einer veralteten Sprache namens Hindi, die zu der Zeit, in der du aufgewachsen bist, noch gesprochen wurde. Der Frieden steht bei uns an höchster Stelle. Und genau da kommst du ins Spiel."

Mit einem Mal, veränderte sich die Stimmung im Raum. Als ich mich umblickte, sah ich, dass die meisten Menschen mich nicht mehr böse, sondern nun freudig anschauten. Einige lächelten, andere strahlten, doch einige, wenn auch wenige, sahen mich weiter feindselig an. Auf der Bühne wurden die Blicke den Leute weniger hart, doch Nikki Blick veränderte sich in keiner Weise. 

"Du bist etwas besonderes," fuhr der Mann fort. "Du hast die Gabe, das Wasser zu bändigen. Das macht dich zu einer ausgezeichneten Kriegerin. Da du danach noch auf so eine exzellente Weise deine Prüfung bestanden hast, hat dein Schicksal bereits besiegelt. Du bist eine der wenigen, die für unsere Armee ausgewählt wurde. Das ist eine der größten Ehren, die jemandem hierzulande zuteil werden kann."

Noch bevor er ausgesprochen hatte, kam Jubel durch den Raum. Die Leute pfiffen, klatschten und riefen meinen Namen. Ich war vollkommen überfordert und verstand nichts mehr. Der Mann vor mir vollführte eine Geste, und der Saal wurde still. 

"Nun Yuka, kommt der erfreulichste Teil für dich. Ich frage dich nun, möchtest du in unserem Land leben, in Shaanti? Und unsere Regeln befolgen? Und unserer Armee angehören?"

Die Stille die herrschte, nachdem er aufgehört hatte zu reden, schien mich zu erdrücken. Alle sahen mich gespannt an und warteten auf eine Antwort. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich verstand nichts und ich wollte auch nicht verstehen. Ich wollte nur nach hause. Mir stiegen die Tränen in die Augen.

"Yuka, du solltest dich nun entscheiden. Auf der einen Seite steht eine große Ehre, ein erfülltes Leben und alles, was du brauchst. Auf der anderen Seite steht das Nichts. Also, entscheide dich. Sag einfach ja, und das Glück wird dir garantiert."

Ich wollte nichts sagen. Ich wollte nach hause und mich in meinem Bett verkriechen und nie wieder rauskommen. Ich wollte einfach nicht hier sein. Doch irgendwie musste ich diese Situation enden lassen. Was er mir versprochen hatte, klang gut und schön, doch ich vertraute diesen Leuten nicht. Doch ich vertraute James und wusste, dass er mir helfen würde. Zwar wusste ich nicht, was auf mich zukommen würde, aber ich hatte keine andere Wahl. Ich räusperte mich leise und sagte ja, obwohl dies fast nur ein Flüstern war. Die Menge tobte wieder, doch diesmal deutlich mehr. Manche sprangen auf, riefen mir zu und weinten sogar. Wieder wurde mein Name geschrien, geklatscht und gejubelt. 

"Herzlichen Glückwunsch Yuka. Von heute an bist du Yuka Shaanti, eine Ehrenbürgerin unseres Landes und ein Mitglied der Friedensarmee. Du wirst nun entlassen."

James kam auf mich zu und hinter ihm zwei Wachen. Ich stand auf und er schüttelte mir die Hand. Er lächelte, doch ich war noch immer zu überfordert. Als ich wieder auf den Platz schauen wollte, an dem Nikki gewesen war, war er verschwunden. Ich wurde aus dem Saal geführt.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 23, 2017 ⏰

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