Entscheidung um Leben und Tod

102 4 1
                                    

Ich wusste nicht wie ich den restlichen Tag umbekommen hatte ohne ein weiteres Mal auszurasten.

Kaum wieder auf dem Gut hatte ich mich umgezogen und war in den Sattel gestiegen. Meinen Kopf freibekommen und meiner Leidenschaft folgen. Mich den Pferden hingeben mit jeder Faser meines Körpers, alles vergessen. Nur das Pferd, der Reitplatz und ich. Das hatte ich gebraucht.

Aber auch hier lief nicht alles rund. Mit einem mal war eine Ecke gruselig oder das Rauschen der Bäume. Alle Pferde schienen einen scheiß Tag zu haben oder zu spüren, dass ich einen solchen leider Gottes hatte.

Mit zitternden Händen, frustriert und mich zerbrechlich fühlend stieg ich vom letzten Pferd und übergab es an meinen Pferdepfleger. Ich hatte einfach keine Kraft es selbst abzusatteln.

Mir war zum Heulen zumute. Aber ich riss mich zusammen. Es war nur dieser eine Tag! Nimm dir nicht selbst den Wind aus den Segeln. Ermahnte ich mich selbst. Es änderte trotzdem nichts an meinem Gemütszustand. Mir ging es richtig mies.

Ich holte Karlchen von meiner Grandma und versuchte mir nichts anmerken zulassen. Sie schien wohl selbst genug um die Ohren zu haben. Mein Glück sonst hätte ich mir wer weiß was anhören müssen.

"Wann bist du morgen Zuhause?" fragte sie stattdessen. "Gleiche Zeit wie sonst auch. Warum?" es verwunderte mich etwas, dass sie mich das fragte. "Kannst du morgen eventuell etwas früher kommen? Wir müssen reden" sagte sie ruhig, aber gleichzeitig auch total betrübt. Was war los?

Karlchen hoppste aufgeregt vor mir herum und ich entschied mich zu gehen, da ich dass Gefühl hatte sie wäre jetzt gern alleine.

Auch mir war es mehr als recht. Ich war einfach zu kaputt um noch ein Ernsthaftes Gespräch zuführen.

In meiner Wohnung ließ ich mich entkräftet auf mein Sofa fallen. In dem Moment hätte ich gerne jemanden gehabt der mich in den Arm nahm. Mir sagte es wäre einfach nur ein scheiß Tag gewesen. Schlussendlich rannen mir doch Tränen über die Wangen. Ich musste einfach alles rauslassen. Es war zu viel! Alles war zu viel!

Ich entschied mich Jo anzurufen. Er würde mich auf andere Gedanken bringen. Jedoch hatte er sein Handy wohl schon aus oder schlief schon und wenn Jo einmal schlief war es schwer ihn wach zu bekommen.

Ich skipte das Abendessen. Mir war nicht danach! Ungesund ich weiß, aber es war mir egal.

Warum tat ich mir das alles nur an? Hatte ich wirklich geglaubt dass alles so einfach wäre? Hatte ich geglaubt ich könne mich wirklich in der Männerdomäne durchsetzten?

Wie dumm war ich dich gewesen! Ich würde scheitern! Kläglich scheitern. Alles an die Wand fahren!

Am Morgen wäre ich am liebsten gar nicht erst aufgestanden. Heute ging es darum sich mit den Expansionsplänen auseinander zusetzen und zu überlegen welche Firmen an Mitbewerber verkauft werden könnten. Wieder war ich umgeben von diesen Schwachköpfen und dann war da noch Grandma die mir etwas wichtiges sagen wollte.

Die Treffen ließ ich irgendwie über mich ergehen. Kopfschmerzen und einen halben Wutausbruch inklusive.

Wieder Zuhause entspannte ich mich wieder etwas, aber es legte sich gleichzeitig eine andere Art der Nervosität auf mich. Die Form die einem Angst macht. Angst vor dem was gesagt werden würde.

Grandma saß an ihrem Esszimmertisch, als ich rein kam. Ruhig sah sie mich aus ihren inzwischen schon so alt gewordenen smaragdgrünen Augen an. Auch die Hunde waren ruhig. Etwas stimmte nicht.

Ohne ein Wort ließ ich mich ihr gegenüber an den Tisch sinken. Sie saß da einfach nur und sah mich an. Ruhig und gleichzeitig auch unglaublich traurig.

Ein mattes Lächeln legte sich auf ihre Lippen "Ich bin so stolz auf dich!" fing sie an. "Du hast dich so toll gemacht. Ich gebe es offen zu. Manchmal hatte ich echt meine Zweifel. Cady, Darling du bist mir unglaublich wichtig und ich wünschte ich hätte es dir früher sagen können. Aber dazu fehlte mir der Mut und ich wusste auch nicht wie du mit meiner Entscheidung umgehen würdest." Welcher Entscheidung? Ihr brach die Stimme weg und sie holte tief Luft "Cady. Ich habe Krebs" mein Herz hörte in dem Moment kurz auf zuschlagen, meine Hände zitterten und mein Atem stockte.

Nein das durfte nicht sein! Nicht meine Grandma.

Unbeirrt von meinem schockierten Blick redete sie weiter "Die Ärzte haben mir zu einer Chemotherapie angeraten, aber ich habe mich dagegen entschieden. Ich habe mein Leben gelebt. Ich habe alles erlebt was ich erleben wollte. Irgendwann muss meine Zeit vorbei sein und ich sehe es als Wink des Schicksals, dass es nun zum Ende hingeht" Ich starrte sie gefühlte 10 Minuten ungläubig an. "Das kannst du mir nicht an tun! Wen hab ich noch außer dir?!" ich konnte nicht anders. Ich schrie sie an. Ich wollte es nicht verstehen! Ich wollte mich nicht erwachsen verhalten und so tun als könnte ich es nachvollziehen. "Cady, bitte versteh mich doch! Ich habe mein Leben gelebt und ich gehe lieber so, als wenn ich  unglaublichen Schmerzen über mich ergehen lassen muss. Auch ich kann nicht ewig Leben! Ich kann nicht für immer bei dir sein, so gern ich es auch wäre. So haben wir wenigstens die Chance Abschied von einander zu nehmen und der Tod kommt nicht ganz so plötzlich" eine Träne rann ihr die Wange runter. Mir schnürte sich die Kehle zu. Ich sprang auf. Ich konnte nicht sitzen bleiben.

Karlchen lief hinter mir her und huschte gerade noch so aus der Tür bevor sie ins Schloss fiel.

Jetzt flossen auch bei mir die Tränen. Ich wollte sie um keinen Preis verlieren. Sie war meine Familie. Sie war der letzte Rest der seit zwei Jahren übrig war. Wenn sie nun auch ging war ich allein.

Mein Welt brach nun endgültig in einen Scherbenhaufen. Ich wusste in diesem Moment nur eine Person die ich bei mir haben wollte.

Ich zog mein Handy aus der Hosentasche und tippte auf Jos Kontakt. Er wäre um diese Uhrzeit am Stall und saß mit etwas Glück noch nicht im Sattel. Heiße Tränen rannen mir immer noch die Wangen runter und versperrten mir die Sicht.

Irgendwie schaffte ich es trotzdem ihn anzurufen. Er ging ran. Kurze Erleichterung durchflutete meinen Körper "Hey" meldete ich mich und wurde direkt von einer zweiten Welle des Schmerzes erfasst. "Cady was ist los?" schaltete er zum Glück sofort. Ihm war die Sorge um mich deutlich anzuhören. "Kannst du kommen? Bitte!" flehte ich ihn sofort an. Er schien wohl zu spüren wie ernst die Lage war, denn er sagte "Ja. Ich muss nur morgen früh wieder fahren." "Das ist mir egal. Ich brauche dich gerade einfach!"

Ich brauchte seine unerschöpfliche Ruhe, seine Gelassenheit. Nein das Gesamtpaket Johan Joakim Sjögren.

"Ich machen mich sofort auf den Weg. Und jetzt Versuch du dich erstmal wieder etwas zu beruhigen." versicherte er mir und ich brachte leider Gottes nur ein zustimmend klingendes Wimmern heraus. "Alles wird wieder gut" Er wusste nicht wie verdammt falsch er damit lag.

Nichts würde wieder gut werden. Jedesmal wenn ich eine dieser scheiß Scherben, die Einst meine heile und schöne Welt war, aufhob schnitt ich mich tief und verletzte leider nicht nur mich sondern auch alle Anderen um mich herum. Besonders ihn und das würde ich mir nie verzeihen können. Niemand würde mir das verzeihen können.

A love like warWo Geschichten leben. Entdecke jetzt