1. Springflut

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Mit einem ohrenbetäubenden Krachen, gefolgt von panischen Schreien der Soldaten, zerbarst das erste Schiff der Flotte an der steilen Felswand.
Spätestens jetzt waren die Männer auf den umliegenden Schiffen, sofern sie nicht vom unnatürlich hohen Seegang geweckt worden waren, in höchster Alarmbereitschaft.
Keiner hatte mit so einer starken Springflut gerechnet, schon gar nicht in dieser Gegend. Panisch rannten die Soldaten umher, von der sonst so geordneten Formation war nicht mal ein Ansatz zu sehen. Für die meisten war dies der erste Einsatz so weit westlich, für einige sogar die erste Schlacht.
Aber vor dem eigentlichen Krieg schon von Wind und Wasser besiegt zu werden, hätten sich selbst die unerfahrensten Söldner nicht vorstellen können.
Seit zwei Tagen ankerte die Flotte schon vor Venthak, der Insel des Windes. Hier lebten Stämme, die genauso stark und wild waren, wie die Naturgewalten, die über die Insel herrschten. Anstatt gegen sie anzukämpfen, lebten sie mit und von ihnen. Das hatte sie abgehärtet und erfahrenen Kämpfern gemacht.

Die Kundschafter, auf die gewartet wurden, waren noch nicht zurückgekehrt. Der Grund dafür war noch unklar, man ging aber vom schlimmsten aus.

Ganz im Gegensatz zu Cantaleen, dem Heimatland der Soldaten, könnte man diesen Landstrich als wild, ungezähmt und voller Gefahren beschreiben. Eine Schande, so ein Gebiet in der Nähe des eigenen Imperiums zu haben, da war sich Victoan, der Herrscher des Reiches, sicher. Aus diesem Grund startete vor einem Monat der Feldzug um Venthak einzunehmen. Dann würde Cantaleen eine nie zuvor dagewesene Größe erreichen.

Der gefürchtete Kriegsveteran Victorian stand in diesem Moment am Bug seines Schiffes und brüllte mit aller Kraft Befehle in die Nacht. Sein regendurchnässter Umhang flatterte im Sturm und er hatte Mühe, auf dem rutschigen Deck das Gleichgewicht zu halten.
Er hatte schon viele Stürme miterlebt, dieser hier war nicht der schlimmste, aber die einströmende Flut und der starke Wind, der die Schiffe gegen die Felswand drückte, machten das Manövrieren unmöglich.
Damals, bei der Schlacht von Asystros hatte er selbst eine vierzig Meter hohe Welle überlebt, und davongekommen war er nur mit einer langen Narbe, die sich quer über sein Kinn und seinen Hals zog. Diese Narbe ließ seinen rechten Mundwinkel auf ewig nach unten hängen, trotzdem war der mächtigste Mann Cantaleens stolz auf sie.

Noch erfüllten die meisten Anker ihren Zweck, aber wie lange die dicken Taue dem Zug noch standhielten, konnte Victoan nicht sagen.
Pessimistisch konnte man ihn nicht nennen, aber er wusste jetzt schon, dass die Mission zum Scheitern verurteilt war.
Auch wenn sie das hier überlebten, hatten sie keine Nahrung mehr, genug seetüchtige Schiffe erst recht nicht. Und dann auch noch barbarische Horden von Wilden, die nur auf einen passenden Augenblick warteten, aus dem Hinterhalt anzugreifen.
Mit anderen Worten, er hatte versagt. Man konnte von Glück reden, dass seine restlichen Feldzüge so erfolgreich gewesen waren, ansonsten hätte er es nie bis auf den höchsten Posten Cantaleens geschafft.
Aber er konnte nur hier stehen und zusehen, wie seine teuren Galeeren eine nach der anderen zu Bruch gingen, und über die bevorstehende Niederlage nachdenken.
Victoan schrie seinen Frust gegen den Wind.

Da legte sich Hand legte sich auf seine Schulter und ließ ihn herumfahren.
Durch den strömenden Regen hatte der Veteran die Schritte nicht kommen hören. Ein Offizier musste immer wachsam sein, vor allem im Krieg.
Victoan war ehrgeizig, und solche kleinen Fehler ärgerten ihn.
Obwohl er in das Gesicht seiner Tochter blickte, blieben seine Muskeln angespannt.

Ferrya zog ihre Hand schnell wieder weg, da der kalte Wind sie fast über die Reeling geweht hätte.
Mittlerweile hatte sie es aufgegeben, die schweren, nässen Strähnen ihres kupferfarbenen
Haares aus ihrem Gesicht zu streichen.

"Ferrya, geh wieder nach unten, hier ist es zu gefährlich." bellte ihr Vater sie an.
Victoan schien nicht begeistert, sie hier zu sehen.
"Könntest du da unten hocken, wenn du weißt, dass das Boot jeden Moment untergehen wird?"
schrie sie gegen den Wind an.
Er wusste, sie hatte recht, trotzdem wollte er sie in Sicherheit wissen.
Als Antwort wandte er sich ab, und rief einigen untätig an der Treppe zum Laderaum kauernden Soldaten zu, sie sollen gefälligst ans Steuer gehen und sich nützlich machen.

Eine Frau an Bord bringt Unglück, hatte einer der höheren Offiziere im Scherz gesagt, als bekannt wurde, dass Lady Ferrya mit an Bord gehen würde. Victoan hatte ihn anschließend zum Fußsoldat degradiert.
Er hatte seine Gründe, warum er sie mitnahm. Und das lag nicht daran, dass er sie gern hatte.
Es war nur, dass Ferrya im Kampf einige Vorteile mit sich brachte, die ihm zum Sieg verhelfen könnten. Wenn er es nicht selber gesehen hätte, hätte er es nie für möglich gehalten, dass jemand Kontrolle über Metall hatte. Ihre Begabung zeigte sich im Alter von vier Jahren.
Es fing mit zerbogenen Löffeln an und führte bis zu tonnenschweren Metallblöcken, die sie mit Leichtigkeit in der Luft schweben lassen konnte.
Niemand sonst wusste es, Victoan hatte großen Wert darauf gelegt, niemanden davon erfahren zu lassen.
Er fühlte sich gut, einen so großen Wert in seinem Besitz zu wissen.

In der Ferne sah er ein Schiff davontreiben, dessen Ankerleine nicht gehalten hatte.
Ein unglücklicher Verlust, aber verkraftbar.

Ferrya stand immer noch mit beiden Händen krampfhaft an die Reeling geklammert neben ihm und wusste nicht, ob die schemenhaften Trümmerteile, die im schwarzen Wasser vorbeitrieben, wirklich Holz waren.
Wenn sie nicht aufgepasst hätte, läge sie jetzt auch schon dort unten.
Eigentlich glaubte sie nicht an Götter, aber jetzt murmelte sie ein Gebet für alle, die noch die Chance hatten, zu überleben. Und auch für die, die dort unten ihre Erlösung gefunden hatten.

Zwischen den FrontenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt