Quietschend geht die Tür auf.
Mein Gefängnis ist der alte, nur mit einer Gittertür versehene Aufzug des ehemals glamourösen Hotels Dumort.
Hier drin ist es duster und staubig. Und kalt auch, aber das macht mir nichts. Ich bin ja schließlich Vampir.
Nur der Staub ist ein bisschen nervig.Jemand wird hereingestoßen, auf den zweiten Blick erkenne ich, dass es Simon ist. Ich habe gehofft, er wäre so schlau und hätte sich nicht von Maureen schnappen lassen, aber anscheinend wurden meine Gebete nicht erhört.
Wie denn auch.
Die Tür wird wieder zugesperrt und Simon blickt sich um. „Wer ist da?", fragt er.
Er hat mich wahrscheinlich atmen gehört oder hat Schemen gesehen aber er weiß nicht, wer ich bin. Vielleicht wäre es besser, wenn das auch so bleiben würde, aber ehe ich den Gedanken zu Ende gedacht habe, trete ich auch schon in den, mit schwachem Licht erhellten, vorderen Teil des Aufzuges.„Du", seufzt er und lässt sich an der Aufzugwand hinabgleiten.
„Toll."
„Wie ich sehe, freust du dich mich zu sehen", stelle ich fest und meine Stimme trieft nur so vor Ironie.
Das ist immer so. Ich kann einfach nicht nett zu Simon sein und weiß nicht wieso. Na gut, eigentlich schon. Ich glaube ... Ich glaube einfach, dass ich ihn mag. Sehr mag. Nicht im Sinne von Freundschaft, sondern im Sinne von Liebe. Einfach so, mit der Zeit. Wie bei jedem unserer Treffen mustere ich ihn.
Er sieht erschöpft und abgekämpft aus. Seine Haare sind zerzaust, sie stehen in alle Richtungen ab. Irgendwie süß. Sein Gesicht ist voller Kratzer, die dabei sind, zu heilen. Er blickt zu mir auf.
„Nein, eigentlich nicht", antwortet er genauso kalt wie ich.Ich wünschte, ich könnte ihm sagen, wie sehr ich ihn eigentlich mag.
Aber ich habe Angst, Angst, dass er mich zurückweisen wird. So etwas ist mir in den siebzig Jahren, die ich jetzt schon lebe, noch nie passiert.
Immer bin ich selbstbewusst gewesen, immer habe ich alles riskiert, da ich ja nicht sterben konnte. Jedenfalls nicht auf herkömmliche Art und Weiße. Und jetzt, wenn es wirklich wichtig ist, jetzt wo es drauf ankommt, jetzt habe ich Angst.
Ich schüttele den Kopf. Simon sieht mich mit gerunzelter Stirn an. „Ist was?"
„Egal, vergiss es", sage ich, bewege mich in die andere Ecke des Aufzuges und setze mich ebenfalls auf den Boden.
„Also, wie bist du hier hergekommen?", frage ich, um die etwas klägliche Konversation aufrecht zu erhalten.
Simon schnaubt.
„Ja wie wohl, was denkst du denn? Dass ich von alleine herkomme? Sie haben mich geschnappt, es waren einfach zu viele. Wie in einem schlechten Actionfilm."
Er lässt den Kopf auf seine angewinkelten Knie sinken. „Warum?", murmelt er, mehr zu sich selbst.
„Warum bist du hier?", fragt er dann nach einiger Zeit. „Heh, was denkst du denn, Tageslichtler? Ich kann nirgendwo anders hin. Bei Tagesanbruch bin ich, im Gegensatz zu dir, tot, also musste ich hier herkommen. Natürlich haben sie mich eingesperrt."Simon runzelt die Stirn.
„Du kannst nirgendwo anders hin?"
„Nein", erwidere ich.
„Warum?", fragte er.
„In den fünfhundert Jahren, die ich jetzt schon lebe, habe ich sehr viele Freunde gewonnen, aber mindestens dreimal so viele Feinde, die mich sehr gerne zerstückelt in einem Karton per Post verschicken würden."
Simon nickt nur langsam, dann herrscht sehr lang Stille. Irgendwann ist er eingeschlafen, wahrscheinlich vor Erschöpfung und um nicht mit mir reden zu müssen.
Um meine Anwesenheit nicht zu spüren.
Ich weiß, wie abweisend ich zu ihm bin und ich spüre jedes Mal einen Stich, ihn von meinen Worten verletzt zu sehen, jedes Mal wenn ich spreche. Doch ich kann es nicht verhindern. Ich tue das zu meinem eigenen Schutz. Ich weiß, dass Liebe glücklich, aber auch unendlich traurig machen kann, deshalb schütze ich mich, indem ich ihn abweise. Eigentlich will ich seine Haare verwuscheln, ihm tief in die Augen sehen, seine Lippen auf meinen spüren, und jedes Mal, wenn ich mit ihm spreche, bricht es mir fast das Herz. Aber ich kann es ihm nicht zeigen. Jetzt schläft er, den Kopf an die Wand gelehnt. Tiefe, gleichmäßige Atemzüge. Wie gern hätte ich mich neben ihn gesetzt, aber es geht nicht.Simon öffnet ein Auge.
„Was glotzt du so?", fragt er. Er ist wach? Mist.
„Ich überlege, wie lange ich es wohl noch mit dir in einem Raum aushalten kann, ohne verrückt zu werden."
Dios, warum habe ich das gerade gesagt?
Er seufzt und setzt sich auf.
„Warum? Warum hasst du mich so? Ich habe dir nichts getan!" Ich stehe auf und gehe langsam auf ihn zu. Erschrocken sieht er mich an und steht ebenfalls auf.
„Du hast mir nichts getan?", zische ich leise.
„Ähem...ja?", erwidert Simon, „Nicht das ich wüsste. Aber wir kennen uns ja auch noch nicht so lange, du musst mir schon ein bisschen mehr Zeit geben."
Meine Mundwinkel heben sich leicht, doch ich zwinge sie sofort wieder zurück. Jetzt bloß nicht lächeln. Auch wenn er, erschrocken wie er ist und an der Wand lehnt, sehr süß aussieht. Keine Schwäche zeigen. Ich stehe nur noch einen halben Meter von ihm entfernt und sehe ihm in die Augen. Er starrt zurück, ohne Furcht. Das gefällt mir. Er ist zwar allgemein etwas ängstlich, doch wenn es darauf ankommt, kann er ziemlich furchtlos sein.
„Und ob du mir etwas getan hast. Die letzten vier Monate musste ich mich praktisch jeden Tag um dich kümmern." Es entspricht weitestgehend der Wahrheit, er versteht es nur falsch. Seine Augen sind glasig, ich kann die Müdigkeit darin sehen, obwohl er geschlafen hat.
Aber dennoch sind sie so wunderschön, der dunkelbraune Farbton und das Strahlen, das irgendwo aus dem Inneren herauskommt. Doch da spricht noch ein Gefühl aus seinen Augen. Es sieht aus wie ... Nein! So darf ich nicht denken, ermahne ich mich. Es ist wahrscheinlich Hass.
Ich nehme sein Handgelenk. Seine Haut ist blass, ich kann die Adern darunter sehen. Er muss sehr hungrig sein. Aber ich kann ihm nichts geben, auch wenn ich es gerne getan hätte. Aber das würde ich natürlich nie offen zugeben. Es ist ihm sichtlich unangenehm und er versucht, die Hand zurückzuziehen. Ich lasse es zu.
„Also, kommt jetzt noch was oder darf ich mich wieder hinsetzen und schlafen?", fragt er sarkastisch, nachdem ich mehrere Minuten lang einfach nur vor ihm gestanden, ihn angeglotzt und nichts gesagt habe.
Ein leichtes Grinsen huscht über sein Gesicht.
„Hallo! Erde an Raphael!" Er ist ganz schön mutig, wie gesagt, ich find's cool.
„Also, wenn's dir nicht ausmacht, ich würde gerne schlafen." Er gähnt demonstrativ. Dann stößt er sich leicht von der Wand ab. Nur noch wenige Zentimeter trennen uns. Ich muss aus meiner Starre herauskommen und zwar sofort. Sonst würde es lächerlich wirken. Ich schüttele schnell den Kopf.
„Nicht bewegen!", befehle ich. Er erstarrt sofort und sieht mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an.
„Was ist?", fragt er leicht panisch. Seine Augen gehen zum Ausgang, auf der Suche nach etwas gefährlichem.
„Was ist denn?", fragt er wieder.
Diese Panik macht ihn noch süßer, zusammen mit den vollkommen zerstörten Haaren. Und diese Augen. Ich kann nicht. Ich kann mich nicht länger zurückhalten. Schnell stelle ich mich auf die Zehenspitzen, lege meine Hände auf seine Oberarme und küsse ihn sanft.Erschrocken erstarrt er. Damit hat er nicht gerechnet, jedoch entspannt er sich relativ schnell wieder. Seine Lippen sind noch weicher als sie aussehen.
Ich hätte diesen Moment gerne angehalten und für immer in ihm gelebt, doch auf einmal fällt mir etwas auf. Er erwidert den Kuss, er wehrt sich nicht im Geringsten. Warum? Ich löse mich von ihm und sehe ihn mit großen Augen an. Ich verstehe gar nichts mehr.
Simon schaut mit ebenso großen, dunklen Augen zurück. Ich kann sehen das er genau dasselbe wie ich fragen will wie ich: Warum?
In diesem Moment würde ich alles dafür geben, größer zu sein als er, nur um nicht so hilflos zu ihm aufblicken zu müssen. Dennoch tue ich es und da war er wieder.
Dieser Ausdruck in seinen Augen, den ich schon zuvor gesehen habe. Das ist kein Hass, das ist tatsächlich Sehnsucht. Ich will anfangen zu sprechen, doch diesmal ist er es, der sich vorbeugt und sanft seine Lippen auf meine legt. Erst ganz langsam, doch dann wird er leidenschaftlicher. Nicht das es mich gestört hätte, nein, eigentlich ist es mir immer noch nicht genug.
Ich lege meine Hände auf seine Taille, während er seine Arme auf meine Schultern legt. Es fühlt sich gut an doch er muss mir erklären warum. Ich löse mich wieder von ihm und frage genau das:
„Wieso?"
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op•po•site [Saphael]
Storie breviEigentlich hassen Simon und Raphael sich abgrundtief. Eigentlich. Doch als sie von ihrem gemeinsamen Feind in einen Aufzug gesperrt werden, kommen so manche Geheimnisse ans Licht...