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Sie ließ sich leicht nach unten gleiten. Das Wasser umschlang angenehm wärmend ihren Körper. Sie schloss ihre Augen und tauchte ihren Hinterkopf in das bläuliche Schaumwasser. Zuerst genoss Sie gedankenlos die friedliche Ruhe. Es schien, als könne Sie für einige Sekunden, die sich zu Minuten hinzogen, aus der lauten, schmerzenden Realität, die Sie in die endlose Erschöpfung sog, entkommen. Das einzige Geräusch, das ihre Ohren erreichte, war ein leises Surren, dessen Ursache Sie nicht deuten konnte. Langsam öffnete Sie ihre Augen und richtete den Blick an die Decke. Sie wusste nicht, ob in ihrem Kopf zu viele oder gar keine Gedanken waren. Vorausgesetzt es gab überhaupt diesen Zustand der Gedankenlosigkeit. Ihre Hände legte Sie stützend an ihren Schädel. Über ihr sammelte sich der warme Dampf, welcher immer weiter empor stieg. Er zog förmlich an ihren Augen vorbei, hinauf in die Lichtstrahlen der Lampen. Es schien, als läge Sie in einem Feld aus Menschen, die Weed konsumierten. Sie wollte alles vergessen, was in der Welt passierte. Einfach den Kopf frei bekommen. Der Geruch des Badeschaums stieg in ihre Nase. Sie wusste nicht, ob sie diesen Geruch als himmlischen Duft oder abscheulichen Gestank wahrnehmen sollte. Sie wusste gar nichts. Nach kurzer Zeit des an-die-Decke-Starrens fiel ihr die Spieglung des Wassers an dieser auf. Friedlich tanzten die hellen Abbildungen des sich leicht bewegenden Wassers an der weißen Decke. Ein Hauch der Harmonie durchströmte Sie. Sie schloss ihre Augen, um diesen ein wenig Erholung zu schenken. Die unerträgliche Müdigkeit, die Sie ständig mit sich herum schleppte, brachte Sie täglich um ihren letzten Energievorrat und machte sie fertig. Eine Frage schlich sich in ihren Kopf. 

„Wer bin ich?" 

Als wäre das nicht genug, gesellten sich mehr und mehr Fragen dazu, dessen Antworten Sie nur in Bruchteilen finden konnte.

„Was will ich?" 

„Was brauche ich?"

 „Wen brauche ich?" 

„Wieso bin ich dieser Mensch.. diese Seele in meinem Körper?" 

„Wieso denke ich immer nur an mich?"

 „Denke ich überhaupt immer nur an mich? Ist das nicht der erste Schritt um zu werden, wer man ist?"

„Wieso denke ich ständig darüber nach?" 

Was Sie nicht wollte, war ihr bewusst. 

Hass

Rassismus

Sexismus 

Faschismus 

Homophobie

Kapitalismus 

Und vor allem wollte Sie die Welt auf keinen Fall so lassen, wie sie jetzt war. Die einzige Frage, die Sie mit relativer Sicherheit beantworten konnte, war die Letzte. „Wieso denke ich ständig darüber nach? Weil mir die Zeit fehlt. Mir fehlt die Zeit, um die restlichen Fragen beantworten zu können. Man möchte behaupten, heutzutage hätte man mehr als genug Zeit doch dem ist nicht so. Das einzige, worum sich das Leben dreht ist die Schule und dein späterer Beruf. Scheiß drauf, ob du glücklich wirst oder nicht. Hauptsache du funktionierst." 

Mit der Hoffnung, ihrer Gedankenwelt zu entkommen, öffnete Sie die Augen. Ihr Blick fiel auf den weißen Schaum, der sich an dem inneren Rand der Badewanne gebildet hatte. Sie streckte ihre knochigen Finger danach aus. Langsam begann Sie, den Schaum in ihren Händen zu verteilen und zu drehen. Fasziniert betrachtete Sie die schwammartige Oberfläche des weißen Schaumberges von allen Seiten. Die bunten Reflektionen des Lichtes auf den einzelnen Bläschen luden zum Träumen ein. Jeder Andere hätte sich kaum um diesen Schaum, geschweige denn dessen Struktur oder Farbe geschert. Sie war bei so etwas immer ein wenig spezieller. Was für andere „normal" und unspektakulär war, weckte ihr Interesse und zog Sie in den Bann. Langsam tauchte Sie wieder komplett aus dem Wasser auf. Sofort nahmen ihre Ohren wieder das Brummen der harten Realität wahr. 

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