Es gibt Menschen, die ich liebe. Es gibt Menschen, die ich hasse. Und es gibt da noch Nia. Eine Spezies für sich. Ich beobachte ihn von der anderen Seite des Klassenzimmers. Er ist sehr sonderbar. Ab und zu steht er nur mit depressivem Gesichtsausdruck in der Gegend rum. Einige Mädchen finden ihn interessant und anziehend. Und nicht nur sie. Ich auch. Er starrt aus dem Fenster und scheint nichts um sich herum wahrzunehmen. Eine Zeit lang hatte er rosa gefärbte Haare, dann blaue, aber seit kurzer Zeit hat er lilane. Die Farbe ist allerdings inzwischen auch schon ziemlich ausgewaschen. Ich habe grüne Haare. Und mein bester Freund Vik hat blonde. Das lila steht Nia gut. Er hat intensiv blauen Augen. Ich habe sie noch nicht oft gesehen. Mich schaut er nie an. Aber er schaut sowieso fast niemanden an. Der Himmel ist wohl interessanter.
"... Antonio?" Ich zucke zusammen.
"Hä, was?" Unser Mathelehrer Herr Schrek sieht mich böse an, während der Rest der Klasse kichert. Alle außer Nia und Vik. Nia scheint so was nicht zu interessieren. Und Vik schaut mich eher mitleidig an. "Du sollst diese Gleichung lösen. Aber anscheinend findest du den Unterricht nicht interessant. " Das stimmt. Ich finde den Unterricht tatsächlich langweilig. Das liegt auch am Lehrer. Er hasst mich. Und das lässt er mich auch spüren. Er ist auch die einzige Person, die mich Antonio nennt. "Komm am Ende der Stunde nach vorne. Nach ein bisschen Zusatz Arbeit passt du vielleicht ja besser auf." Ich schnaube leise auf. Sogar jetzt spricht er noch so ruhig. Wenn er wenigstens schreien würde. Und er weiß genau, dass ich mich eh total abhetzen muss, um meinen Bus zu erwischen. Der nächste fährt erst eine Stunde später. Wir haben aber nur noch 5 Minuten. Gott sei Dank. Länger hätte ich es nicht ausgehalten. Ich versuche, Nia nicht anzustarren. Ich versuche es wirklich. Es funktioniert nur nicht. Mein Blick gleitet automatisch zu ihm. Unser Lehrer lässt mich zum Glück den Rest der Stunde in Ruhe. Als es gonkt rennen alle anderen aus der Klasse. Nur Nia läuft langsam aus dem Zimmer. Und ich muss vor zu Herr Schrek. "Ich würde mir wünschen, dass du im Unterricht aupasst. Sonst musst du wohl nacharbeiten. Das wollen wir doch beide nicht. In Ordnung?"er spricht so ruhig wie immer. Ich nicke nur und will schon gehen, ich hatte auch schon die Tür halb geöffnet, als er noch sagt "Ich kann verstehen, dass man in deinem Alter an anderem interessiert ist. Und ich habe auch nichts gegen deine Sexualität. Und Steven ist sicher eine interessante Person. Aber das ist keine Entschuldigung." Er ist auch der einzige, der Nia Steven nennt. Aber warte mal was hat er gesagt... als ich merke, was er gerade gesagt hat werde ich sofort rot. Hoffentlich sieht man das nicht. Schnell gehe ich aus dem Raum und schließe die hinter mir. Über sowas will ich echt nicht mit meinem Lehrer sprechen. Aber eins frage ich mich jetzt. Ist es so offensichtlich? Ich meine ich schaue ihn fast durchgehend an...ja gut... Aber Nia hat das bestimmt nicht gemerkt, oder? Hoffentlich nicht. "Wie lange willst du noch da rumstehen?" Ich schnappe nach Luft, drehe mich zu der Stimme um und gehe gleichzeitig einen Schritt nach hinten. Dabei falle ich fast um. Er kichert ein bisschen. Ich starre ihn nur an. Vor mir steht Nia. Er lehnt lässig an der Wand neben der Tür. "Willst du mich jetzt genauso anstarren wie im Unterricht?" ich schweige. Er seufzt auf. "Willst du nichts dazu sagen?" Ich starre ihn nur weiterhin an. Er seufzt wieder und geht einen Schritt auf mich zu. Immer näher kommt er, bis er mich gegen die Wand drückt. Er hat bisher noch nie ein Wort mit mir gewechselt, mich noch nie richtig angesehen und noch nie berührt. Und jetzt versucht er mit mir ein Gespräch zu führen, starrt mir mit diesem blau intensiv in die Augen und drückt mich mit seinem ganzen Körper gegen die Wand. Das wird gerade ein bisschen viel für mich. Mir wird schwindelig und ich hyperventiliere. Ich glaube ich habe Tränen in den Augen. "Hey, alles in Ordnung?"höre ich undeutlich. Alles um mich herum wird unscharf. Ich versuche Luft zu bekommen. Ich ersticke. Ich werde hier, an die Wand gepresst von meiner großen Liebe, sterben. Doch langsam wird alles wieder deutlicher. Es fühlt sich zwar immer noch alles total unwirklich an, aber ich bemerke zumindest, dass ich auf dem Boden liege, mein Kopf aber auf irgendwas anderem liegt. Ich bin aber nicht dazu in der Lage, nachzuschauen, worauf. Ich atme so gut es geht tief ein und aus. Langsam geht es mir besser. Jetzt kann ich auch endlich meine Augen öffnen. Ich sehe ein tiefes blau. Aber alles ist noch zu verschwommen, um zu wissen, was es ist. Langsam wird alles schärfer und ich erkenne Augen. Nias Augen. Träume ich? Ich meine...wieso sollte Nia noch hier sein. Er müsste nach meinem Zusammenbruch doch einfach gegangen sein, oder? Aber hier ist er noch...und mein Kopf liegt anscheinend auf seinem Schoss. "Hey, Toni. Hörst du mich?" Langsam nicke ich. Zu mehr wäre ich, auch ohne diesen Vorfall, nicht in der Lage. Nicht, solange Nia mir so nahe ist. "Alles in Ordnung?"fragt er mich fürsorglich. Wieder nicke ich. Langsam setzte ich mich auf. Sofort wird mir wieder schwindelig, aber Nia stützt mich sofort. Wieso ist er so? Wieso hilft er mir? Er riecht so gut...nach irgendetwas süßem. Zuckerwatte. Das ist es. Genau danach riecht er. Er hat so schöne Haare, die gerade meine Stirn kitzeln. Warte! Seit wann ist er mir so nahe? Das habe ich gar nicht gemerkt. "Soll ich dir auf helfen?"fragt er mich liebevoll. Aber warum? Ich nicke aber wieder nur. Gott sei Dank wird er mein Schweigen auf meinen kleinen Zusammenbruch beziehen. Vorsichtig steht er auf und hilft dann mir hoch. Jetzt stehen wir beide ganz nah beieinander und schauen uns in die Augen. Mein Schwindel ist inzwischen ganz verschwunden. Dann zieht er mich ganz unerwartet in eine Umarmung. Am Anfang bin ich vor Schreck ganz steif, doch dann erwidere ich seine Umarmung. Es tut gut. Heute morgen noch hat er mich nicht mal angeschaut und jetzt umarmt er mich einfach. Der Typ ist echt komisch. Dagegen habe ich trotzdem nichts. Ich lege meinen Kopf auf seiner Schulter ab und schließe meine Augen. Leise seufzte ich auf. Aber weil mein Kopf so nahe an seinem ist, hat er es trotzdem gehört, weswegen er kichert. Ich habe ihn noch nie auch nur lächeln gesehen. Ich mag das Kichern. Es klingt schön. So leicht und unbeschwert. Es klingt nach einem glücklichen Menschen. "Wer sagt, dass ich nicht auch glücklich bin?"will er wissen. "Niemand...Warte! Habe ich das etwa laut ausgesprochen?"frage ich entsetzt. "Anscheinend." Das kann auch nur Toni passieren. Er löst sich langsam von mir. Ich öffne wieder meine Augen und schaue ihn an. "Um nochmal auf vorhin zurück zukommen...mir fällt schon die ganze Zeit auf, dass du mich im Unterricht anstarrst. Und unserem Lehrer anscheinend auch. Wieso?" Ich starre ihn nur an und schweige. Nach einer kurzenZeit seufzt er auf. "So bringt das nichts... Du musst schon mit mir reden." "Und wenn ich nicht reden will...?" Wieder seufzt er auf. "Das kann und werde ich nicht übernehmen. Danach kann ich von mir aus auch sprechen." Ich hole tief Luft und sage dann ganz schnell:"Ichliebedich." Er starrt mich an und ich mache mich ganz klein. "Wenn ich es nicht schon wüsste, dann hätte ich dich nicht verstanden. Ich dich übrigens auch." Ich starre ihn an. Hab ich mich verhört? Bestimmt. Das würde schließlich keinen Sinn ergeben. Wieso sollte er mich lieben? Bin ich ihm überhaupt aufgefallen? Ich meine...er hat mich nie beachtet. Und ich dachte sowieso immer, er wäre hetero. Meine Gedanken werden unterbrochen, als Nia seine Lippen auf meine legt. Sofort kribbelt mein ganzer Körper. Natürlich erwidere ich. Mit meinen Händen fahre ich durch seine wunderbaren Haare. Meine Augen habe ich schon längst geschlossen. Seine Hände legen sich an meine Taille. Ich bin in diesem Moment so glücklich, wie noch nie zuvor.
