36. Kapitel

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LISI

Die Tränen tropften über meine Wangen, fielen leise von meinem Kinn hinab in die Mulde zwischen den Schlüsselbeinen. Ich kauerte mich nach vorne, zog meine Knie an den Körper. Kniff die Augen zusammen. Atmete tief ein und aus.

Es war falsch, so falsch! Dies war keine Realität.

Unten hörte ich Wagentüren zuknallen. Motorengeräusche.

Dann war es still.

Mein Geräusch des Atmens verschmolz mit der angespannten Ruhe, in der ich aufschreien wollte. Doch nur ein klägliches Wimmern verließ meine Lippen. Ich war allein, Louis war dort.

Gleichmäßig schwankte ich vor und zurück, wiegte meinen Körper im Rhythmus der tonlosen Melodie.

Mit zitternen Händen griff ich zum Treppengeländer, zog mich auf die Beine und stolperte zurück in die Wohnung. Die Tür knallte hinter mir ins Schloss.

Liebevoll, freundlich - Louis' Wohnung strahlte das komplette Gegenteil von Feindschaft aus; man fühlte sich wohl. Aber ich nicht. Nicht ohne Louis. Ich wollte hier raus. Sofort.

Hastig strebte ich ins Schlafzimmer, ließ meinen Blick durch den Raum gleiten. Bis ich meine Handtasche auf den vielen Kartons fand. Ich trug immer noch das Kleid letzten Abends, welches nun zerknittert an meinem Körper lag.

Zürnisch riss ich seinen Schrank auf, riss eine Hose und ein T-Shirt heraus, schmiss die Klamotten auf das Bett. Eine ernergische Wut durchzuckte meinen Körper.

Die Kartons zogen meinen Blick an, ich trat näher. Ohne darüber in Gedanken zu entscheiden, öffnete ich den ersten Karton, kniete mich nieder.

Legospielzeug, ein alter Spielzug, zwei Plüschtiere und jede Menge an Fotos. Es war falsch in seinen Erinnerungen zu schnüffeln. Dennoch tat ich es.

Sie war pechschwarz und ein roter dünner Streifen bahnte sich über den Lauf, umspielte den Griff und das Magazin. So echt. So real. Mein Finger drückte zart gegen den Abzug. Nur eine Spielzeugpistole ... Er hatte es gesagt. Ich musste ihm vertrauen.

Ohne nachzudenken ließ ich die Waffe in meine Handtasche sinken, stand auf und hetzte zur Garderobe wo mein Blazer wartete. Louis' Schlüssel verweilte auf der Kommode, ein schneller Blick sagte mir, dass alle Fenster geschlossen waren. Bewies mir, dass ich gehen konnte. Wer wusste schon, ob jemand vorbei kommen würde. Ob die Wohnung nach Beweismitteln durchsucht werden würde. Unwissend. Es konnte alles Mögliche passieren.

Zielstrebend hetzte ich die Straße entlang, Richtung Innenstadt. Mein Gang beschleunigte sich mit jedem Schritt mehr; ich war rasend vor Gefühlen.

Plötzliche Motorengeräusche ließen mich leicht aufatmen. Erleichtert drehte ich mich zu Jolie um, die neben mir zum Stehen kam. Sie war die Einzige, die ich anrufen konnte. Meine anderen Freunde waren in der Schule - wo ich auch hätte sein sollen.

"Gott, Ellie, siehst du scheiße aus", entfuhr es ihr, als sie mir ihren zweiten Helm reichte. "Als du angerufen hattest, wusste ich nicht, dass es so schlimm ist."

"Schönen Dank auch", entgegnete ich zerknirscht und schwang mich auf den hinteren Sitz. Mit einer raschen Geste zog ich meine Pumps von den Füßen und verstaute sie in meiner Tasche.

Die Luft war eisig, der gnadenlose Wind pfeifte über unseren Köpfen, ließ mich frösteln. Die grauen Straßen von London wirkten krank. Der Herbst hatte den Sommer fortgeschickt.

Ihr Motorrad hielt vor einem hellblauen Haus. Die weißen Fenster und die metallic silberne Tür wirkten freundlich.

"Es ist momentan keiner da, wir haben also unsere Ruhe." Jolie kramte nach dem Türschlüssel. Der helle, geräumige Flur erinnerte mich an Louis' Wohnung.

Shut up, TomlinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt