Der nächste Tag begann mit dem schrillen Piepen meines Funkweckers. In Gedanken verfluchte ich die Schule, ich hatte so schlecht geschlafen, dass ich kaum aus dem Bett kam. Zu allem Überfluss hatte ich vergessen mich abzuschminken, das war der Nachteil wenn man nur selten Make-Up trug. Ich ging ins Badezimmer und wusch mein Gesicht gründlich, bis ich nicht mehr wie ein verschlafener Panda aussah. Heute würde ich auf diese Maskerade verzichten und einfach so bleiben wie ich war. Die widerspenstigen Locken bändigte ich zu einem französischen Zopf, was erstaunlich gut klappte und ich schlüpfte in eine bequeme Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Ich packte meinen Rucksack besonders gründlich und kontrollierte ob auch wirklich alle Bücher die ich brauchte da waren. Ich war jetzt nicht mehr so nervös wie am ersten Tag und sogar etwas neugierig, was mich heute wohl erwarten würde. Ich hüpfte die Treppenstufen herunter und fand statt meiner Mum heute meinen Dad in der Küche vor.
»Na, gut geschlafen?«, er schmierte sich Brötchen und wickelte sie in Frischhaltefolie ein.
»Besser als gestern. Ich glaube ich brauche noch ein paar Tage um richtig anzukommen.«
Er nickte und lächelte mir aufmunternd zu. Niemand verstand mich so gut, wie mein Vater.
»Wo ist Mum überhaupt?«, fragte ich, während ich mich gegen die Küchentheke lehnte.
»Sie hat ein Vorstellungsgespräch in Chesterfield.«
»Ein Vorstellungsgespräch?« Normalerweise verschickte sie ihre Manuskripte per Post.
»Naja, wir dachten - das Geld ist knapp, weißt du...«
Er machte eine kurze Pause und starrte seinen Kaffee an.
»Deine Mum wird vorübergehend als Buchhalterin arbeiten. Es ist nur ein Halbtagsjob, keine große Sache.«
Das war definitiv eine große Sache. Wenn Olivia Cavendish einen Job für Normalsterbliche annehmen musste, war es wahrscheinlich schlimmer, als ich bisher gedacht hatte.
Ich schnappte mir einen Apfel und ein Glas Milch. Wir frühstückten schweigend und ich verabschiedete mich um nicht zu spät zu kommen.
Draußen dämmerte es noch, aber ich konnte bereits erahnen, dass dieser Tag sonniger werden würde, als der davor. Der Nebel hing nicht so schwer in der Luft und bei Tageslicht betrachtet, kam ich mir richtig albern vor, dass ich wirklich geglaubt hatte mich würde jemand beobachten. Schon klar, ich hatte vor Shawn und den Anderen erzählt wo ich wohne, aber welcher normale Teenager würde spätabends noch durch die Wälder streifen, nur um einen Blick auf unser Haus zu werfen? Die Idee kam mir immer absurder vor und ich beschloss ab jetzt weniger Thriller zu lesen.
Als ich an der Schule ankam wurden mir die neugierigen Blicke erspart, da ich schon ziemlich spät dran war und nur noch ein paar Minuten Zeit hatte zum Unterricht zu kommen. Ich beschleunigte meine Schritte und als ich die Tür zum Chemieraum aufriss, erkannte ich zwei Dinge. Erstens: Der Raum war bis auf einen einzigen Platz schon komplett gefüllt. Und Zweitens: Dieser Platz befand sich zwischen Shawn und Dean. Innerlich stöhnte ich genervt auf, versuchte mir aber nach außen hin nichts anmerken zu lassen. Konnte ein Mensch wirklich so viel Pech haben? Dean saß direkt am Fenster und starrte nach draußen.
Shawn grinste über beide Ohren und winkte mich rüber, während Dean mir nur einen komischen Blick zuwarf und sich direkt abwendete. In diesem Moment fiel mir auf, dass Dean und Shawn sich rein äußerlich sehr ähnelten, beide aber eine komplett andere Ausstrahlung hatten. Shawns Haare waren einen Tick heller als die von Dean und er trug sie kurz, was für einen Sportler wohl auch praktischer war. Er trug weiße Sneaker von Nike und auch seine restlichen Sachen sahen ziemlich teuer aus. Die meisten Schüler der Whitemoor School sahen eher unauffällig aus was die Klamotten betraf. Obwohl Dean, dessen Eltern ganz offensichtlich Geld besaßen, trug schlichte Sachen, jedoch strahlte seine Körperhaltung eine solche Selbstsicherheit und Eleganz aus, dass es keiner weiteren Statements bedurfte. Er trug heute einen dunkelblauen Pullover und die selben schwarzen Jeans wie gestern. Seine Lederjacke hatte er über die Stuhllehne gehangen, sie verbreitete einen angenehmen Geruch nach altem Leder.
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Witches and Wolves
WerewolfAls Felia Cavendish mit ihren Eltern von London zurück in das kleine Dorf Whitemoor zieht, ahnt sie noch nicht, wie sehr sich ihr Leben bald ändern wird. Niemand konnte schließlich wissen, dass ausgerechnet ihr Schicksal und das des arroganten Fraue...