Ich denke nicht mehr an dich (X)

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Der kalte Wind streift über mein Gesicht und lässt meine Haare nach hinten wehen. Hart trifft sie auf mich und peitscht mich mit jedem Zug aus. Strafe für Strafe nehme ich es hin und ertrage den leichten Schmerz, der auf meiner Haut zu Prickeln anfängt.

Das helle Licht strahlt auf meine Gestalt und blendet mich, so dass ich mehrmals blinzeln muss. Obwohl es etwas sonnig ist und ich froh sein sollte, spielt mein Herz verrückt und sorgt dafür, dass es viel zu schmerzhaft gegen meinen Brustkorb hämmert. Scharf ziehe ich die Luft ein und ertrage den Druck, der immer größer zu sein scheint. Wird es nie aufhören? Werde ich jemals vergessen können?

Ich schaue nach unten und sehe die Felsen, die spitz und hart nebeneinander liegen und mir ein wenig Angst bereiten. Die Wellen prallen auf die Oberfläche, spritzen nach oben und fallen in sich zusammen. Sie kehren in die Meere und kommen immer und immer wieder nach einigen Sekunden zurück. Es scheint, als ob die Wellen weinen würden.

Meine Nackenhaare stellen sich automatisch bei diesem Anblick auf. Dieser Ort ist atemberaubend schön und gleichzeitig so beängstigend. Ich atme die frische Luft ein, die in meine Lungen ein- und wieder ausströmt. Ich muss nur einen Schritt nach vorne gehen, dann würde ich von der Klippe in die Tiefen des Meeres fallen. Der schöne Abgrund. Ich fühle mich überhaupt nicht wohl, ich bin todunglücklich.

Ich spüre, wie mein Körper zittert, trotzdem unternehme ich nichts dagegen. Schon seit Monaten empfinde ich dieses seltsame Gefühl, leer und einsam. Der Anfang ist immer schlimm, oder?

Dieser innere Schmerz ist viel größer als die Anderen, die ich jemals erlebt habe. Es ist so real und so brutal. Der Druck wächst und wächst, und frisst mich auf. Der Schmerz ist wie ein Parasit, der sich von mir ernährt und alles aussaugt, was ich besitze, bis er mich komplett übernommen hat. Meine Kraft verschwindet von Tag zu Tag. Ich werde immer schwächer, obwohl ich es nicht möchte. Dagegen ankämpfen? Es scheint unmöglich zu sein.

Ich hätte nie gedacht, dass die Realität so erschreckend ist. Ich dachte, dass ich mich von Colin abwenden könnte, aber irgendetwas in mir blockiert meinen Weg. Es scheint ausweglos zu sein. Ein nicht endender Albtraum. Ich will aufwachen, aber ich kann es nicht, da es die Wahrheit ist.

Mein Leben. Die böse Welt.

Ich lache lautlos und verstecke mich hinter meinen kleinen Händen. Es ist so unangenehm, aber gleichzeitig so befreiend. Mein Herzschlag verdoppelt sich.

Ich hasse ihn, aber lieben tue ich ihn auch noch. Colin ist in mein Leben geschlichen ,ohne dass ich es gemerkt habe. Und jetzt stehe ich vor den Ruinen, den vielen Scherben, die er verursacht hat. Dennoch will ich nichts davon wahrhaben. Vielleicht bin ich auch überfordert mit dem ganzen Wissen. Unsere Trennung ist ja nicht so lange her... Ich weiß es einfach nicht. Ich weiß nichts mehr. Viele leere Versprechungen. Es sind nur noch die Erinnerungen geblieben, die ich mit ihm teile. Die Erinnerungen, die ich schnellst möglichst vergessen sollte. Aber aus einem mysteriösen Grund will ich es nicht. Warum kann ich keinen Schlussstrich ziehen und das alles ein Ende bereiten?

Ich habe meine kleine Welt zerstört, in der ich jahrelang lebte. Alles verliert seine Farbe und ich werde blind. Eine Träne fließt über mein Gesicht und tropft auf mein weißes Baumwollkleid, das mir bis zu den Knien geht. Ich will nicht mehr allein sein. Ich will geliebt werden.

Doch dann spüre ich etwas Warmes an meiner Taille. Ich schaue auf mich herab und sehe einen Arm, der mich näher an einen festen Körper drückt. Ich erschaudere als ich meinen Kopf leicht nach rechts drehe und seine dunklen Augen erkenne. Colin. Mein Colin.

Mein Kopf sagt mir, dass ich aufpassen soll. Als ob er mich vor etwas warnen möchte. Ich habe Angst vor meinen eigenen Taten und meinen unkontrollierbaren Gefühlen.

Ich spüre, wie seine Bartstoppeln meine Wange kratz, wie sein Atem meine Haut streift und sein Brustkorb sich auf und ab bewegt. Er ist ganz nah bei mir und beschützt mich, damit ich nicht verrückt werde.

Für immer. Für immer. Für immer.

Er wollte mich heiraten. Wir wollten zusammen alt werden. Alles ist kaputt. Mein Leben sieht finster aus. Eine weitere Träne fließt über mein Gesicht.

Obwohl ich diese Nähe brauche, kann ich nicht anders, als zu weinen. Er hat mein Vertrauen missbraucht und mich belogen. Ich lasse meine Tränen laufen und lehne mich an ihn, als ob er meine letzte Stütze wäre. Er hält mich und haucht mir zarte Küsse auf die Wange. Ich lasse alles zu. Bin ich nicht dämlich?

Alles fühlt sich falsch und unecht an. Ich kann weder mir noch den Menschen in meinem Umfeld vertrauen, weil alle mit mir spielen. Verheimlichen Dinge, die ich gerne gewusst hätte. Sie haben mich manipuliert und mich zu einem hoffnungslosen Wrack gemacht. Ich bin zu nichts mehr fähig.

Sie sagten, dass alles gut wird, aber das waren nur leere Worte.

Sie sagten, ich würde ihn vergessen, aber es funktioniert nicht, da er mein Herz in seinen dreckigen Händen hält.

Sie sagten, dass ich ohne ihn besser dran bin, aber es stimmt nicht. Ich sehe es in ihren Augen. Sie lügen alle. Ich brauche ihn, damit mein Leben einen Sinn hat.

Ich schließe meine Augen und nehme die Umgebung wahr. Der Wind schreit, die Wellen weinen. Ich muss den Schritt gehen und alles beenden. Dann bin ich endlich fort. Aber ich kann die nächsten Schritte nicht mehr tätigen, da ich schlagartig aufwache.

Es war nur ein schrecklicher Traum, oder?

Ich öffne langsam meine Augen und erkenne, dass ich mich in meinen vier Wänden befinde. In diesem kalten und stillen Raum. Doch das ist nicht das Schlimmste... sondern der Mann, der in meinem Bett liegt, mich in seinen Armen hält und gleichmäßig atmet.

Ein ehrlicher Mann, der mich glücklich machen möchte, trotz meiner Probleme. Mein Freund. Mein Partner. Mike.

Aber er ist nicht Colin.

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