Mehrere Tage sind vergangen und nun sitze ich und Mike entspannt auf der Parkbank, während wir Menschen beobachte, die an uns vorbeilaufen. Wir reden nicht viel, da wir uns schon alles gesagt haben. Jetzt brauchen wir beide einen Moment der Stille. So war es immer zwischen uns.
Ich drehe mein Kopf zur Seite und blicke interessiert zu Mike, der ein Artikel auf seinem Handy liest und hochkonzentriert wirkt.
Er hat braune, kurze Haare, die in diesem Licht glänzen und etwas blond erscheinen. Sein Gesicht ist rund, spitzes Kinn, kleine Nase und dünne Lippen. Braune Augen, die nach Neugierde und Wissen streben. Er ist ein liebevoller und wissbegieriger Mensch. Deshalb ist er auch so erfolgreich in seinem Beruf und in seinem Freundeskreis. Er lächelt viel und sprüht voller Freude. Das ist auch der Grund, warum ich ihn gerne in meiner Nähe habe und diese Beziehung mit ihm eingegangen bin. Er macht mich glücklich, aber es ist eine andere Art von Glück. Es ist anders.Wenige Minute später erkenne ich jemanden, der auf der entgegengesetzten Bank sitzt und in meine Richtung schaut. Sofort hat er meine ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen als ob er mich verzaubert hätte. Mein Herzschlag beschleunigt sich bevor ich es wirklich wahrnehme. Oh Gott, Colin sitzt dort! Mein Mund wird staubtrocken und mein Herzschlag setzt für einen kurzen Moment aus. Ich verkrampfe mich. Hoffentlich merkt Mike nichts. Ich beiße mir auf die Wange.
Warum ist er hier? Beobachtet er mich schon die ganze Zeit? Wie lange sitzt er dort schon? Wartet er auf jemanden? Vielleicht seine Freundin?
Verdammt, warum mache ich mir überhaupt diese Gedanken? Es interessiert mich nicht, was er in seinem Leben tut und macht. Schließlich geht es mich nichts an. Das ist nicht mein Leben, sondern seins. Leider höre ich wieder diese leisen Stimmen in meinen Kopf, die genau das Gegenteil behaupten. Ich belüge mich anscheinend selbst, oder?
Ich senke mein Blick und beiße mir nun auf die Unterlippe. Ich kann ihm nicht widerstehen und schaue erneut in seine Richtung und betrachte ihn.
Mir fällt sofort auf, dass er zwischen seinen Fingern eine Zigarette geklemmt hält. Nach und nach zieht er daran und pustet die entstandene Substanz in die Luft hinaus. Er sieht mich direkt an, fixiert mich mit seinen Augen, die so leblos und ohne Freude erscheinen. Ich bekomme eine Gänsehaut, das meinen ganzen Körper überzieht.
Seine Wirkung auf mich hat sich nie verändert. Etwas Starkes und Mächtiges kreist um ihn. Etwas Besonderes, das ihn kennzeichnet. Sein Körper wirkt gelassen, ein Bein über den anderen. Keine Bewegung. Kein Zurückschrecken. Dennoch hat er irgendetwas an sich, das anders ist. Er sieht gut aus, aber auf der anderen Seite erscheint er merkwürdig und nicht echt.
Um ehrlich zu sein, habe ich ihn vermisst. Seit mehreren Wochen habe ich ihn nicht mehr gesehen, trotzdem löst er bei mir viel zu viele Emotionen hervor. Er ist ein Teil von mir und kontrolliert so viel in meinem Leben. Er fehlt mir sehr, aber es macht mir Angst. Ich sollte nicht so reagieren oder denken.
Die Zeit lindert irgendwann den Schmerz, aber in wirklich stimmt es nicht. Ich habe versucht zu verdrängen und mich auf andere Dinge zu konzentrieren, aber ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist.
Am liebsten würde ich gerne mit meinen Freunden darüber reden, aber ich weiß, dass mich keiner verstehen wird. Nicht einmal Mike kann ich meine Gefühlswelt beichten, da ich ihn sonst verletzten würde. Er liebt mich, vielleicht auch zu sehr. Wie kann ich ihm das nur antun?
Jeden Tag sagt er, dass er mich über alles liebt und mich vergöttert, da ich eine großartige Person bin. Manchmal kommt es mir jedoch vor, dass er das nur tut, um sich selbst zu überzeugen. Liebt er mich wirklich so sehr oder irrt er sich mit seinen Gefühlen? Er muss sich doch irren oder nicht?
Wenn ich jemanden zum Reden brauche, bin ich immer allein. Es gibt niemanden, der für mich da ist, mir zuhört und den ich mein Inneres offen legen kann. Meistens bin ich deswegen traurig und weine dann. Ich atme laut aus.
Erst als ich meinen Namen wahrnehme, blicke ich auf und sehe zu Mike, der mich anlächelt und mir einen Kuss auf die Lippen gibt. Ein kleiner harmloser Kuss, der bei mir nicht viel auslöst. Ich lächle trotzdem, weil ich ihn nicht beunruhigen möchte.
Ich liebe dich nicht Mike, aber das weißt du schon. Ich schlucke. Irgendwann werde ich es aber tun oder? Die Tatsache betrübt mich und ich könnte jetzt heulen, weil ich weiß, dass ich ihm nur etwas vorspiele und ihn gnadenlos belüge. Das ist schrecklich. So furchtbar. Ich bin kein guter Mensch. Warum tue ich ihm das nur an?
Mein Herz rast nur für Colin. Meine Gedanken schalten sich aus, wenn er mich ansieht. Ich habe mich in diesen Kerl verliebt, der mich später ausgenutzt hat. Ich habe ihm so viel gegeben und er gab mir nichts. Trotzdem kann ich nicht aufhören an ihn zu denken und ihn zu lieben. Es ist hoffnungslos. Ich hasse mich selbst dafür. Warum muss Liebe so sein? So unbarmherzig? Warum läuft mein Herz ihm wie ein Hund hinterher? Was stimmt nur nicht mit mir?
Ich schaue wieder zu Colin, doch diesmal finde ich eine leere Bank wieder. Ich schüttele leicht mein Kopf, da ich das nicht erwartet habe. Was soll das? Bilde ich mir alles ein? Anscheinend kann mir nicht mehr geholfen werden. Diese Erkenntnis ist erschreckend.
,,Sollen wir los? Du hast bestimmt Hunger. Wir können beim Chinesen vorbeischauen und ich kaufe dir dein Lieblingsgericht. Was hältst du davon?", sagt Mike und sieht mich fragend an. Er steckt sein Handy in seine Hosentasche und steht auf als er mein Nicken sieht. Er streckt seine Hand aus und dann laufen wir Händchenhalten aus dem Park, wie ein ganz normales Paar.
Im Augenwinkel schaue ich mich erneut um. Colin ist spurlos verschwunden. Ich blinzele mehrmals, klammere mich an Mikes Arm und lasse ihn nicht los. Ich brauche das jetzt.
DU LIEST GERADE
UNGLÜCK
Historia CortaHinter jedem Lachen befindet sich ein verzweifelter Hilfeschrei. Gefangen in dieser Leere und keiner sieht deine Wunden, die dich kennzeichnen. Trotzdem lächelst du und spielst jeden eine heile Welt vor. Jedoch erkennt keiner das wahre Disaster. ...