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Unruhig wälzte Sinan sich in seinem gefederten Bett hin in her und träumte anscheinend etwas Schreckliches. Er grummelte unverständliche Dinge und kratzte und presste seine Finger angespannt in die Wäsche.

Langsam merkte ich, wie mir die Augen zufielen - was nicht üblich für einen Engel war, da wir nicht schliefen - und ich sackte auf den Boden. Alles war schwarz vor meinem inneren Auge, doch plötzlich schossen sich bewegende Bilder vor mein Sichtfeld. Es wirkte alles so unwirklich und verschwommen.

Erst als ich tief ein und ausatmete, fühlten sich die Bilder wie die Realität an. Ich konnte mich frei bewegen, fliegen und denken. Die Welt sah aber nicht sonderlich gemütlich aus, denn überall waren zerstörte Häuser, manche brannten und es flogen viele verkohlte Papiere wild durch die Luft. Menschen brüllten sich aggressiv an und schlugen sich gegenseitig. Der Wind war verrußt und pfiff durch das zerstörte Dorf, sodass viele Kinder begonnen qualvoll zu husten.

An einem Haus stand Sinan verängstigt und betrachtete die wütenden Personen zitternd. Ich ging auf ihn zu und sein Blick blieb direkt bei mir hängen, obwohl ich dachte er schaut durch mich hindurch. Ich hielt mir meine Flügel schützend über mein Gesicht, damit ich ihn klar sehen konnte, doch er musterte mich dennoch weiter. Ich lief einen Schritt schneller und stoppte kurz vor ihm, beängstigt, ob das Zucken einsetzen würde, aber dem war nicht so. Ohne Hintergedanken nahm ich seine Hand und lächelte ihn fröhlich an, weil ich keinerlei Schmerzen fühlte.

Unsere Umgebung änderte sich schlagartig, als er meine Hand etwas drückte. Das Feuer erlosch, der Ruß wandelte sich in Pollen des ausgewachsenen Löwenzahns, der steinige Boden wurde zu Gras und die Häuser und Menschen verschwanden einfach. Eine idyllische Atmosphäre entstand allein durch die Ruhe, die manchmal von zwitschernden Vögel durchbrochen wurde. Als wären alle Sorgen verschwunden, verschwanden wohl auch alle Ängste des Großen. Er lächelte begeistert und schaute sich in der Umgebung um, wobei seine Augen oft bei meinen Schwingen hängen blieben. Ich streckte ihm einen Flügel entgegen und er strich sanft darüber, als könnte dieser sonst zerbrechen. Unsere Lippen waren wie versiegelt, denn keiner von uns Beiden konnte einen Laut rausbringen, obwohl uns die Fragen auf den Zungen brannten. Dennoch fühlte ich mich frei, zudem uns einige Pollen umkreisten und an den Stellen, wo sie landeten, schnell gelber Löwenzahn wuchs, der sich sofort weiterentwickelte.

Ich schloss meine Arme um ihn und strich ihm die Überreste der Pusteblumen, die sich dort verfangen hatten, aus seinen unglaublich weichen Haaren. Dieser gemeinsame Moment musste uns jedoch sofort genommen werden, mich durchzog ein so realer Schmerz, sodass ich sofort meine Augen verschwitzt aufriss. Auch Sinan schlug seine Augen auf, aber dies viel weniger ruckartig als ich. Er schaute sich verwirrt im Zimmer um und wuschelte durch seine Strähnen, die ich vorher berührte. Nach tiefem Durchatmen legte er sich wieder hin und schlief viel ruhiger ein, ohne dass ein Albtraum ihn verfolgte.

Ich aber konnte nicht so schnell zur Ruhe kommen, denn auf dem holzigen Boden lag eine weiße Polle, die sich in einer Rille verfangen hatte und aufbrach, um das Grüne herauswachsen zu lassen. Auch diese frische Pflanze wurde schnell zu einer Pusteblumen, deren Samen von einem Windhauch aus dem offenen Fenster geweht wurden. Erstaunt blickte ich ihnen hinterher. Träumte ich noch? Um das zu testen, wanderte ich zu Sinan und wollte über seinen Arm streichen, aber - wie sollte es anders sein - hielt mich mein zuckendes Armband davon ab.

Ich wünschte, ich dürfte ihn immer so berühren, wie im Traum.

dandelionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt