ersten

471 41 7
                                    

[TW: Self Harm]

Zwar hatte Sinan sein Studium gut abgeschlossen, jedoch gab es momentan keinen Grund, glücklich zu sein. Selbst ich war ziemlich niedergeschlagen, als ich die traurige Nachricht erfuhr.

Fabian starb vor Kurzem, als er angeschossen wurde. Er war auf Wunsch seines Vaters zum Bund gegangen, da er das Studium knapp nicht geschafft hatte und kam bei einem Schussgefecht an einer Grenze der weiten Welt tragisch ums Leben. Wir bekamen die Nachricht vier Wochen nach ihrem Abschluss. 

Sinan weinte an diesem Tag so bitterlich, wie er es vorher noch nie getan hatte und verschloss sich, ging nicht mehr heraus. Luca versuchte genügend Geld für die Wohnung einzutreiben, doch natürlich lies ihn das auch nicht kalt und seine Leistungen wurden dementsprechend schlechter. Sinan konnte sich jedoch nicht dazu motivieren, sich überhaupt noch zu duschen, geschweige denn zu essen. So sah er auch aus. Knochig, blass und ungepflegt.

Luca aber konnte ihn überzeugen, wenigsten heute zu duschen, denn es war der Geburtstag von Fabian, den dieser leider nicht mehr schaffte. Mit gläsernen Augen rappelte er sich ächzend auf und schlurfte in das Bad, wobei ich ihm natürlich folgte. Ich hatte ihn schon oft nackt gesehen, denn auch in der Dusche könnte ja irgendetwas Gefährliches passieren.

Er entledigte sich seiner Kleidung und schlüpfte unter das kühle Wasser. Erst viele Minuten nachdem er nass wurde, begann er mit dem Einschäumen seiner zuvor fettigen Haare, die er aber direkt danach wieder ausspülte.

Nach langen Zögern griff der junge Mann nach einigen Rasierklingen, die präpariert auf der Duschablage neben dem dazugehörigen Gerät lagen. Ich wusste, was nun kam, hatte versucht es zu verhindern, doch meine Kräfte spielten nicht mit. Es passierte rein gar nichts und ich musste mit ansehen, wie sich der Junge, den ich durchgehend beschützen sollte, selbst die Haut aufschnitt.

Nach vielen Schnitten saß auch ich stumm weinend auf dem kalten Fliesen. Klar, die Wunden schmerzten, doch viel mehr zerdrückte mich das Gefühl, machtlos mit ansehen zu müssen, wie Sinan an dem Tod seines besten Freundes allmählich zerbrach.

Unachtsam stolperte er aus der frischen Dusche und fiel fast wie in Zeitlupe hin. Durch seine verwundeten Arme hätte er sich nie im Leben abstützen können, deswegen warf ich einen Stapel Handtücher, der auf der Heizung lag, unter ihm auf den Boden. Sein Aufprall wurde so gelindert und nur ein gedämpfter Schmerz machte sich in meinem Brustkorb breit.

Noch eine Träne verließ mein Auge und im Gegensatz zu den anderen prallte sie auf dem Boden ab, sodass sie in mehrere Richtungen sanft zerplatzte. Verwirrt folgte Sinans Blick dem Tropfen und er wischte ihn vorsichtig mit dem Zeigefinger auf, bevor er ihn noch kurz betrachten konnte. Meine Träne schimmerte im Licht wunderschön und spiegelte das wider, was mich zu dem Zeitpunkt, als die Träne mein Auge verließ, bedrückte. Nachdem er fasziniert das Farbspektakel beobachtete, lief sie von seinem Finger und fiel nun schlussendlich auf die weißen Fliesen, sie war nun nicht mehr zu retten.

Ich wünschte, ich könnte ihm alles erzählen, was mir seit Jahren schwer auf dem Herzen liegt.

dandelionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt