Nachdenklich tauchte Dean den Schwamm in den Wassereimer und fuhr damit fort, sein Baby zu säubern. In seinem Kopf herrschte ein einziges Chaos und er hatte gehofft, dass ihn das Waschen des Impalas auf andere Gedanken bringen würde. Vergebens. Sein Streit mit Sam hing ihm immer noch nach und er wünschte, er könnte sich dafür entschuldigen, was er seinem Bruder an den Kopf geworfen hatte. Auch wenn ihm so etwas normalerweise schwerfiel, verdiente Sam einfach eine Entschuldigung, also würde Dean sich überwinden müssen. Genau wie Cas eine Entschuldigung verdient, flüsterte eine leise Stimme in seinem Kopf und der Jäger ließ resigniert den Schwamm sinken. Noch eine Entschuldigung, die fällig war. Es mochte vielleicht eine Stunde her gewesen sein, seit der Engel Dean Bescheid gegeben hatte, dass Sam und Gabriel einen Ausflug machten. Bevor er Dean wieder allein ließ, hatte er ihm noch mehrmals gesagt, wie leid es ihm tat, sie alle so in Auffuhr versetzt zu haben. Dean war bewusst gewesen, dass er Cas an dieser Stelle hätte versichern müssen, dass er eigentlich nichts dafür konnte und dass alles in Ordnung war, aber etwas hielt ihn zurück und er blieb stumm. Und als Dean ihm nicht antwortete, entschuldigte Cas sich erneut – diesmal dafür, Dean gestört zu haben – und verschwand sichtlich niedergeschlagen. Deans schlechtes Gewissen meldete sich, als er daran zurückdachte und er verfluchte sein Ego dafür, sich so verbissen dagegen zu wehren, einen Fehler seinerseits zuzugeben. Denn genau das war der Grund, warum er Cas nicht gesagt hatte, dass alles okay war. Sein Ego und sein Stolz. Eigentlich ein ziemlich lächerlicher Grund, erkannte Dean, als er genauer darüber nachdachte. Wohin hatte ihn diese Haltung bisher gebracht? Nirgendwohin, ganz genau.
„Ach verdammt“, murmelte er und ließ den Schwamm nun auf den Boden fallen. Sein Baby würde warten müssen. Cas war jetzt wichtiger.
Was zum Geier ist denn hier passiert? fragte sich Dean, als er die Bibliothek des Bunkers betrat. Überall auf dem Boden lagen Bücher und einzelne Seiten verstreut, kein Stuhl stand mehr an seinem Platz und auch die Artefakte, die normalerweise auf den niedrigeren Regalen ausgestellt waren, befanden sich nicht mehr an ihren Plätzen. Und wieder einmal von Cas keine Spur. Wie am Morgen begann sich ein Gefühl der Sorge in Dean zu regen, aber als er daran dachte, wie unbegründet dieses Gefühl gewesen war, beruhigte er sich wieder.
„Cas?“, rief er und versuchte gleichzeitig einzuschätzen, wie wütend Sam wohl sein würde, wenn er herausfand, welcher Schaden an den Büchern entstanden war. Der Jäger erhielt keine Antwort, doch schon bald vernahm er das für Engel typische Flügelrauschen, woraufhin der Jäger die Stirn runzelte. Gabe konnte es nicht sein, denn wenn der Erzengel mit seinem Bruder unterwegs war, benutzten sie eigentlich immer den normalen Eingang, da Sam das Hin- und Hergezappe genauso wenig leiden konnte wie Dean. Und Cas fiel sowieso weg, da seine Flügel stark beschädigt worden waren, nachdem er seine von Metatron gestohlene Gnade zurückbekommen hatte. Welcher dieser geflügelten Bastarde trieb sich also in ihrem Zuhause herum? Was Dean jedoch wunderte, war, dass das Rauschen immer noch zu hören war und gar nicht mehr aufzuhören schien. Er ließ seinen Blick durch den gesamten Raum schweifen, doch bis auf das Chaos fiel ihm nichts Ungewöhnliches auf. Plötzlich schwoll das Rauschen immer mehr an und im nächsten Moment sauste eine verschwommene, schwarze Gestalt an Dean vorbei, krachte in ein gegenüberliegendes Regal und blieb dann auf dem Boden liegen. Dean, der sich geistesgegenwärtig geduckt und die Arme über den Kopf gelegt hatte, richtete sich nun langsam wieder auf und bewegte sich zu der Stelle, an der das schwarze Etwas zu Boden gegangen war. Es hatte etwa die Größe eines Menschen und sah aus, als wäre es in eine Art tiefschwarzen Kokon gehüllt. Die Gestalt wirkte jedoch immer noch sehr verschwommen und Dean blinzelte mehrmals, um seinen Blick zu klären. Es funktionierte und als Deans Sicht wieder vollkommen klar war, sog er scharf die Luft ein. Das, was er für einen Kokon gehalten hatte, war ein Flügel! Und zwar der schönste, den er jemals gesehen hatte. Er war pechschwarz und jede einzelne Feder war mit feinen, silbrig glänzenden Fäden durchwirkt. Das gesamte Federkleid schien von innen heraus zu leuchten und als Dean genauer hinsah, konnte er einen sanften Schimmer erkennen, der den Flügel umgab. Den Jäger überkam das unmenschliche Verlangen, ihn zu berühren und so steckte er seine Hand aus und legte sie in einer für ihn untypisch sanften Geste auf die Federn. Sofort überkam ihn eine tiefe Ruhe und für Dean fühlte es sich so an, als hätten sich all seine Probleme in Luft aufgelöst. Hier gehörte er hin. Das war der Platz, an dem er sein musste, jeden Tag seines Lebens. Koste es, was es wolle. Dean hob seine andere Hand und wollte sie ebenfalls auf den Flügel legen, als dieser auf einmal zurückschnellte und denjenigen preisgab, zu dem er gehörte.
DU LIEST GERADE
Wenn Engel ihre Tage haben
FanfictionVon Zeit zu Zeit trägt es sich zu, dass bei den Engeln des Herrn Seltsames vor sich geht. Stimmungsschwankungen, neue Gewohnheiten, verändertes Aussehen. Die Liste der Veränderungen ist beinahe endlos. Kein Engel kann sich schützen und auch Castiel...