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Sie rannte. Rannte einfach weg von Chloe und den anderen Schülern. Die Worte und das Lachen klangen in ihren Ohren nach, schienen immer lauter und bedrohlicher zu werden und sie rannte noch schneller. Für einen kurzen Moment glaubte sie, jemand hätte ihren Namen gerufen, doch sie lief einfach weiter. Ihre schnellen Schritte hallten von den steinernen Wänden in doppelter Lautstärke wieder, der Gang schien kein Ende zu nehmen und gerade als sie dachte, sie würde sich gar nicht von der Stelle bewegen, wurde sie von der frischen Frühlingsluft umhüllt. Obwohl Schüler die Schule normalerweise in Unterrichtszeiten nicht verlassen durfte, rannte Marinette, getrieben von der schrecklichen Demütigung, die sie von innen zu verbrennen schien.

Heiße Tränen der Wut und des Schames benetzten ihre verschmierten Wangen, der innere Schmerz war so viel stärker und ließ Marinette den Körperlichen fast komplett vergessen. Sie wusste nicht wohin sie ihre Beine trugen, hauptsache weg von Hogwarts und seinen Schülern, weg von dem Schmerz. Wieso war ihr Leben nur so scheiße? Womit hatte sie das verdient? Mittlerweile hatte Marinette Hogwarts hinter sich gelassen und lief jetzt durch das hohe Gras in Richtung Schwarzer See.

Automatisch setzte sie einen Fuß vor den anderen, ihre Beine trugen sie immer weiter und doch ihr war es nur recht. Der kühle Wind tat ihrer verbrannten Haut gut und schien die schrecklichen Gedanken und den Gestank einfach leicht, wie Blütenstaub im Sommer, weguzwehen.

Als sie das Seeufer erreicht hatte, blieb sie stehen, starrte auf die dunkle Wasseroberfläche, während weiterhin Tränen über ihr Gesicht strömten und ihre Sicht trübten. Während des Laufens hatte sie die stinkende Flüssigkeit, die auf ihrer Haut brannte, nicht mehr wahrgenommen, dafür tat sie es jetzt umso deutlicher. Ohne länger zu zögern, zog Marinette ihre Schuhe aus und begab sich langsam in das eiskalte Wasser des Sees. Sie zitterte vor Kälte, doch das Wasser wusch die ätzende Brühe von ihrer Haut und Uniform und kühlte die Verbrennungen. Als ihr das Wasser bis zur Brust ging, holte Marinette tief Luft und tauchte unter. Augenblicklich empfing sie eine friedliche Stille und trotz der drückenden Kälte des Wassers um sie herum fühlte sie sich wohl und seltsam geborgen. Wie in einer anderen Welt.

Keuchend tauchte Marinette wieder auf und fuhr sich durch die Haare. Mittlerweile war das kalte Wasser zu viel für ihren Körper, das altbekannte Schwindelgefühl überfiel sie langsam, sie musste schleunigst aus dem Wasser. Schwerfällig watete Marinette aus dem See und ließ sich am Ufer in die Wiese fallen, ihren Rücken gegen einen Baum gelehnt.

Sie drückte ihre Finger gegen die Schläfen, wollte einfach, dass dieses ekelhafte Schwindelgefühl aufhörte. Und mit ihm sämtliche Gedanken und Erinnerung, die wie Gift durch ihren Kopf waberten und ihren Körper von innen zu verätzen schienen. Verzweifelt fuhr sie sich mit ihren kalten Fingern über das Gesicht und vergrub es schließlich in ihren Händen, wo sie leise zu weinen begann. Es war zu viel. Einfach viel zu viel. Was würde sie jetzt dafür geben zuhause bei ihren Eltern zu sein. In der Bäckerei zu sitzten, umgeben von vertrauter Wärme und dem verführerischem Duft der frischen Backware. Stattdessen saß sie mitte November alleine am Seeufer, umgeben von Kälte und Einsamkeit.

Der Wind hatte wieder aufgefrischt und pfiff leise über die Wiese, über den See und das Geäst der Bäume. Für einen kurzen Moment bildete sich Marinette erneut ein, jemanden ihren Namen rufen zu hören, tat es dann aber doch als ein Geräusch das der Wind verursachte, ab. Noch immer wurde ihr ganzer Körper von Schluchzern geschüttelt, während die Kälte sich unerbittlich durch ihre nasse Kleidung fraß. Zitternd schlang Marinette ihre Arme um die angewinkelten Beine, um wenigstens etwas Körperwärme zu sammeln. Sie sollte zurückgehen, sie würde sich eine deftige Erkältung zuziehen, soviel war Marinette klar, doch nichts, nicht mal der eisigste Wind, würde sie dazubewegen, in das Nest der Schlangen zurückzukehren. Lieber erfror sie hier.

"Marinette?!" Erschrocken hob die Angesprochene den Kopf, als eine besorgte Stimme ertönte und sie eine schnell näherkommende Gestalt erkannte. Vorsichtig blinzelte sie und als die Person direkt vor ihr zum stehen kam, wusste sie schon allein wegen dem vertrauten Duft, wer diese Person war. "Scheiße, geht es dir gut?", keuchte Adrien vollkommen aus der Puste, er musste ihr den ganzen Weg nachgerannt sein. Ein warmes Gefühl machte sich in Marinettes Bauch breit, hatte Adrien sich wirklich Sorgen um sie gemacht?

Langsam nickte sie, obwohl es ihr alles andere als gut ging. Aber Adriens Frage war wohl eher auf ihr körperliches Befinden bezogen und daher log sie ja nicht. Das kalte Wasser hatte Wunder bewirkt, denn die Verbrennungen taten so gut wie nicht mehr weh. Unschlüssig blieb Adrien stehen, während Marinette sich über die vergwollenen, geröteten Augen fuhr und sich die Tränen aus dem Gesicht wischte. Sie traute nicht Adrien anzusehen, sie musste einfach fürchterlich aussehen. "Komm, du musst in den Krankenflügel", sagte der Blonde schließlich und hielt ihr auffordernd die Hand hin, doch Marinette schüttelte nur mit zusammengebissenen Zähnen den Kopf. Sie hatte immer noch nicht das Bedürfnis in die Schule zurückzukehren. Verzweifelt fuhr sich Adrien durch die Haare und setzte sich schließlich vorsichtig neben Marinette, die mit traurigen Augen hinaus auf den See starrte und gar keine Notiz von ihm nehmen schien, ins Gras.

Als sein Arm den von Marinette berührte, zuckte er erschrocken zusammen. "Du bist eiskalt! Komm schon Marinette, wir müssen zurück, du holst dir hier draußen noch den Tod!" Sie zuckte nur mit den Schultern und murmelte leise: "Wäre vielleicht besser so."

"Was?" Adrien sah sie fassungslos an, doch Marinette reagierte nicht weiter darauf, sondern vergrub wieder das Gesicht in den Händen. Sie war so erbärmlich. Kurz zögerte Adrien, dann zog er seinen Umhang aus, legte ihn über Marinettes zitternde Schultern und strich ihr vorsichtig eine Strähne aus dem tränennassen Gesicht.

Diese einzelne Berührung löste ein ungeheures Prickeln auf ihrer Haut aus und Marinette konnte nicht anders, als den kurzen Hautkontakt zu genießen und die Augen zu schließen. Das schien Adrien als Bestätigung zu sehen, denn jetzt legte er vorsichtig einen Arm um sie und zog Marinette sanft an sich, worauf diese zuerst überrascht den Atem anhielt, sich dann aber zunehmend entspannte. Ein vertrauter Duft nach Apfel und einem Hauch Minze umfing sie und in diesem Moment fühlte sie sich so geborgen und sicher, wie sie es sonst nur zuhause in der Bäckerei tat. Adrien strahlte so eine beruhigende Wärme aus, dass Marinette dem Drang nicht widerstehen konnte, ihren Kopf auf seine Schulter zu legen, was der Blonde mit einem kleinen Lächeln quitierte.

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