Kapitel 3: Die Sorge wächst

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Die Wochen bis zum Schulbeginn vergingen wie im Flug. Eines Tages lag Tom in der Wiese beim Gnurpsnetz und lernte. Er musste sich auf die Flugprüfung Ende des Gewittermonats vorbereiten. Alle zwölfjährigen Wettermacher durften alleine mit den Schirmen fliegen, wenn sie die Prüfung bestanden. Der praktische Test sorgte ihn nicht, sein Vater hatte ihm schon als kleines Kind das Fliegen mit dem Riesenseerosenschirm beigebracht. Aber die Theorie bereitete ihm Kopfzerbrechen. Er hätte die Prüfung gerne gemeinsam mit Levia und Fred gemacht, doch sie waren noch nicht zwölf Jahre alt.

»Huch!« Ein Schwall Wassertropfen prasselte auf ihn nieder. Er sprang auf, strich sich die nassen Haare aus der Stirn und schüttelte das tropfnasse Buch Fliegen will gelernt sein.

Ein Donnerkongo rauschte über seinen Kopf hinweg. Die rot und schwarz gemusterten Federn des Flugsauriers glänzten in der Sonne. Aus dem langen gelben Schnabel mit schwarzen Sprenkeln und einer stark gekrümmten roten Spitze baumelten ein paar Würmer. Das Wasser lief aus dem löchrigen Boden eines Tragekorbs, der am Bauch des Donnerkongos befestigt war.

Eine Gestalt schaute über den Rand des Korbs und winkte ihm. »Entschuldigung, hab dich nicht gesehen!« Tom hatte völlig vergessen, dass heute Bewässerungstag war, sonst hätte er sich nicht in die Wiese gesetzt. Seufzend legte er das nasse Buch zur Seite. Zeit für eine Pause. Er zog eine Kiste unter dem Gnurpsnetz hervor, nahm einen roten Samen heraus und kletterte auf das Kautschuknetz. Die Köpfe von Levia und Fred tauchten zwischen dem mannshohen Gras auf und er winkte ihnen.

»Wollt ihr mitspielen?«, rief er.

Fred war sofort Feuer und Flamme, er liebte Gnurps. Leider hatte er es bereits unzählige Male geschafft, dass er den Samen mit der Nase erwischte, und nicht mit den Beinen fing, wie es sein sollte.

»Ich schau euch zu«, meinte Levia. Behutsam setzte sie sich ins Gras und drückte sachte eine kopfgroße Blüte weg, die ihr ins Gesicht hing.

Fred hüpfte vor Begeisterung wie ein Ping-Pong-Ball auf und ab. Tom fragte sich insgeheim, wie lange sich Fred diesmal auf dem Sprungnetz würde halten können. Er klemmte einen Gnurpsklumpen zwischen die Beine und sprang ein paar Mal auf und ab. Dann spielte er Fred den Samen zu und rief: »Fang!«, was ihm gut gelang. Doch Fred verhaspelte sich an einem unsichtbaren Hindernis und verpasste sich mit der Faust einen Nasenklatscher. Sofort schoss Blut aus seiner knolligen Nase, er rutschte darauf aus und fiel kopfüber vom Gnurpsnetz. Erschrocken stürmten Tom und Levia zu ihm.

»Ist dir etwas passiert?«, rief Levia besorgt und überzog vor Aufregung die Nase von Fred mit einer dünnen Eisschicht. Immerhin stillte das die Blutung.

Stöhnend richtete sich Fred auf und vertrieb mit ärgerlich wedelnder Hand die vom Blut rosa gefärbten Wolken. Seufzend betrachtete er sein verschmiertes Hemd und die zerbrochene Brille. »Profi-Gnurpsspieler sollte ich nicht werden«, sagte er und brachte dabei sogar ein schiefes Lächeln zustande.

Tom schnaubte verärgert. »Du bist so ungeschickt, warum spiele ich immer wieder mit dir!«

»Welcher Regentropfen ist dir denn in die Augen gelaufen?«, fragte Fred erstaunt.

»Ach lasst mich doch in Ruhe!«, blaffte Tom und stapfte davon. Er hatte es satt, mit anzusehen, wie Levia ihr Gegenüber mit einer Eisschicht überzog oder irrtümlich ihren Saft vereiste. Sie hatte zwei Begabungen und er überhaupt keine. Freds Wolken wurden auch immer größer. Diese eben hatte einem Beulentier sehr ähnlich gesehen. Nur bei ihm tat sich nichts. Er nieste keine Wolken, er strahlte keine Hitze aus, er konnte nichts vereisen, sein Atem war nicht kraftvoll und seine Tränen kamen nicht in Sturzbächen wie bei Heulern, die jede Menge Regen machen konnten. Ein Heiler steckte wohl auch nicht in ihm, er konnte Schnittlauch nicht von einem Grashalm unterscheiden.

Tom stieß die Haustür auf und war froh, dass keiner zu sehen war. Rasch ging er in sein Zimmer, legte sich auf das Bett und starrte die Decke an. Er konnte die schuldbewussten Blicke seiner Freunde nicht mehr ertragen, wenn sie ungewollt ihre Begabung zeigten. Sie wussten sicher, dass er das nicht mochte. Das ärgerte ihn noch mehr. War er tatsächlich unbegabt? Mit niemandem wollte er über seine Sorgen sprechen. Ihm konnte keiner helfen. Manchmal glaubte er, dass ihn seine Eltern und Freunde besorgt ansahen. Oder war das nur Einbildung? Wie würde seine Familie reagieren, wenn er ein Unbegabter war? Seine Angst wandelte sich in Zorn. Warum musste gerade ihm das passieren?

Am Tag nach der Geburtstagsfeier war Alma Gam zu Besuch gewesen. Als sie mit Esmeralda Janus am Tisch saß und ihren dampfenden Kaktusfeigentee umrührte, hatte er gehört, wie sie sagte: »Jetzt müssen wir das ganze Haus umbauen, weil Edwin ein Heizer ist. Mit ihm können wir nicht mehr in einem Holzhaus leben.«

Esmeralda Janus erwiderte: »Alma, wir helfen euch gerne beim Umbau. Ihr wolltet doch sowieso etwas unternehmen, weil euer Haus aus Lebebaum sich dauernd verändert.«

»Ja, stell dir vor, heute Nacht haben sich ein paar Holzlatten verabschiedet. Einfach weg. Als ich aufwachte, ist eine Wollmaus auf meinem Bauch gesessen. Ich hatte freien Blick auf den Garten. Bin gar nicht wach geworden, als sich in der Nacht das Bett direkt vor das Loch gestellt hat. Wollte wohl frische Luft haben.«

Sie nahm einen Schluck von ihrem Tee. »Einen Umbau hatten wir nicht geplant. Wir wollten nur nach und nach das Holz in Latten aus Mützelbaum austauschen, damit endlich mal alles an seinem Platz bleibt. Aber jetzt müssen wir ein Steinhaus bauen. Ich weiß nicht, wie wir das bezahlen sollen, ich arbeite ja wegen der Kinder nicht mehr als Zahnheilerin. Einstweilen schläft Edwin auf einem Steinbett mit einem Steinstapel rundherum, damit nichts passieren kann. Zum Glück ist seine Gabe noch nicht so stark ausgeprägt. Aber Funken kann er schon sprühen. Untertags muss ich dauernd aufpassen, dass er nicht etwas in Brand steckt.«

Sie seufzte. »Mir ist schon vor einiger Zeit aufgefallen, dass sich seine Augen rötlich verfärben. Aber ich wollte es nicht wahrhaben. Die Lippen werden jeden Tag dunkler. Wenigstens ist die Haut noch nicht verdickt und schuppig, aber das wird auch nicht ausbleiben. Und dabei hatten wir nie einen Heizer in der Verwandtschaft!«

Was würde seine Mutter den Nachbarn erzählen, wenn sich herausstellte, dass Tom unbegabt war? Er wollte sich das lieber nicht vorstellen.

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Tom Janus und die Wettermacher - Bullige SaponenwolkenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt