Kapitel 2: Geburtstag

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Die Stunden bis Mittag schlichen dahin. Tom saß auf der Steinbank vor ihrem Haus, wie so oft in den Ferien. Auf seinem Schoß hatte es sich eine Wollmaus gemütlich gemacht. Sanft zog er an den Haaren, die überall aus dem kugelrunden Tierchen sprießten und genoss die Melodie, die aus dem schnurrenden Bauch drang. Er reckte sein schmales Gesicht in den Himmel und die Sonnenstrahlen kitzelten ihn in der Nase. Bei ihnen schien immer die Sonne, sie wurde nie von Wolken verdeckt. Tom versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, wenn es auch für sie Wettermacher gäbe, so wie sie das Wetter für die Menschen machten. Er wohnte im Dorf Dend, sie waren für Deutschland zuständig. Wie würde es sich anfühlen, wenn Regen auf sein Gesicht prasselte oder Schneeflocken vom Himmel segelten? Zu gerne wäre er einmal vom Wetterplaneten auf die Erde gereist, um all das zu erleben.

Ein Surren riss ihn aus seinen Gedanken. Sein Vater Fridolin Janus schwebte in der Luft mit ihrem Riesenseerosenschirm heran. Das Pflanzenblatt sah aus wie eine riesengroße, runde grüne Platte. Die ineinander verschlungenen Wurzeln endeten in einer Schleife, wo Toms Vater die Füße abstützte. Er hielt sich am Wurzelansatz fest. Langsam schob er eine Platte über die Löcher der Windkammer, ein unter dem Pflanzenblatt montierter Holzkasten. Der ausströmende Wind versiegte allmählich und Fridolin Janus verlor an Höhe.

Bläser wäre keine schlechte Begabung, überlegte Tom und dachte an die gewaltigen Windstöße, die sein Vater mit dem Atem produzierte. Erst gestern war Tom von einem Rumpeln mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen worden. Sein Vater hatte nicht zum ersten Mal mit einem Atemstoß das Bett an die Wand befördert. Er hatte vor dem Zubettgehen – schon wieder – vergessen, die Kautschukmaske des Windfangs über den Mund zu stülpen. Tom musste immer an den Saugrüssel von Schmetterlingen denken, wenn er ihn damit sah. Die Maske fing die gewaltigen Windstöße seines schnarchenden Vaters auf und leitete sie über einen Schlauch in die Windkammer. Als schnarchender Bläser verdiente er sein Geld im Schlaf, denn die befüllten Kammern verkauften sie im Windladen.

Fridolin Janus landete neben Tom auf dem Boden. Er war ein schlaksiger Mann mit lachenden Augen, die durch ständig fleckige Brillengläser blinzelten. Am auffälligsten war sein riesiger Mund. Bei allen Bläsern war er größer als normal, es musste schließlich eine Menge Wind durchpassen.

»Hallo Tom!«, rief er.

Er umarmte ihn lächelnd, wobei sich die Mundwinkel bis zu den Ohren verzogen, und beglückwünschte ihn zum Geburtstag. »Tut mir leid, dass ich so spät komme, aber es gab einen Notfall in der Wetterfabrik.«

»Was war denn los?«, fragte Tom neugierig.

»Ach, nicht so wichtig. Komm, gehen wir rein.«

Sachte setzte Tom die Wollmaus im Garten ab. Zufrieden stellte er fest, dass seine Streicheleinheiten das Fell hatten sprießen lassen. So stark, dass die dick behaarten Stummelbeine nur noch einen schwankenden Watschelgang zuließen. Das Tierchen musste dringend etwas Wolle abgeben, sonst würde es sich bald nur noch rollend fortbewegen können.

Drinnen hatte Esmeralda Janus den Esstisch festlich geschmückt. In der Mitte thronte eine Prickeltorte. Tom lief bei ihrem Anblick das Wasser im Mund zusammen. Alex blies mit eisigem Atem auf einen Sahne-Schneeball und legte ihn auf die Torte. Er zog einen Stuhl heran und wollte sich setzen. Doch bevor er die Sitzfläche berührte, sprang der Stuhl mit einem Satz nach hinten, und Alex landete auf dem Hosenboden.

Tom lachte auf. »Er hat dir deine Worte von heute Morgen wohl noch nicht verziehen.«

Alex grummelte, hielt den Stuhl mit beiden Händen fest und setzte sich. Sicherheitshalber schlang er die Arme um die Lehne, damit er nicht abgeworfen wurde. Doch der Stuhl war ganz brav und ruckelte nicht einmal.

Tom Janus und die Wettermacher - Bullige SaponenwolkenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt