♦️Kapitel 1♦️

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Auch als er schon längst aus dem Gebäude raus war, sah ich weiter sehnsüchtig auf den großen Eingang. Manche drängelten sich genervt an mir vorbei, doch für mich blieb die Zeit stehen. Ich nutzte den Moment, um an die schönen Erinnerungen zu denken, die nur wir beide kannten.

Wie wir immer heimlich nach draußen geschlichen sind und die Nacht dort verbracht haben, ich mich immer gefürchtet habe, als es dunkel wurde, und ich mich an ihn gekuschelt habe. Doch der schönste, aber auch traurigste, was nicht sehr lange von dem hier und jetzt entfernt:

[15.6.]
Heute ist ein ganz besonderer Tag für uns 15-Jährigen. Zum ersten Mal werden wir offiziell in die Arbeitswelt aufgenommen und dürfen selbstständig arbeiten. Natürlich haben wir auch schon davor unseren Eltern geholfen, doch ein Gesetz der Altruan hat es uns verboten, schwere Arbeit zu leisten. Ich habe sie zwar noch nicht getroffen, aber ich glaube, sie haben einfach Angst. Angst, dass wir, die Freien, zu stark werden und das System stürzen können. Gleich werde ich zusammen mit meinen besten Freunden feierlich erfahren, welche Aufgaben ich übernehmen werde. Ich hoffe ja, dass ich endlich aus diesem Klotz entkommen kann, der Geruch von Motoröl ist unerträglich!

Ich musste leicht lächeln, als ich daran zurück dachte, wie ich vor fast einem Jahr noch fleißig Tagebuch geführt hatte, doch mein Blick ging starr geradeaus, denn dies war der letzte Eintrag, den ich jemals verfasst habe.

Ja, ich habe es tatsächlich geschafft! Die nächsten zwei Trimester werde ich als Wachposten der Fraktionslosen an den Grenzen patrouillieren. Bei uns werden die Arbeitsabschnitte in Trimester geteilt: der Winter und der Herbst sind ein Trimester und Sommer und Frühling sind jeweils ein Trimester. Je nach Trimester ist die Aufgabenverteilung anders und so auch die Besetzung. Bei einem Gespräch mit Alessandra und den Abteilungsleitern wurde mir eine kämpferische Ader zugesagt, die ich zwar zuvor noch nicht bei mir gesehen habe, aber es wird schon stimmen, was sie sagen. Evelyn wurde leider in die Medizin befördert. Ich hab sehr gehofft, dass wir das vielleicht zusammen  machen könnten, unsere erste Arbeit, mit der wir etwas als Gegenleistung für unser täglich Brot zeigen können. Mit meinem Vater werde ich gleich zu meinem ersten Dienst gehen, ich bin schon so aufgeregt! Nachher schreibe ich, wie es war, bis dann!

Doch dazu kam es nicht und wird es auch niemals kommen, denn an diesem Tag wurden wir zum Zug gerufen. Dort gab es Streit mit den Ferox. Anscheinend hatten wir die Amite beklaut und sollten nun dafür büßen. Ein paar von unseren Männern ließen sich das nicht gefallen, schließlich nehmen wir uns nur das, was wir brauchen, das ist doch kein stehlen! Es kam zur Eskalation und ein paar der Männer wurden abgeführt, darunter auch mein Vater. Ich habe ihn seitdem nie wieder gesehen...

Viele Nächte lag ich wach und habe geweint, alleine und für mich. Wochenlang habe ich den Schmerz meines Herzens in mich gefressen und gesagt, es wäre alles okay. Man hat mich von meiner Arbeit befreit und mir alle Freiheiten gegeben, die ich brauchte. Und auch wenn es mir unangenehm was, so behandelt zu werden, hatte es geholfen. Ich hatte niemanden mehr, denn meine Mutter ist schon kurz nach meiner Geburt an Krebs gestorben. Ihren Tod hatte schon längst verkraftet, auch wenn ich manchmal das Gefühl hatte, dass mir eine Mutter manchmal fehlte. Doch dafür hatte ich jetzt meine Freunde die mich zu jeder Zeit unterstützten.

Doch vor allem einer ist mir in dieser Zeit immer zur Seite gestanden. Davor waren wir nur zwei Bekannte, ich kannte ihn wie jeden anderen auch, doch wir haben seitdem viel miteinander gemacht. Zusammen haben wir geweint und getrauert und die Tage vergehen lassen. Wir haben uns gegenseitig abgelenkt und uns aufgebaut mit Worten und Taten. Vor 2 Wochen hat er mir auch seine Liebe gestanden und es wäre für mich eine Qual, ihn durch das neue Gesetz verlassen zu müssen. A pros pros Gesetz, ich hatte ja noch ein Gespräch offen und so drehte ich mich um und ging weiter mit den Strom in das Gebäude hinein.

„Wie kann man einen Menschen beweinen, der gestorben ist? Diejenigen zu beklagen, die ihn geliebt und verloren haben.“ ~ Helmuth von Moltke

Falcon-Die Bestimmung wartet nicht Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt