Kapitel 05 - Diana

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Die Zeit bis zur achten Stunde zog sich ewig.

Nicht nur, weil sich Nervosität und Aufregung zu einem furchtbaren emotionalen Cocktail mischten, sondern auch weil ich erst einmal zwei Stunden Geschichte und eine Stunde Kunst überstehen musste. Geschichte war meiner Meinung nach ohnehin schon langweilig – doch wenn meine Gedanken Achterbahn fuhren und ich ungeduldig wartete, dann war es noch schlimmer. Selbst der Kunstunterricht, den ich eigentlich immer so mochte, ging mir einfach nur auf die Nerven.

Seit ich mit Mrs. Briardale gesprochen hatte, war ich zwar etwas ruhiger als am Morgen und fühlte mich nicht mehr so beklommen und verwirrt, aber wirklich gut war es nicht. Auch wenn ich jetzt eine Erklärung für die seltsamen Dinge heute hatte, so war ich nach wie vor irgendwie skeptisch. Wie könnte es auch anders sein? Meine Mutter hatte mich schon sehr früh desillusioniert und mir erklärt, dass es Magie nur in Büchern gibt. Dessen war ich mir auch bis heute sehr sicher gewesen.

Aber wie sollte ich es mir sonst erklären, dass meine Englischlehrerin Flügel hatte?

Die Antwort war: Es gab keine Erklärung dafür. Jedenfalls keine, die mir begründen konnte, warum ich die Flügel und all die komischen Lichter und Schatten sah und Melina nicht. Natürlich war da die Begründung, dass ich verrückt wurde – aber das konnte ja auch nicht sein, sonst hätte Mrs. Briardale mich ja nicht angesprochen.

Es konnte nur Magie sein.

Und auch wenn die Skepsis in mir kochte, jubelte ein Teil von mir innerlich. Nicht nur, weil ich nicht verrückt war, sondern weil es mir irgendwie richtig vorkam.

Und irgendwie wurden meine Schritte trotz meiner Verletzung immer leichter, während ich die Treppenstufen zum D-Turm hinauf ging. Ich hatte das Gefühl ich würde endlich ausreichend Antworten bekommen und wirklich verstehen, was den ganzen Morgen alles passiert war. Im zweiten Stock des D-Turms angekommen, sah ich mich um. Es musste einen Weg geben, der weiter nach oben führte. Rechts von mir ging der Gang ab, der zur Bibliothek führte, daneben noch einer, der zu ein paar Klassenräumen führte. Und der Weg nach oben? Ich drehte mich um, inspizierte die Wände – Tatsächlich! Dort, wo eigentlich immer die Treppe endete und ein Geländer war, führte auf einmal eine weitere Treppe nach oben. Etwas zögerlich ging ich dorthin, setzte meinen Fuß auf die erste Stufe. War das wirklich echt?

Ja. Also stieg ich die Treppen hoch und erblickte diesen neuen Teil der Schule. Eigentlich sah es nicht großartig anders aus als im zweiten Stock: Ein grauer Linoleumboden und graue Steinwände, sowie eine große Tür, die vom Treppenhaus zu den Räumen führen sollte. Allerdings war die Tür nicht mit Glasscheiben versehen, sodass man den Flur sehen konnte, sondern es war eine Doppeltür aus dunklem Holz. War hier etwa nur ein Raum?

Ich trat näher an die Tür heran, versuchte sie zu öffnen. Noch war sie verschlossen, ich war die Einzige hier. Der Türrahmen war, wie mir auffiel, mit diversen Symbolen verziert, die jemand feinsäuberlich in das Holz geschnitzt hatte. Ich musterte sie neugierig, versuchte mir einen Reim darauf zu machen. Eines der Symbole, das genau mittig den Rahmen zierte, kam mir bekannt vor – ich zog an dem Band um meinen Hals, holte die Kette hervor – tatsächlich. Das Symbol war wie ein Abbild meiner Halskette. Ein fünfzackiger Stern mit der Spitze oben, eingefasst in einen Kreis. An jeder Zacke saß an meiner Kette ein Kristall, die obere Zacke besaß einen violetten Stein, rechts daneben war ein gelber Stein, dann ein blauer, ein grüner Stein und dann ein roter. Die kreisförmige Metallscheibe, in die der Stern graviert und die Steine eingesetzt waren, war außen zur Hälfte schwarz und zur Hälfte weiß umrandet, wie mit einem Rahmen. Auch wenn die Schnitzerei im Holz viel schlichter war als meine Kette, wusste ich, dass sie gleich sind. Ein Schauer lief mir über den Rücken und ich ließ die Kette wieder unter den Stoff meines T-Shirts gleiten.

Die Macht der SiebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt