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Versprechen.

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Am nächsten Morgen saß ich mit konzentriertem Blick auf einem hölzernen Stuhl im Kursraum und hörte dem Referenten zu. Es war ein hochgewachsener Mann Anfang dreißig mit einem strohblonden, kurzen Bart. Sein gelangweilter Blick wanderte ziellos im Raum umher. Vermutlich hörte er selber nicht einmal, was er sagte. Zumindest fiel es dem Rest des Kurses äußerst schwer, seinen Ausführungen zu folgen.

Conec hockte mit verschränkten Armen und halb geschlossenen Augen auf meinem Nachbarsplatz. Sein Blick stierte ausdruckslos durch den Referenten hindurch. Er hatte schon lange abgeschaltet. Ärgerlich stupste ich ihn am Arm an. Als er sich zu mir umsah, warf ich ihm einen ärgerlichen Blick zu und wies nach vorne. Er sollte aufpassen. Nicht umsonst waren wir beide zusammen hier. Schließlich wollten wir auch gemeinsam in die Wildnis. Das konnten wir aber nur, wenn wir gleichzeitig bereit dazu waren. Wenn Conecs Lernfortschritt zu langsam war, würden wir nicht in dieselbe Gruppe kommen. Dabei hatten wir seit Jahren an nichts anderes denken können, als daran, gemeinsam gegen blutrünstige Untiere zu kämpfen!

Ich drehte mich wieder nach vorne. Zugegeben: Der Vortrag war langweilig. Trotzdem hörte ich so konzentriert zu, wie ich konnte. Ich wollte so schnell wie möglich so viel wie möglich lernen.

Der Blondschopf erklärte uns die Gefahr, die von Waffen im Allgemeinen ausging: Scharfe Gegenstände konnten schneiden. Schusswaffen konnten plötzlich losgehen oder bei fehlerhafter Bedienung andere Personen verletzen. Mit spitzen Gegenständen konnte man sich aufspießen.

Als die Stunde endlich vorbei war, atmete der gesamte Kurs auf und verließ fluchtartig den Raum. Conec reckte sich ausgiebig. Mit grimmigem Blick musterte ich ihn.

„Was ist?", fragte er unschuldig, als er meinen Blick bemerkte. Eine braune Locke hing ihm vorlaut ins Gesicht. Mit einem gezielten Pusten schubste er sie zurück.

Beinahe augenblicklich verschwand ein großer Teil meines Ärgers. Ich konnte Conec niemals wirklich böse sein. Andererseits wollte ich aber auch nicht nichts sagen.

„Glaubst du ... du schaffst die Prüfung in diesem Kurs?"

Er blinzelte zweimal. „Wieso?"

„Du siehst nicht so aus, als würdest du aufpassen ..."

„Achsoo ..." Verschmitzt schob Conec sich die nächste Locke aus dem Gesicht. „Sorry, ich habe bis tief in die Nacht über Bekannte giftige und essbare Wildbeeren gebrütet. Jetzt bin ich ganz schön fertig. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ich sie erkennen würde, wenn ich sie vor mir sehe, deshalb ..."

Was bis eben noch von meinem Ärger geblieben war, verpuffte in dieser Sekunde. Ich schenkte meinem besten Freund ein erleichtertes Lächeln. „Das ist gut. Je mehr wir lernen, desto schneller lassen sie uns nach draußen."

Conecs Stirn kräuselte sich nur ganz leicht. „Wir sollten gut vorbereitet sein, wenn wir zum ersten Mal nach Draußen gehen, June ..."

Ich nickte und griff nach meinem Schreibzeug, um es in meine Tasche zu verräumen. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Conec die Augen verdrehte.

Ärgerlich drehte ich mich zu ihm um. „Nimmst du die Sache hier überhaupt ernst?", fragte ich ihn jetzt in strengem Ton.

Conec hob eine Augenbraue. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie ernst ich sie nehme, June."

Er musterte mich mit diesem festen Blick, den er mir so oft zuwarf. Conec war immer der Vernünftige von uns beiden gewesen. Derjenige, der mich auf den Boden der Tatsachen zurückholte, wenn ich Gefahr lief, abzuheben. Jetzt war er wieder kurz davor, mir eine seiner Predigten vorzuhalten, die so furchtbar belehrend und gleichzeitig klug klangen.

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