Im Reich der Gorgona

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Am folgenden Tag schiffte ich mich mit meinen Gefährten im Hafen ein und fuhr ins Unbekannte, um die Insel der Gorgona zu suchen. Unterwegs gerieten wir in einen heftigen Sturm, der das gesamte Schiff zerstörte und mich als Einziger überleben ließ. Auf einem Stück Treibgut wurde ich tagelang von den Wellen hin und her getrieben. Ich glaubte schon an mein Ende, als ich plötzlich Land in der Ferne erspähte. Mit letzter Kraft schwamm ich auf die nahe Küste zu und war froh dem Tod im Meer entronnen zu sein. 

Nachdem ich mich ausgeruht hatte, begann ich das Land zu erkunden. Auf den ersten Blick bot es keinen schönen Anblick. Der Himmel war düster und mit dunklen Wolken verhangen. Überall schien es aus der Erde zu brodeln und zu kochen. Nackte Felsen ragten unheimlich in den Himmel. Langsam und vorsichtig bahnte ich mir einen Weg ins Landesinnere. Doch ich begegnete keinem lebendigen Wesen. Allem Anschein nach war dieses Land unbewohnt und leer. Mich überfiel eine große Trostlosigkeit. Wie sollte ich es schaffen, ohne fremde Hilfe und einem Boot wieder von hier wegzukommen. Ich musste doch auf die Insel, wo die Gorgona lebte, um sie zu erlösen. So setzte ich mich auf einen Stein und starrte in die Gegend. Doch außer Nebelschwaden, die über die feuchten brodelnden Sümpfe zogen und ein paar Sträuchern, konnte ich nichts erkennen. Ich ließ meinen Blick schweifen und hielt plötzlich inne. Ganz in der Ferne nahm ich auf einmal einen Lichtschein in einer Höhle wahr. Erleichtert, jemanden oder etwas gefunden zu haben, was mir vielleicht aus meiner misslichen Situation weiterhalf, setzte ich behutsam einen Fuß vor den anderen, um nicht im schlammigen Untergrund zu versinken. Als ich den Höhleneingang erreicht hatte, lugte ich vorsichtig um die Ecke und sah im Innern ein kleines Feuer brennen. An dem Feuer saß eine merkwürdige Gestalt, die zusammen gekauert zu schlafen schien. Ich überlegte, was ich tun sollte. Aber wie ich es auch drehte und wendete, mir blieb wohl nichts anderes übrig, die Gestalt anzusprechen und zu fragen, wie ich wieder von hier fort kommen sollte. Gerade hatte ich meinen ganzen Mut zusammen genommen, um mich dem Fremdling  zu nähern, als der Boden unter meinen Füßen so heftig zu beben begann, dass es mir unmöglich war einen Schritt vor den anderen zu setzen. In aller Hast klammerte ich mich an die Felswand fest und rutschte dabei in einen Spalt. Die Höhle bebte immer weiter. Doch die Gestalt ließ dies unbeeindruckt. Sie saß immer noch zusammen gesunken am Feuer. Dann bildete sich eine riesige Wolke vor ihr und mit einem lauten Knall erschien ein dürrer, hochgewachsener Mann, der langsam auf sie zuschritt. 

,,Guten Abend, Gorgona! Ich hoffe du hast den Tag gut genutzt und bist endlich vernünftig geworden." 

Er machte eine Pause und schaute sich in der Höhle um. Ich versuchte nicht entdeckt zu werden und glitt noch tiefer in mein Versteck hinein. Der Mann schaute nach rechts und links und zuletzt, als er nichts Verdächtiges fand, auf die Gestalt, die immer noch regungslos an ihrem Platz verharrte. Als dem Besucher keine Regung von seinem Gegenüber bemerken konnte, stieg ihm langsam die Zornesröte ins Gesicht. 

,,Antworte, willst du nun meine Frau werden oder nicht?" 

Allmählich  hob die Gestalt ihren Kopf und stieß einen markerschütternden Schrei aus. 

,,Na gut, wie du willst Gorgona. Du weißt, ich werde dich solange fragen, bis du einwilligst und so lange du es nicht tust, wirst du weiter in dieser schrecklichen Gestalt bleiben." 

Er beugte sich hinunter und flüsterte ihr ins Ohr:,, Alles Gute, mein Liebling." 

Dann verschwand der Mann wieder mit einem lauten Knall und mir stockte der Atem. Gorgona! Hatte der Besucher nicht diesen Namen erwähnt? Sollte ich schon dort sein, wo ich hin wollte - auf die Insel, wo das grausame Schicksal die verwunschene Königstochter hin verschlagen hatte? Und der geheimnisvolle Mann? War er nicht der böse Zauberer Cassmir gewesen? Wenn ich den Worten des Krämers Glauben schenken sollte, kam er jeden Abend, um Gorgona zu fragen, wie sie sich entschieden habe. Glücklicherweise war ihr Herz noch nicht so verzweifelt gewesen, um von ihm besiegt zu werden. Für mich gab es also noch eine Chance. 

Hoffnungsvoll schritt ich auf die Gestalt zu und redete sie an. Sie erschrak und wollte sich vor mir verbergen, aber ich konnte sie beruhigen und erzählte ihr, dass ich ihr trauriges Los kennen würde und bereit wäre, sie zu erlösen. Gorgona senkte traurig das Haupt und sprach:

,, Leider seid ihr nicht der erste Freier für mein Herz, Prinz Nael. Schon viele vornehme Herren sind gekommen und haben sich eingebildet mich zu lieben. Aber sie haben immer nur die schöne Königstochter in mir gesehen. Der Gorgona war keiner von ihnen zu getan. Die Freier blieben Monate und Jahre auf der Insel. Doch der Fluch wurde nicht gebrochen, weil sie den falschen Teil in mir geliebt haben." 

,,Keine Angst, Gorgona!" antwortete ich schnell und ergriff eine ihrer Klauen. ,,Ich fühlte vom ersten Augenblick an, als ich dich sah, dass ich dich immer lieben werde, egal in welcher Gestalt." 

Langsam hob die Gorgona ihren Schlangenkopf und sah mich mit ihren rot glühenden Augen an. Ich versuchte zu lächeln und es schien mir, als ob sie trotz ihrer Hässlichkeit noch etwas Schönes verborgen hielt. So vergingen drei Jahre und unsere Zuneigung wuchs mit jedem Tag. Ich hatte mich nicht nur in die Prinzessin verliebt, sondern auch in die Gorgona, die mir nun gar nicht mehr so hässlich erschien. Dann sollte der Tag kommen, der unser Verhängnis werden sollte...

Gorgona - Aus Liebe erlöstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt