Kapitel 5

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"Woher weißt du...?", stottere ich.
"Das ist unwichtig", erwidert er bloß, ehe er fortfährt, "Aber wichtig ist, dass wir ihn finden wollen. Und DU kannst uns dabei helfen, Lucie. Also bitte, komm mit uns."
Mein Herz pocht wie wild. Das ist meine Chance, den Menschen wiederzusehen, den ich über Alles vermisse.
Ich will etwas sagen, aber bekomme den Mund einfach nicht auf.
"Bitte", es ist das erste Mal, dass ich so etwas wie Angst in Adam's Augen erkenne. Nicht einmal bei dem angehenden Kampf hat er so ausgesehen.
"Er war ein Freund von dir", murmele ich fassungslos.
So wirkt es jedenfalls auf mich, so wie er sich sorgt. Adam hat also Freunde, aha. Das bedeutet, dass er nicht mit allen so furchtbar umgeht, wie mit mir. Ich bin mir nämlich sicher, dass Carter den Adam, der mich wie Dreck behandelt, nicht als Freund dulden würde.
Ohne länger nachzudenken, antworte ich fest.
"Unter drei Bedingungen... Erstens, entweder du behandelst mich besser oder du sprichst gar nicht mehr mit mir. Zweitens, ich will mich von meiner Familie verabschieden, auch wenn wir nicht lange fort sind. Meinetwegen auch mit einem Brief. Drittens, du erklärst mir Alles."
"Um Letzteres zu erfüllen, muss ich mir sicher sein, dass ich dir trauen kann", meint Adam.
"Das kannst du", sage ich lächelnd.
"Nein. Ich kann niemandem trauen, ehe ich ihn kenne."
"Okay, du Idiot."
"Nenn mich nicht so, das ist meine Bedingung."
Ich verdrehe meine Augen, "Stimmt, da du mich so reizend behandelst..."
"Komm schon. Wir könnten jetzt Ewigkeiten streiten, aber du willst ebenso wie ich Carter finden", murmelt Adam mit rauer, leider verdammt heißer, Stimme.
"Ja, ja. Ja, ich will ihn finden..."
"Ein Deal ist ein Deal", sagt Adam deshalb zufrieden und reicht mir seine Hand.
Ich nehme sie vorsichtig und schüttele sie schnell, um sie wieder loszulassen. Ich mag den Kerl noch immer nicht sonderlich, daran wird auch sein gutes Aussehen oder seine angenehme Stimme nichts ändern.
Und ich bezweifle, dass ER sich ändern könnte. Aber es ist egal, wenn ich Carter finde.
Wenn ich Carter finde, ist mir alles egal.
"Ich kann dich heute Nacht heimlich zu deiner Familie schmuggeln. Du wirst ihnen aber eine Nachricht schreiben müssen. Und wir werden länger als vier Wochen unterwegs sein. Also nimm genug Wäsche mit, aber nicht zu viel. Und wehe, du sprichst mit irgendjemandem aus meinem Rud... Meiner Gruppe. Sie sollen denken, dass du unsere Gefangene bist. Deshalb werden sie dich auch so behandeln, also keine dummen Sprüche und täusche Angst vor", es kommt mir vor, als würde Adam gar nicht mehr aufhören, zu reden. Ich nicke nur, um meine Zustimmung zu vermitteln. Ich bin zu aufgeregt, um zu widersprechen.
"Aber halt", sage ich, "Meine Familie wird mich doch erst Recht suchen, wenn..."
Adam plaziert angespannt einen Finger auf seiner Unterlippe und packt mich fest am Arm, "Es kommt jemand."

Ich bereite mich schon darauf vor, dass ich gleich das panische, entführte Mädchen darstellen muss.
Mein Herz pocht schneller und ich kralle mich in Adam's T-Shirt, welcher mich daraufhin nur überrascht von der Seite ansieht. Bestimmt kommt jetzt irgendein Volltrottel, der denkt, mich wie ein Stück Dreck behandeln zu dürfen.
Doch stattdessen sehe ich Ava, wie sie zusammen mit einem Mann, welcher wie besessen an ihren Lippen hängt, aus dem Eingang stürzt. Er hat seine Hände überall an ihrem Körper und verteilt innige Küsse auf ihrem Hals, sowie ihrer nackten Schulter. Als sie uns sieht - nebenbei den geschockten und nicht sonderlich erfreuten Gesichtsausdruck ihres Bruders - zuckt sie regelrecht zusammen und rückt ihr hübsches Top zurecht, welches ihre schlanke Figur betont.

Wenig später steht Ava neben uns und hat den Kopf auf den Boden gerichtet. Sie sieht schuldbewusster aus als meine kleinen Brüder, wenn sie mal wieder den Fernseher zerstört hatten. Ein Schmerz durchzerrt meinen Körper und der Gedanke daran, meine absolut nervigen (aber doch so unglaublich einzigartigen) Geschwister lange nicht wiederzusehen, lässt mich zittern.
Ava scheint mir anzusehen, dass es mir irgendwie schlecht geht, doch sie scheint sich nicht zu trauen, mit mir zu reden. Immerhin hat sie zugelassen, dass ihr bekloppter Bruder mich in eine noch beklopptere Zelle geworfen hat.
Hinter Ava steht ein junger Mann, der verantwortlich für Ava's Schuldbewusstsein zu sein scheint. Ich schmunzele und begutachte sie Beide. Sie ähneln einander absolut nicht. Ava ist rundum perfekt, während der Kerl hinter ihr eher dümmlich wirkt, auch wenn er ganz hübsch ist. Adam läuft wie wild geworden hin und her, "Du hast etwas mit Dean?"
Den gewissen Dean scheint es nicht zu interessieren, dass Adam seinen Namen ausspuckt, als wäre dieser giftig. Anstelle dessen verfolgt er mit dem Blick ein Blatt, das sich den Weg zum Boden bahnt. Ich runzele belustigt die Stirn und beobachte ihn dabei. Jetzt streckt er die Hand aus und fängt das Blatt auf, ein seltsamer Laut entfährt ihm. Auch Ava und Adam sehen ihm jetzt zu, bevor Ava sich zu wieder ihrem Bruder dreht.
"Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht in der Vergangenheit lebe! Wärst du auch nur im Mindesten spontan, dann hättest du das mit Luna langsam verkraftet und hättest Mädchen angesprochen. Aber nein, du bevorzugst es, mit ihnen zu schlafen und das wohlgemerkt, ohne vorher überhaupt mit denen ein Wort zu wechseln. Ich küsse, wen ich küssen will", Ava schüttelt entgeistert den Kopf, "Und ich mag Dean."
"Er ist doch nur eine Ablenkung", Adam schlägt die Hände über seinem Kopf zusammen.
Ava sieht ihn entrüstet an und es wirkt beinahe auf mich, als würde sie gleich anfangen zu weinen.
"Komm, Dean, wir gehen rein. Wir müssen uns nicht mit dem abgeben", sie dreht sich um, aber findet keinen Dean vor.
Diesmal melde ich mich zu Wort, "Er ist da hinten langgerannt, weil er einen Vogel gesehen hat."
Ava stapft durch den Laub, ohne sich für meine Auskunft zu bedanken.

"So einer bist du also", murmele ich, als ich wieder in meiner Zelle unten sitze. Diesmal sitzt aber Adam neben mir und irgendwie fühle ich mich dummerweise geborgen.
"Was für einer, Waldmädchen?", Adam sieht mich von der Seite schelmisch an und ich boxe ihn kurz leicht in den Oberarm.
"Vierte Bedingung -", sage ich hinsichtlich unserer Abmachung in Bezug auf Carter, "-Du lässt das mit dem 'Waldmädchen'."
"Vergiss es, Liebes, ich mag es, dich so zu nennen", schmunzelt er und die Grübchen in seinen Wangen erinnern mich automatisch an Carter. Er hatte auch so welche, immer, wenn er lächelte.
"Du bist so Einer, der mit Mädchen schläft, weil er ein anderes so verdammt vermisst, oder? Du bist traurig, oder?", ich ziehe beide Augenbrauen hoch.
Adam betrachtet mich von der Seite.
"Sie hatte dieselben Lippen wie du", meint er leise, steht dann aber auf und tut so, als würde es ihm nicht schwerfallen, über sie zu reden, "Aber sie ist verschwunden. Und ich werde sie nie wiedersehen."

Die Mit Den Wölfen TanztWo Geschichten leben. Entdecke jetzt