Die Mit Den Wölfen Tanzt

Kapitel 16

William und ich stehen uns schweigend gegenüber und die Elektrizität, die in der Luft liegt, flirrt regelrecht um uns herum.
„Du brauchst wahrscheinlich Zeit, um das erstmal richtig zu verdauen", höre ich seine Stimme. Sie ist nicht mehr so fest wie zuvor, eher verunsichert, als hätte er wirklich Angst, mich zu verlieren.
Vielleicht ist er mein Seelenverwandter. Die Person, für die ich angeblich bestimmt bin.
„Ja, ich brauche Zeit, um das zu verdauen", flüstere ich.
Als William an mir vorbeigeht, um mich allein auf der hölzernen Bank zurückzulassen, legt er kurz eine Hand auf meinen Arm und ich fühle mich automatisch wie betäubt.
Als er weg ist, lasse ich mich gedankenverloren auf die Bank fallen, starre in den Himmel und denke an Kim. Kim. Ich habe nicht an sie gedacht, weil so unfassbar viel passiert ist. Ich habe meine beste Freundin vergessen.
Mein Herz fängt erneut an unheimlich zu schmerzen.
Während ich versuche, ruhig und langsam zu atmen, schwöre ich Kim in Gedanken, dass ich sie rächen werde, wie ich es bereits am Anfang getan habe.
Ich habe immer mehr Ziele und zum ersten Mal habe ich Leichen gesehen.
Richtige, echte Leichen. Voller Blut und mit offenen Augen, wie man es sonst nur in Krimis sieht. Und mein Herz hat geblutet. Ich habe einen Seelenverwandten und scheinbar lieben mich zwei Männer.
Und ich habe Carter nicht gefunden, die Person, für die ich eigentlich herkam.
„Lucie?"
Ich schrecke auf, als ich die bekannte Stimme höre. Ava steht hinter mir.
Sie sieht mich fragend an, ich nicke nur. Schnell lässt sie sich neben mir nieder. Ihre Augen sind noch rot, weil sie geweint hat.
„Es tut mir leid, dass du das sehen müsstest", murmelt sie jetzt monoton.
„Du musstest es doch auch sehen?", ich drehe meinen Kopf zu ihr und sehe ihr hübsches Profil. Die geschwungenen Wimpern, die hübsche Stupsnase.
„Das ist normal, Lucie. Ich sehe Tote seit ich hier bin. Seit ich klein bin. Unsere Eltern waren auch Werwölfe, aber die Älteren sterben hier immer früh. Bisher meistens im Kampf. Oder an einer Verblutung", sie starrt weiterhin geradeaus.
„An einer Verblutung?", frage ich vorsichtig.
„Kein Herz, nicht mal ein Wolfsherz, hält jeden Schmerz aus", sie atmet tief ein, „Als meine Mutter im Kampf umkam, ist mein Vater verblutet. Sie starben beide auf dem Schlachtfeld."
Stille liegt jetzt in der Luft.
Wieso erzählt sie mir all das, als wäre ich ihre engste Freundin?
Langsam rücke ich zu ihr und lege meinen Kopf auf ihre Schulter, wie ich es jetzt bei meinen Schulfreundinnen machen würde, „Du bist ein starker Mensch.. Wolf."
Ein schwaches Lächeln belegt ihre perfekten Lippen, als sie sich zu mir dreht, „Es gibt immer eine Grenze an Dingen, die man aushält, Lucie. Ich habe alles gesehen. Ich will nicht mehr. Ich bin müde von dem Sterben um mich herum."
Ich nicke, „Das versteh ich."

Wir verharren etwa eine Stunde schweigend auf der Bank, bis ich Adam's Stimme höre.
„Oh verdammt, ich habe ihm gesagt, dass ich dich nur holen gehe", entfährt Ava, die jetzt nervös aufspringt und somit verursacht, dass mein Kopf beinahe auf das Holz schlägt.
Während sie der besorgten Stimme entgegenrennt, setze ich mich aufrecht auf die Bank.
Ich werde Adam jetzt das erste Mal wiedersehen, seit dem ich weiß, dass er vielleicht mein Seelenverwandter ist.
Schnell öffne ich meinen Zopf und spüre, wie meine Haare über meine Schultern fallen, dann sehe ich auch schon Adam. Er rennt regelrecht auf mich zu.
„Da bist du", lächelnd nähert er sich und hinter ihm schleicht Ava her, wie ein angeschossenes Rehkitz, „Komm, wir müssen weiterziehen."
Ich sehe ihn an. Es ist, als würde er leuchten.
Ich will ihn berühren.
Doch gerade, als ich meine Hand nach ihm ausstrecken will, fängt er an loszulaufen und mir bleibt nichts anderes übrig, als mir den Kopf darüber zu zerbrechen, ob das bedeutet, dass er mein Seelenverwandter ist.