Kapitel 6

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Seit zwei Tagen besucht Adam mich regelmäßig in meinem Verlies. Er bringt mir zum Frühstück, zum Mittag und zum Abend eine Mahlzeit und benimmt sich ausnahmsweise nicht wie ein Idiot. Jetzt ist der dritte Tag und heute zieht die Gruppe von Adam und Ava weiter. Das heißt, dass heute der Tag ist, an dem ich ihnen sagen werde, dass ich zu ihrer Gruppe gehören will. Adam und ich haben es schon lange geplant. Ich werde zum 'Anführer' gehen, der den Namen William trägt, und ihn bitten, mich aufzunehmen. So kann ich frei herumlaufen und trotzdem nach Carter suchen.

Vorletzte Nacht hat Adam mich zu meinem Haus gebracht. Meine Eltern schliefen tief und fest, sowie meine Brüder und Schwestern. Ich habe in jedes Zimmer kurz hereingeschaut, ehe ich meinen Eltern einen Brief hinterließ.

Liebe Mom, Lieber Dad,

Ich bin weg für eine Weile. Ich bin mit Freunden unterwegs und werde mit denen den Stoff von der Schule machen. Oder so. Mir wird an nichts fehlen und ich werde heimkommen, in nicht allzu ferner Zeit. Mir wird alles zu viel hier und ich bin gut aufgehoben, wenn ich bei diesen Menschen bin. Ich will wieder die Alte werden und hier habe ich unmöglich die Chance dazu. Es liegt nicht an euch. Es liegt an mir.
Verzeiht mir, dass ich euch verlasse.
Ich liebe euch über Alles,

Lu

Mein kleinster Bruder, Collin, konnte Lucie nicht aussprechen, weil er lispelte als er noch ganz klein war. Daher klang es immer wie 'Luffi'. Es war schrecklich nervig, deshalb beschloss ich, mich von ihm Lu nennen zu lassen. Leider Gottes begannen irgendwann alle, mich Lu zu nennen. Und meine Freunde nennen mich Cici, was ich im Grunde nicht so schlimm finde.

Als Adam mich abholt, sehe ich ihn zuerst zaghaft an. "Hey, ist alles okay?", fragt er vorsichtig und ich habe das Gefühl, als sorge er sich tatsächlich um mich. Aber in Wahrheit will er vermutlich nur, dass ich ihn mag, damit er eine weitere Verehrerin hat. Nein danke, mein Lieber, ich verzichte. Er ist vielleicht attraktiv und er kann auch ganz nett sein, aber eben nur, wenn er etwas will.
"Komm, Lucie, wir müssen zu Will", er greift nach meiner Hand, ich lehne jedoch dankend ab. "Ich kann alleine gehen, Danke."
Schmunzelnd verlässt er mit mir diesen Kerker und ich bin so froh, dass ich die ganze Welt umarmen könnte. Es war so verdammt muffig, eng und bedrängend da drin.

Oben angekommen lasse ich mich zu einem großen Typen schleifen, der den Rücken zu mir gedreht hat und in die Ferne sieht. Man kann ihm ansehen, dass er muskulös und dennoch schlank ist und allein sein Hinterkopf sieht umwerfend aus.

Sieht denn irgendeiner aus dieser Gruppe nicht unglaublich aus?

Adam tippt die Schulter des Kerles an, welcher zu ihm herumfährt. Ich hatte mir einen älteren Mann vorgestellt, immerhin ist er der Anführer. Doch vor mir steht ein Typ, der vermutlich nur drei, vier Jahre älter als ich ist. Seine Haare sind dunkelblond und relativ kurz, er hat dunkle Augen, die beinahe schwarz wirken, und ist braun gebrannt.
"Adam!", ruft er überrascht aus und lächelt Adam an, "Wie schön, dass du mal eine Minute nicht in den dunklen Räumen im Keller verbringst."
Er hat einen süßen Akzent, vermutlich kommt er aus Kansas oder Kentucky.
Als er mich sieht, weitet er die Augen, "Oh, hallo... Moment, du bist doch das Mädchen, das im Wald vorgefunden wurde", jetzt mustert mich der Mann und lächelt mich aufmunternd an, als wäre er nicht verantwortlich dafür, dass ich hier feststeckte.
"Es tut mir leid, dass du uns nicht verlassen kannst. Adam meinte, du wüsstest über alles Bescheid und deshalb darf ich dich einfach nicht gehen lassen...", murmelt er und sieht mich durchdringend an.
Ich sehe Adam erstaunt und wütend an. Über WAS weiß ich Bescheid? Bin ich nur hier, weil Adam mich grundlos gezwungen hat? Adam nickt nur hilfesuchend.
Um Carter's Willen, wenn ich jetzt die Wahrheit erzählen würde, würde mich dieser Anführer wahrscheinlich laufen lassen und ich könnte meinen besten Freund nicht suchen, tue ich, als hätte ich leichte Angst und absolute Ahnung von der ganzen Sache, "Ja, Ja, ich weiß Bescheid..."
"Ich bin William", William reicht mir seine Hand, welche ich sofort ergreife.
"Lucie", erwidere ich. Ich scheine seine Hand ein wenig zu lang festzuhalten, denn jetzt räuspert sich Adam von der Seite.
"Und, ähm -", William sieht mich weiterhin warm an, "-Du hast kein Problem mit unserem großen Geheimnis?"
Ich schüttele sofort den Kopf. Ich habe den Drang, seinen Dank zu verspüren.
In Wahrheit habe ich natürlich keine Ahnung, was ihr Geheimnis ist und wie schlimm es ist. Adam räuspert sich erneut. Ich soll endlich die entscheidende Frage stellen, schon verstanden.
"Ich wollte fragen, ob ich nicht in einer Hinsicht Teil eurer Gruppe sein kann... Ich bewundere euch und ich wäre gerne Mitglied. Außerdem könnt ihr mir vertrauen", taste ich mich lügend, aber vorsichtig, heran, während ich William mit meinem berühmten Rehaugen-Blick anschmachte.
Er sieht mir wortlos in die Augen, nickt dann aber langsam.
Langsam beugt er sich vor, um mir mit warmen Atem ins Ohr zu raunen: "Niemand darf irgendetwas von unserem Geheimnis erfahren, verstanden?"
Gänsehaut breitet sich auf meinem gesamten Körper aus und diesmal bin ich diejenige, die hastig nickt.
Als ich aufsehe und nach rechts gucke, steht dort neben mir ein Adam, der wütend und enttäuscht aussieht.
Wieso ist er denn auf einmal so in Schmolllaune?
Idiot.
William nimmt mich vorsichtig am Arm, "Hast du schon Kleidung? Wir gehen in einer Stunde los." Erneut verschafft mir diese Berührung Gänsehaut, ich nicke. Doch als ich so zu ihm hinaufsehe, interessiert mich Eines am Meisten.
"Was ist das Geheimnis?", frage ich mich lautlos, nachdem William um die Ecke verschwunden und ich alleine stehen geblieben bin.

Die Mit Den Wölfen TanztWo Geschichten leben. Entdecke jetzt