Kapitel 1

163 25 13
                                    

Schon lange bin ich vom richtigen Wanderweg abgekommen und schleiche nun gedankenverloren durch das dichte Unterholz.
Mittlerweile haben alle die Suche aufgegeben, aber ich bin kein Schwächling. Ich kann ihn nicht vergessen, auch wenn mir alle krampfhaft einreden, dass er nicht wieder kommt.

Der Wald ist dunkel, aber auf eine unheimliche Art. Ich meine, es ist Herbst und mittlerweile wahrscheinlich acht Uhr, aber ich bin jetzt schon so lang unterwegs, ich gebe nicht auf. Er ist im Wald verschwunden und nie heimgekehrt. Es wird spekuliert, dass ein wildes Tier ihn umgebracht hat oder einfach, dass er abgehauen ist. Er würde nicht abhauen, niemals. Sein Leben war perfekt. Er spielte ausgezeichnet Basketball, hatte eine tolle Familie und war so gutmütig, dass einem jedes Mal das Herz aufging, wenn er anfing zu reden. Und ich hatte die Ehre, seine beste Freundin zu sein, der Mensch, zu dem er mit seinen Problemen ging. Ich schließe meine Augen, bleibe stehen und atme tief ein und aus.

Ein Jahr ist es her und alle benehmen sich wieder völlig normal. Alle ausser seine Familie, ausser mir.

Als ich weitergehe, höre ich ein angsteinflößendes Knurren.
Dreh dich nicht um, Lucie, sagen meine Gedanken mir, dreh dich nicht um! Wortlos und wie betäubt stehe ich in der Dunkelheit, das Knurren umgibt mich, kommt näher, wird lauter.
"Hilfe", quetsche ich leise heraus, bereit meine letzten Atemzüge zu vollbringen. Vielleicht war es dieses Tier, das meinen besten Freund umbrachte. Ich will nicht so sterben, ich will es ihm nicht gleich tun. Ich renne los, hinter mir das Knurren, es folgt mir also. Um Hilfe bettelnd renne ich weinend durch den Wald, springe über große Baumstämme und falle schließlich schluchzend hin - über eine dumme Wurzel bin ich gestolpert, ich Idiot! Ich krümme mich zusammen und weine um mein Leben. "Bitte, tu mir nichts...", flehe ich beängstigt. Schmerzen durchdringen meinen Kopf, ich taste nach oben und fasse prompt in etwas Warmes hinein. Blut. Ich blute. Verdammt, ich muss mir den Kopf aufgeschlagen haben. Bei dem Gedanken an Blut wird mir schwindelig, dazu die Schmerzen, ich schließe die Augen kurz. Mein Kopf dröhnt und das Knurren verschwindet nicht. Im Gegenteil, dieses angesteinflößende Geräusch nähert sich meinen Ohren in Sekundenschnelle.
Plötzlich ertönt ein atemberaubendes erschreckendes Brüllen, der Boden zittert leicht und das Gebüsch beginnt laut zu rascheln. Das Knurren über mir wird leiser, bis es schließlich vollkommen verebbt.

Ehe mir schwarz vor Augen wird, spüre ich, wie ich hochgehievt werde.

Die Mit Den Wölfen TanztWo Geschichten leben. Entdecke jetzt