Ohne nachzudenken änderte ich meinen Weg und stieg ebenfalls die Treppe hinauf.
In dem großzügigen Flur, der allerdings nicht beleuchtet war, sah ich mich zuerst auf der rechten Seite um, dort war er jedoch nicht. Ich drehte mich um und erstarrte für einen kurzen Moment. Am anderen Ende des Flurs, neben dem Fenster saß jemand auf dem Boden. Ich kniff die Augen zusammen und erkannte, dass er es tatsächlich war als der Mond durch die Wolken brach und ihn beleuchtete.
So leise es meine Heels es zuließen, schlich ich mich an ihn heran. Er sah jedoch nicht zu mir hinauf. Vielleicht schlief er?
Erst als ich mich langsam neben ihn setzte, blickte er kurz zur Seite, sagte jedoch nichts und schloss erneut die Augen.
"Geht's dir gut?", fragte ich vorsichtig.
Keine Antwort.
"Ich fand es nur etwas seltsam, dass jemand alleine nach oben läuft und dann alles stockdunkel lässt."
Er antwortete wieder nicht, doch mir war bewusst, dass er mir genau zuhörte. Und noch etwas war mir bewusst, jetzt wo ich hier im dunkeln saß. Meinen 'angetrunkenen' Zustand wie ich ihn vorhin selbst bezeichnet hatte, entsprach vielleicht doch nicht ganz der Realität. Gerade drehte sich alles in meinem Kopf viel zu schnell...
"Du bist wohl nicht so gesprächig, wie's aussieht", nuschelte ich und blickte zu meiner Linken, um ihn ansehen zu können. Er trug eine schwarze Hose und eine schwarze Jacke, die Kapuze hatte er mal wieder angezogen.
"Und was führt dich hierher? Also auf eine Studentenparty meine ich. Du studierst doch gar nicht, jedenfalls nicht bei uns, sonst wärst du mir doch direkt aufgefallen..."
Okay, Claire. Vielleicht solltest du ihn nicht so voll labern. Wenn er reden will, wird er das schon tun, oder?
Er sah mich mit einem leeren Blick an, falls ich das überhaupt beurteilen konnte, schließlich dachte mein Hirn sich momentan sowieso vieles dazu und außerdem war es schier zu dunkel. Am liebsten hätte ich einfach das Licht angeschaltet, ich wollte, nein ich musste diese Augen richtig sehen.
Plötzlich lehnte er sich stöhnend gegen die Wand. Offensichtlich ging es ihm alles andere als gut. Aber was sollte ich tun? Wenn er sich übergeben müsste, könnte ich ja nichtmal seine Haare halten...
Meine Gedanken waren so wirr und vernebelt vom Alkohol, dass ich nicht merkte wie er langsam seine Hand nach meinem Becher ausstreckte. Erst als seine kalten Fingerspitzen meine Hand streiften, zog ich meine Hand erschrocken zurück.
"Mhm, also du siehst so aus als würde es dir gerade relativ mies gehen. Ich glaube dann ist Bacardi-Cola nicht die beste Idee."
Unbeirrt griff er erneut nach meinem Becher und schaffte es ihn mir aus der Hand zu nehmen.
"Hey, jetzt mal ernsthaft, wenn du was trinken willst, dann hol ich dir lieber ne Flasche Wasser", schimpfte ich.
"Was ist dein Problem?!", fuhr er mich an.
Vollkommen überrumpelt, dass er endlich etwas gesagt hatte, starrte ich ihn mit offenem Mund an.
"Wie bitte?!"
"Was willst du von mir?", fragte er nun mehr als unfreundlich. Ich überlegte einen kurzen Moment. Was genau wollte ich eigentlich hier bei ihm? Seit ich ihn das erste Mal gesehen hatte, war plötzlich dieses Bedürfnis in mir gewesen, dass ich ihn sehen musste. Ich hatte mir allerdings nie wirklich Gedanken darüber gemacht, wie ich ihm das erklären sollte.
"Du solltest wieder nach unten gehen", riss er mich aus meinen Gedanken.
"Das werde ich nicht tun."
Er schnaubte. "Warum? Was bringt es dir hier bei mir zu sitzen, wenn du mich nicht kennst und absolut keine Ahnung hast wer ich bin?"
"Deshalb bin ich hier, schätze ich."
"Das glaube ich dir nicht. Ich kenne dich, besser gesagt ich kenne Menschen die wie du sind. Wieso sollte sich jemand wie du für mich interessieren?"
"Du bist faszinierend... also ich finde dich faszinierend." Erschrocken legte ich meine Hände auf meinen Mund. Oh Gott, das hatte ich nicht gerade wirklich gesagt oder? Wie peinlich. Verfluchter Alkohol, wieso musste ich immer so ehrlich werden, wenn ich genug getrunken hatte?
"Von was bist du fasziniert? Von meinem Aussehen? Oder davon, dass du den Badboy in mir siehst?"
Ich schwieg. Ich konnte nicht genau erklären, was mich so anzog, aber sein Aussehen war ebenfalls wie seine Augen göttlich.
"Du siehst den Badboy in mir hab ich Recht? Du sehnst dich danach Regeln zu brechen, das reizt dich mehr als ein langweiliger Spaziergang entlang des Mains mit deinem Freund."
"Scharfe Thesen", murmelte ich.
"Es ist doch so. Wo auch immer ich hinkomme, die Mädels liegen mir zu Füßen, weil sie mich als Gefahrenquelle und Abenteuer ansehen."
"Gefahrenquelle?"
"Das ist jetzt und hier nicht relevant", wich er meiner Frage aus. "Und ich könnte dich genauso fragen was du hier auf der Studentenparty zu suchen hast und nicht mit deinen Schicki-Micki-Freunden in irgendeinem edlen Club, so wie du aufgedonnert bist."
Ich betrachtete mein Outfit. Ja, vielleicht hatte ich etwas übertrieben mit dem langen schwarzen Rock, der seitlich einen langen Schlitz hatte und somit Blick auf meine Beine erlaubte. Und vielleicht war das weiße Top, das nicht wirklich viel mehr Stoff bot als ein BH auch etwas zu wenig, aber blöd anmachen ließ ich mich sicherlich nicht.
"Wenigstens entspricht mein Outfit dem Dresscode", schoss ich zurück und er lachte.
"Was interessiert mich der Dresscode? Ich bin nie gekommen, um zu bleiben."
"Offensichtlich bist du aber geblieben."
"Und du bist offensichtlich ganz schön nervig und neugierig."
"Und du ehrlich."
"Das hier führt doch zu nichts", seufzte er. "Also entweder gehe ich jetzt, oder du."
"Nein!" In meinem Kopf klang dieses 'nein' bestimmt, aber seinem Blick zu urteilen hatte es wohl eher flehend geklungen.
"Also warum bist du her gekommen? Nur um dir dein Gras bei Nick zu holen? Das hättest du auch wann anders holen können. Und sei ehrlich, ich hab auch gesagt warum ich hier bei dir sitze."
Er lachte zunächst, dann holte er Luft und murmelte: "Ich wollte wissen, wer dieses Mädchen ist." Dabei zeigte er auf mich und für einen Moment stand mein Herz still.
"Aber das war ein Fehler, spätestens als ich gesehen habe wie du hier aufgetaucht bist und dass dich alle 'Queen' nennen, ist mir das bewusst geworden. Wie bescheuert ist eure Gesellschaft hier eigentlich dass es eine Gruppe der Reichen und Beliebten gibt, die das Gewaltmonopol über die anderen hat wie ein Diktator über einen Staat?!"
"Findest du nicht, dass du ein extrem schlechtes Bild über mich hast? Du kennst mich nichtmal!"
"Okay, dann überzeug mich vom Gegenteil, 'meine Königin'."
"Du kannst alle hier fragen, ich bin nicht so wie die anderen aus unserer Squad."
"Aber dennoch gehörst du dazu. Und noch schlimmer sogar: du stehst an der Spitze und bist die Anführerin." Seine blauen Augen funkelten mich an.
"Die anderen würden freiwillig nicht einen Fuß in dieses Haus setzten. Und sie würden niemals nach einer Person suchen, die sie nicht mal kennen, einfach weil sie sich dafür viel zu fein sind", schnaubte ich.
"Was bringt es dir mit denen befreundet zu sein? Du hast hier wie es scheint doch auch Freunde?" Seine Stimme war plötzlich weicher und er sah nicht mehr so aufgebracht aus.
"Fiona zum Beispiel kenne ich schon mein ganzes Leben lang, sie ist meine beste Freundin seit ich denken kann. Wieso sollte ich das jetzt plötzlich hinwerfen? Und hier habe ich streng genommen nur Samantha. Alle anderen denken genauso wie du von mir. Dass ich Menschen nur danach beurteile wie schön, reich oder beliebt sie sind."
"Wirklich?" Er klang überrascht, dennoch schwang in seiner Stimme ein Hauch von Spott.
"Mich interessiert an einem Menschen was hinter der Fassade steckt, nicht die Fassade selbst. Schöne Menschen müssen einen schönen Charakter haben um wirklich schön zu sein."
"Du redest wirres Zeug", murmelte er.
"Oder du bist einfach zu betrunken, um mir folgen zu können."
"Vielleicht hast du Recht", lachte er. "Aber jetzt solltest du mir deinen Namen verraten. Ich sehe es nicht ein, dich als Queen anzusprechen."
"Claire, aber eigentlich nennen mich alle CC."
"Ceeeceee", wiederholte er mehrmals. "Magst du es, dass sie dich so nennen?"
"Mir ist das ehrlich gesagt eigentlich relativ egal, sogar meine Eltern nennen mich oftmals CC."
"Ich bin nicht wie die anderen", erklärte er. "Und Spitznamen sind sowieso sinnlos und machen einen Namen nur hässlicher. Für mich bist du Claire."
"Okay und möchtest du mir deinen Namen auch verraten, oder bleibt er ein Mysterium für mich, genauso wie du auch?"
Er sah mich eine Weile an als müsste er überlegen, ob er mir wirklich seinen Namen verraten sollte.
"Ich bin Caleb."
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SUBWAY BOY
Ficção AdolescenteSie hat ihn zuvor noch nie gesehen. Er muss neu an der Uni, gar neu in der Stadt sein. Woher kommt er und was macht er hier? Und wieso kann sie ihn und seine eisblauen Augen einfach nicht mehr vergessen? Wieso fesselt dieser Junge Claire so sehr? We...