Leseprobe - die Salzwüste

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„Hilfe!", kreischte sie, so laut sie konnte. Dabei wusste sie, selbst wenn ihre Schreie laut genug waren, um am oberen Ende des Loches vernommen zu werden, dass dort niemand war, der sie hören konnte. Kurz darauf verschwand auch der Rest von Amanda in dem grauen Brei. Sie schloss mit ihrem Leben ab. Allerdings gab es keine herzzerreißenden Erinnerungen, die sich vor ihren Augen abspielten. Das Gefühl eines endlosen Sturzes überkam sie, bevor sie die Augen aufschlug und feststellte, dass sie wieder festen Boden unter den Füßen spürte. Immer noch leicht benommen und auf zittrigen Beinen wagte sie ein paar unbeholfene Schritte. Sie nahm die kleine Lampe von ihrer Jacke ab und leuchtete durch die Höhle. An diesem Ort war es merkwürdigerweise warm, aber immer noch sehr stickig. Ängstlich schwankte Amanda hinter dem Schein des Lichts her. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was sie hier erwartete. Die Dunkelheit nahm ihr jegliches Zeitgefühl und nach einer gefühlten Ewigkeit stieß sie an eine schwarze, steinerne Wand. Es gab keinen Ausweg, tanzten ihr die Geister der Verzweiflung durch den Kopf. Der Schein der kleinen LED offenbarte ihr einen bizarren Anblick. Die Steine vor ihr wirkten verkrümmt, als wäre ein gewaltiger Wirbelsturm durch die Höhle gezogen und hätte selbst die Felsen in seine Bewegung mit einbezogen. Sie schienen einem strudelähnlichen Muster zu folgen. Amanda tastete sich etliche Meter weiter, bis sie an einen großen, rechteckigen Quader gelangte. Sie ließ die Hände darüber gleiten. Unter ihren Fingern breitete sich eine makellose, glatte Fläche aus. Sie nahm die Lampe zu Hilfe und untersuchte dieses präzise gearbeitete Stück genauer. Ein kurzer roter Blitz zuckte vor ihren Augen, was sie zunächst für Einbildung hielt, bis sie unter ihrer Hand eine Erhöhung spürte.


Hastig führte sie den Lichtkegel über die Stelle und konnte kaum glauben, was sie dort sah. Mitten in der glatten Oberfläche war ein kugelförmiger roter Stein eingelassen. Amanda vermutete, dass es sich hierbei um einen Rubin handelte. All ihre Ängste und der Schock über die bizarren Dinge, die sie gesehen hatte, verloren sich beim Anblick dieses edlen Steines. Vor ihr lag ein unglaublicher Fund. Die Reflexion tauchte ihr Gesicht in rotes Licht und entblößte gierige, weit geöffnete Augen, die wie hypnotisiert auf den Edelstein hinabstarrten. Amanda versuchte das gute Stück aus der Halterung zu ziehen, doch er bewegte sich keinen Millimeter. Selbst als sie ihren Fuß gegen den Quader stützte, um zusätzliche Kraft aufzuwenden, löste er sich nicht.


„Irgendwie muss es doch gehen", murmelte Amanda. Ihr Ehrgeiz war zu neuem Leben erwacht. Everett wird ihn nicht bekommen, er wird ihn nicht in seine knöchernen Elster-Krallen schließen, das wird mein Fund, schrie ihr Verstand. Die Wut verlieh ihr zusätzliche Kräfte. Erst als sie den Stein zu drehen begann, bewegte er sich ein Stück. Amandas Gesicht verwandelte sich in eine erregte Fratze der Begierde. Sie legte die Lampe ab und versuchte nun, den Stein mit beiden Händen aus der Oberfläche zu lösen. Vor Anstrengung wölbte sich der Fingernagel ihres linken Zeigefingers nach außen, was zwar schmerzte, sie jedoch nicht von ihrem Vorhaben abhielt. Nicht so kurz vor dem Ziel. Mit einem leisen Plopp löste sich der Stein und Amanda stürzte rücklings zu Boden. Staub wirbelte auf. Die Wucht des Sturzes hämmerte durch ihre Brust und sie musste tief Luft holen und atmete eine trockene Staubwolke ein. Sie begann laut zu husten. Nun schallte eine Reihe von Klicks durch den Quader, der sich gemächlich zu bewegen begann. Die obere Platte schob sich langsam zur Seite.


„O mein Gott", entwich es Amanda voller Erstaunen. Sie hatte nicht nur einen äußerst wertvollen Stein gefunden, sondern auch einen altertümlichen Sarg. Diese Aktion, so hinterlistig sie auch sein mochte, versprach mit einem anständigen Erfolg gekrönt zu werden. Im Geiste sah sie sich bereits auf dem Titelbild sämtlicher Zeitungen, zusammen mit einem langen Artikel über ihre Entdeckung. Sie würde Everett nicht mit einem Wort erwähnen. Ihr Grinsen wurde breiter und finsterer. Sie stemmte ihre Handflächen gegen den leicht geöffneten Deckel des Sarges und bewegte ihn ein kleines Stück vorwärts. Die Platte war unsagbar schwer, doch war Amanda zu weit gekommen, um sich jetzt mit einer Vermutung zufriedenzugeben. Sie stemmte ihr gesamtes Körpergewicht dagegen, dabei nahm ihr Kopf vor Anstrengung beinahe dieselbe purpurne Farbe an, wie sie die Kugel besaß. Aus der Öffnung drang eine beißende Hitze hervor, die Amanda den Schweiß von der Stirn rinnen ließ. Endlich, sie hatte es geschafft, der Deckel begann sich wieder zu bewegen. Sie vernahm ein weiteres Klacken. Nun bewegte sich die Platte von ganz allein weiter. Sofort griff sie nach der kleinen Lampe und leuchtete hinein. Ihr Puls beschleunigte sich von Sekunde zu Sekunde. Sie blickte in einen leeren schwarzen Abgrund, in dem eine wahre Gluthitze herrschte. Enttäuscht schlug sie mit der Faust gegen die Kante des Quaders. Verdammt! Sie hatte eine Mumie oder zumindest wertvolle Grabbeigaben erwartet, die sie als ihre Funde hätte anpreisen können.


Plötzlich zuckte sie erschrocken zusammen. Etwas hatte sich in der Finsternis bewegt, zumindest glaubte sie im Augenwinkel etwas bemerkt zu haben. Ein leises permanentes Zischen drang an ihre Ohren. Es klang wie ‚Mandamandamandamanda'.


„Hallo?", rief sie in den Schlund hinab. Gleichzeitig kam sie sich dumm dabei vor - wer sollte ihr dort unten schon antworten? Mit einem Mal erschienen zwei weiße Punkte im Abgrund. Sie leuchteten so grell wie das Fernlicht eines Wagens. ‚Mandamandamandamanda', zischte es erneut, doch diesmal begleitete ein Grummeln diese merkwürdigen Laute. Staub rieselte von der Decke direkt in ihr Gesicht und sie musste niesen. Aus halb geschlossenen Augen konnte sie sehen, wie die beiden weißen Punkte größer wurden. Aber sie bemerkte noch etwas anderes. Der Boden unter ihren Füßen begann unter dem tiefen Grummeln zu vibrieren. Dies konnte nur eines bedeuten. Das war ein Erdbeben. Amanda packte den roten Stein und flüchtete auf die gegenüberliegende Seite der Höhle. Die Erschütterungen wurden stärker, immer wieder verlor sie den Halt. Sie musste schleunigst aus der Höhle verschwinden. Wäre da nicht die Tatsache, dass dieser Raum gar keinen Ein- oder Ausgang besaß. Amanda suchte panisch nach einem Spalt in den Wänden oder kleinen Lüftungsschächten, durch die sie klettern konnte. Sie wollte hier nicht begraben werden. Ein ohrenbetäubender Knall, dessen Schallwellen Amanda bis in ihre tiefsten Eingeweide spürte, erfüllte den Raum. Der Deckel des Quaders riss aus seiner Halterung und prallte unmittelbar neben ihr gegen die Wand. Aus der Öffnung drang ein weißes Licht. So hell, dass es Amanda in den Augen brannte und sie schützend ihre Hände vors Gesicht hielt. ‚Mandamandamandamanda', hallte es in einer außerordentlichen Lautstärke durch die Höhle, und plötzlich klang es, als riefe jemand ihren Namen. Amanda ließ den roten Stein fallen. Ihr wichtigstes Ziel war es, einen Ausweg zu finden, und das so schnell wie nur irgend möglich. Sie kratzte an den Wänden und trat gegen die verdreht wirkenden Felsen. Es nützte nichts - sie war hier drin gefangen. Das weiße Licht breitete sich in Windeseile aus, bis nichts mehr von der Umgebung zu sehen war. Amanda schrie vor Angst laut auf. Heiße Tränen der Verzweiflung strömten über ihre Wangen. Sie hockte sich auf den Boden und verbarg ihr Gesicht zwischen den Knien. Sie wollte nur noch, dass dieser Moment zu Ende ging. Das Licht hatte alles verschlungen und der Boden unter ihr bebte so heftig, als würde er jeden Moment in zwei Hälften zerbrechen.

„Amanda!", drang eine laute Stimme durch den Raum.

Das Blut der KrokodileWo Geschichten leben. Entdecke jetzt