N I C O L A S

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FLORENCE

Florence wollte gerade schließen, als jemand, den sie in den letzten Tagen viel zu oft gesehen hatte, am Geschäft vorbeiging.
"Tristan", sagte Florence überrascht, als sie ihn durch die Tür kommen sah.
"Florence", sagte er mindestens genauso überrascht zurück. "Verrückt, dich hier zu sehen."
Dann bemerkte er die Schürze, die Florence umgeschlungen hatte, wann immer sie arbeitete. "Du arbeitest hier?"
"Ist der Laden meiner Mutter", erklärte Florence. "Manchmal bessere ich mein Taschengeld auf oder springe ein, wenn Not am Mann ist.
"Wer ist denn dieser junge Mann?" Nina kam aus dem hinteren Bereich des Ladens, wo sie einem Lieferanten eine Lieferung abgenommen hatte, die sie nun auf den Armen balancierte.
"Ich würde dir ja die Hand reichen", erklärte Nina in Richtung Tristan, "aber ich kann dich durch die Blüten nicht einmal richtig sehen, geschweige denn eine Hand vom schweren Kasten nehmen. Aber ich bin Nina, Florence' Mutter."
"Mama", sagte Florence mit Nachdruck. Und erklärte dann: "Tristan ist nur ein Freund."
"Ah, Tristan! Hab schon viel von dir gehört! Es ist nett, dich kennenzulernen, Nur-Freund-Tristan", zwinkerte Nina und huschte davon, um die Blumen vor dem Laden zu drapieren.
Florence sah ihr nach und seufzte. "Das war peinlich. Und sie übertreibt. Natürlich spreche ich nicht so oft von dir. Ich spreche viel, das stimmt. Aber nicht über dich. Nur dass du es weißt." Sie richtete ihren Blick, der ihre Mutter beim Verlassen des Ladens gefolgt war, auf Tristan.
"Kann ich dir helfen?", fragte sie ihn jetzt. "Du bist ja wahrscheinlich nicht wegen mir gekommen." Florence erinnere sich, dass er ja noch nicht einmal gewusst hatte, dass sie hier arbeitete.
"Stimmt", sagte Tristan. "Ich suche Blumen."
"Das ist ziemlich unpräzise", erwiderte Florence keck. "Wofür denn? Hast du einen Geburtstag vergessen? Irgendeinen Termin für deine Mutter verschwitzt? Oh – arbeitet deine Mutter überhaupt in einem Beruf, in dem man Termine für die verschwitzen kann? Ich meine – ich habe mal einen Lieferanten vergessen, der eine ziemlich große Lieferung bringen sollte. Er war nicht nur verdammt sauer wegen der vielen Blumen, sondern auch, weil er scheinbar meine Mutter heiß fand und sie gerne gesehen hätte.
Aber dann hätte er sie auch nicht gesehen – wenn ich ihn hereingelassen hätte, mein ich", erklärte Florence. Sie sah Tristan an, der aussah, als wüsste er nicht, ob er lachen oder weinen sollte.
"Tut mir leid", entschuldigte sie ihre Plauderlaune. "Was brauchst du?"
"Was für Blumen nimmt man denn so für ein Grab?" Tristan hob die Augenbrauen, als wäre die Frage keine große Sache.
"Oh", machte Florence. Das tat sie ziemlich oft, wenn man darauf achtete. Mindestens genauso oft, wie Tristan seine Brauen hob. "Das tut mir leid."
Sie überlegte. "Soll ich dir einen Strauß machen? Oder lieber nur ein paar Blumen?"
"Ein paar Blumen reichen", erwiderte Tristan.
Florence eilte umher und griff nach einigen Blumen.
"Übrigens arbeitet meine Mutter in einem Beruf, in dem man Termine verschwitzen kann", erinnerte Tristan sich. "Sie ist Hochzeitsplanerin. Aber aktuell geht sie wegen dem Tod ihres Vaters auf dem Zahnfleisch. Eine Hochzeit zu organisieren ist da das Letzte, an was sie denken will und kann."
"Oh", machte Florence wieder und spürte ihr Herz in der Brust bis an's Limit klopfen. Wie hatte ihre Mutter gesagt? Seine Mutter ist nämlich nicht ganz klar im Kopf. Florence hoffte, dass Tristan nicht erwartete, dass sie daraufhin noch mehr erwiderte, schlug ihm hastig seine Blumen in Papier und reichte sie ihm über die Theke.
"Was macht das?", fragte er und zog seinen Geldbeutel aus der Hosentasche.
"Sei nicht albern", sagte Florence und weigerte sich, das Geld anzunehmen.
Tristan steckte dennoch einen Fünfer in ihre Kaffeekasse. "Flo", stand darauf.
"Flo?", hakte er nach. "Darf ich dich so nennen?"
"Du hast vielleicht grad fünf Euro reingesteckt – was definitiv nicht nötig gewesen wäre – aber das gibt nicht noch lange nicht das Recht, mich Flo zu nennen, kapiert?"
Tristan nickte. Er klammerte sich an den Blumen fest, die Florence ihm gegeben hatte.
"Hältst du mich jetzt für ein Weichei?", fragte er.
"Wegen der Blumen? Oder wegen dem Beruf deiner Mutter?"
"Wegen beidem. Aber hauptsächlich wegen der Blumen.
"Wegen der Blumen?", wiederholte Florence schnaubend. "Blumen zu kaufen ist menschlich, du Idiot. Für ein Weichei habe ich dich auch schon vorher gehalten. Jetzt mach, das du rauskommst."
"Wenn ihr all eure Kunden so behandelt, kommen die bestimmt nicht wieder", neckte Tristan Florence.
"Bisher sind sie alle nochmal wiedergekommen. Und du sowieso. Das habe ich im Gefühl", erwiderte das Mädchen und reckte ihre sommersprossige Nase.
"Sei dir da mal nicht so sicher", rief Tristan durch den Laden, als er ihn verließ. Er sprach noch ganz kurz mit Nina, wünschte ihr einen schönen Tag und verschwand dann in der Nebenstraße, an dessen Ende der Friedhof lag.
Einige Minuten, nachdem er aus Florence' Blickfeld verschwunden war und Flo gerade in einen Apfel beißen wollte, krachte ein schwarzes Auto in das von Nina, welches sie genau vor dem Laden abgestellt hatte. Die Geräusche, die die Autos dabei von sich gaben, klangen, als würde jemand, der für einen Horrorfilm gecastet wird, verzweifelt alles, was seine Lunge hergab, auf einmal von sich geben.
Florence fiel der Apfel aus der Hand und sie stürmte zum Eingang des Ladens.
"Mama!", rief sie. "Mama! Geht's dir gut?"
Ihre Mutter war okay - aber ob es ihr gut ging, wagte Florence zu bezweifeln. Nina hielt einen tropfenden Strauß in den Händen, während sie fassungslos auf den Wagen starrte, der – bei näherem Hinsehen – an Ninas Auto einmal komplett vorbeigeschrammt war. Der schwarze Wagen hatte nun sein Warnblinklicht angeschaltet und hielt mitten auf der Straße. In dem Moment, in dem die Alarmanlage an dem Auto ihrer Mutter anging – übrigens so spät, als hätte es ihr selbst die Sprache verschlagen – stieg ein Mann aus dem schwarzen Auto.
Er sah aus, als hätte er diesen Unfall geplant gehabt. Zumindest wirkte er so gelassen, als hätte er diese Situation entweder geprobt oder schon mehrmals erlebt. Florence sah sich unauffällig nach einer versteckten Kamera um. Als sie keine entdeckte (was schade war, da sie heute eine süße blau-weiße Bluse und eine Frisur á la Kate Middleton trug), sah sie wieder zum Mann hinüber, der seine Sonnenbrille absetzte und in die Tasche seines Sakkos steckte. Während er zu Nina, die immer noch mit offenem Mund neben Florence stand, hinüberkam, besah er sich schon einmal den Schaden und flüsterte sich selbst zu: "Das wird teuer." Die Alarmanlage ging aus, sobald der Mann vor Mutter und Tochter stand. Als hätte sie die beiden Frauen warnen wollten. "Achtung", schien die Alarmanlage sagen zu wollen, "der Typ hat gerade euer Auto gerammt – aber lasst nicht zu, dass er damit davonkommt (Auch dann nicht, wenn er aussieht, als wäre er vielleicht Gott)."
Nina baute sich zu ihrer vollen Größe auf und stand dem Mann einige Sekunden einfach nur gegenüber. Keiner sagte etwas.
"Tut mir leid", sagte der Typ dann. "Ich war wohl in Gedanken."
Und obwohl er wahrscheinlich die Wahrheit sagte (wer dachte sich eine so blöde Lüge aus?), dachte Florence, wäre es besser gewesen, er hätte gelogen. „Ich habe die Kontrolle verloren", klang zum Beispiel spannend. Oder: "Meine Freundin hat mich betrogen und ich war in Gedanken." Das wäre zumindest besser als das, was er gesagt hatte.
"Ich bin Nicolas", sagte der Typ, der wohl ungefähr in Ninas Alter war und reichte sowohl ihr als auch Florence die Hand. "Und ich werde natürlich für den Schaden aufkommen. Das ist doch ihr Wagen, oder?" Er wandte sich an Nina, die aussah, als wäre sie reif für mindestens einen Abend auf der Couch mit einer ganzen Ben-and-Jerrys-Verpackung für jeden (vielleicht sogar reif für einen Abend mit zwei Eisverpackungen für jeden). Nina nickte steif.
"Ich fahr meinen Wagen an den Rand", erklärte sich der Typ. "Dann komme ich zurück und wir besprechen die Details." Er sah auf die Straße und als er registrierte, dass keiner kam, joggte er zu seinem Auto zurück, um es in eine der Parklücken zu fahren.
"Das ist genau das, was ich gemeint habe", flüsterte Florence ihrer Mutter zu, "als ich sagte, du könntest mit Sicherheit einen Mann im Blumenladen kennenlernen."
Ihre Mutter wendete sich ihr fassungslos zu. "Du hast gemeint, dass es klasse wäre, wenn ein Typ mein Auto zerstört? Und er die Unverschämtheit besitzt, dabei auch noch auszusehen, als würde er nebenberuflich schauspielern?"
"Findest du?", fragte Florence und lächelte frech. "Ich finde, er sieht aus, als würde er hauptberuflich schauspielern."
Florence sah an ihrer Mutter hinab und begutachtete deren Arbeitsjeans, die Nina auf Knöchelhöhe abgeschnitten hatte, das ausgewaschene rote T-Shirt und die Haare, die den Eindruck machten, als sei Nina damit aufgestanden und als hätte sie sich danach nicht mehr die Mühe gemacht, sie zu kämmen.
"Du siehst nicht gerade aus, wie eine Frau, deren Auto Nicolas rammen würde", sagte Florence und stellte sich vor, wie Nicolas den Porsche eines jungen Models rammte - oder den Ferrari einer Geschäftsfrau, die in hohen Schuhen energisch herangetrippelt kam, um zu sehen, was passiert war.
" - oder wie eine Frau, die Nicolas daten würde", ergänzte Florence.
"Sei still, Kind", sagte ihre Mutter und beobachtete peinlich genau Nicolas' Einparkvorgang.
"Im Ernst", erwiderte Florence seufzend und fuchtelte mit ihrem Arm vor dem Gesicht ihrer Mutter herum. "So wie du aussiehst, verliebt er sich ja eher noch in mich."
Ihre Mutter prustete los und zeigte ihr einen Vogel. "Der ist doch mindestens vierzig. Vielleicht sieht er aus, als wäre er jünger, aber in seiner Branche lassen sich doch eh alle mit Botox aufspritzen."
"Wir wissen nicht, ob er wirklich Schauspieler ist", gab Florence zu bedenken.
"Natürlich ist er Schauspieler", sagte Nina überzeugt. "Aber dich wird er trotzdem nicht daten. Es sei denn, du möchtest mit einem Vierzigjährigen ausgehen. Möchtest du?"
Florence verzog das Gesicht.
Nina lächelte zufrieden. "Dachte ich's mir doch." Sie strich sich mit den Fingern durch die Haare.
"Vielleicht mag er Frauen, die riechen, als hantieren sie den ganzen Tag mit Blumen und Erde."
"Als wäre das ein Vorteil gegenüber mir", erwiderte Florence grinsend und ihre Mutter war sicher, dass sie es nur sagte, um sie aufzuziehen.
Statt auf den Kommentar ihrer Tochter einzugehen, setzte Nina ein breites Lächeln auf. Und sobald sie es tat, fand Florence, dass kein Mann ihre Mutter je verdient hätte. Sie war selbst ohne Make-Up und ohne teure Chanel-Kleider wunderschön. Und selbst in ihrem roten T-Shirt, ihren dazu kombinierten, farblich passenden Chucks und der Arbeitsjeans war sie unwiderstehlich, fand Flo.

B L U M E N M Ä D C H E NWo Geschichten leben. Entdecke jetzt