E W I G

23 5 5
                                    


FLORENCE

Seit Florence wusste, dass Tristan ihre Geschichte lesen würde, war sie noch aufgeregter wegen des Wettbewerbs als zuvor. Sie überlegte fieberhaft, wann und wo sie Tristan die Geschichte am besten geben könnte – sie hatte schon überlegt, sie einfach in seinen Briefkasten einzuwerfen. Da sie zum einen seine Adresse nicht kannte und ihr das dann doch etwas unpersönlich vorkam, entschied sie sich für eine direkte Übergabe. Immerhin forderte Tristan auch etwas zurück. Sie wusste zwar noch nicht genau was, aber war ziemlich sicher, dass er es ihr bald sagen würde.
Florence hockte mit ihrem Schulrucksack auf dem Rücken an der Theke des Blumenladens ihrer Mutter. „Mama", schnurrte sie. „Du musst es einfach probieren."
Ihre Mutter Nina, eine große, schlanke Frau, füllte gerade die Blumenkübel mit Wasser auf. Sie seufzte jetzt leise und strich sich ihr haselnussbraunes Haar hinter ihr Ohr. Als sie sich umdrehte, zuckten die Sommersprossen auf den hochsitzenden Wangenknochen. Sie kam zu Florence hinüber und ließ sich eine Gabel voll Rührei in den Mund schieben. Sie kaute und Florence sah sie abwartend an.
„Das schmeckt wie immer", sagte sie. Florence sah ein wenig enttäuscht aus, wandte sich dann aber ab und erwiderte: „Du hast gar keine Ahnung von Rührei."
Ihre Mutter zuckte die Schultern. „Vermutlich hast du Recht, Liebling. Immerhin gab es nie Rührei – bis du angefangen hast, es zu machen. Es schmeckt gut. Aber eben auch wie immer."
„Aber ich habe ein anderes Gewürz ausprobiert", rätselte Florence und probierte eine Gabelspitze. „Aber du hast Recht", gab sie schließlich zu. „Schmeckt wie immer." Florence griff sich einen Apfel aus der Obstschale hinter der Theke und biss krachend hinein. Seit Neustem versuchte Florence Mutter, mehr auf ihre Linie zu achten – was absoluter Mist war, da sie eine traumhafte Figur hatte. Schlanke Beine und eine betonte Taille, wie sie sich viele Frauen wünschten. Sie war ziemlich jung für die Mutter einer 17-Jährigen, da die Florence mit 20 bekommen hatte.
Ein Blick auf die Uhr ließ Florence vom Hocker rutschen. „Ich bin weg", rief sie in den hinteren Teil des Ladens, wo Nina verschwunden war. Diese erschien grinsend mit einer Kiste in den Armen hinter einem Vorhang, stellte die Kiste zu ihren Füßen ab und umarmte Florence fest. „Mach keinen Mist in der Schule", flüsterte Nina.
„Mach ich nie, Mama", erwiderte Florence und wand sich aus ihrer Umarmung. „Wenn ich in den nächsten zwei Sekunden nicht diesen Laden verlassen, komme ich mit hoher Wahrscheinlichkeit zu spät. Abgesehen davon, dass ich sowieso lieber hierbleiben würde." Sie schenkte ihrer Mutter einen hoffnungsvollen Blick.
Diese schüttelte entschlossen den Kopf. „Denk nicht mal dran, Flo!"
„Na gut", seufzte Florence. „Theresa!", rief sie so laut sie konnte und hörte, wie es im Stockwerk über ihnen polterte. Kurz darauf Getrampel auf den Treppen und dann stand Theresa endlich vor ihr. „Das hat ja wieder ewig gedauert", beschwerte sich Florence über ihre jüngere Schwester, die sich noch von Nina auf die Stirn küssen ließ, ehe sie durch die Glastür hastete, die Florence ungeduldig aufhielt. „Das war nicht ewig", erwiderte Theresa zeitgleich mit dem Glöckchen-Gebimmel, als die Tür ins Schloss fiel. „Ewig ist viel, viel länger."
Florence schloss ihr Fahrrad auf, das sie gestern hastig gegen die Hauswand gelehnt hatte, nachdem sie vom Hockeytraining gekommen war. Theresa tat es ihr nach, auch wenn sie immer noch darüber rätselte, wie lange ewig wohl dauerte. „Wie lange ist ewig, Flo?", wollte sie wissen. „Ein Tag? Ein paar Tage? Oder ein paar Wochen?" Nachdenklich setzte sie sich auf ihr Fahrrad. Florence kam hinüber, um den Kinnriemen des Fahrradhelms zu schließen, den Theresa vor lauter Nachdenken ganz vergessen hatte. „Oh", machte Theresa, überprüfte den Kinnriemen dann nochmal und beobachtete Florence beim Aufsteigen auf ihr Rad. Als sie nebeneinander die Straße hinunter radelten, fragte Theresa: „Wie lange ist ewig denn nun, Florence?"
„Das ist eine verdammt gute Frage, T", erwiderte diese. „Lass uns drüber reden, sobald ich heute Abend heimkomme. Hab einen schönen Tag!" Sie winkte ihrer Schwester, die noch zur Grundschule ging und daher einen kurzen Weg hatte. Nun musste sie sich sputen, wenn sie noch pünktlich zur Spanischstunde kommen wollte.

B L U M E N M Ä D C H E NWo Geschichten leben. Entdecke jetzt