Horror

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PoV Patrick

"Mensch, wieso rennt der denn jetzt dem Geräusch hinterher, ist der behindert?", regt sich mein Freund neben mir auf, greift nach den Chips und stopft sich gestresst eine handvoll davon in den Mund. "Weil er neugierig ist, deshalb", entgegne ich, ziehe die Schüssel wieder ein Stück zu mir und wende meinen Kopf wieder dem Fernseher zu, auf dem gerade der neue Horrorstreifen läuft. Irgendwie hat Manu sich überreden lassen, mitzuschauen, denn obwohl er kein Schisser ist, mag er Horrorfilme eigentlich nicht, da sie ihm viel zu unrealistisch sind. "Jetzt mal ehrlich Paddy, welcher normale Mensch geht nachts um halb eins einem Geräusch im Garten hinterher? Ohne Taschenlampe?", beharrt er und deutet auf den Fernseher, auf dem der Protagonist sich gerade dazu zwingt, die Tür zu seinem Gartenhäuschen zu öffnen. Ich zucke nur die Schultern, denn im Grunde hat er Recht. Zumindestens ich würde da nicht rausgehen.

"Um Himmels Willen, lass doch einfach die Dreckstür zu und geh wieder schlafen!", stöhnt Manu jetzt und greift sich dramatisch an den Kopf. "Kannst du mal deine Klappe halten, Schatz?", frage ich schließlich belustigt, als er ansetzt, seinen Senf zu dem Monster abzugeben, das gerade natürlich völlig unerwartet aus dem Haus springt. Grummelnd zieht er die Schüssel mit den Chips wieder näher zu sich und schenkt mir einen beleidigten Blick.

Mal sehen, wie lange er es aushält, bis er wieder etwas findet, das er unbedingt loswerden will. Und tatsächlich, ich bin gerade wieder richtig in die Story reingekommen, da meldet sich mein Freund neben mir wieder zu Wort.

"Klar, ne alte Schaufel bringt's dir jetzt, Kumpel. Hast du das Monster schon gesehen, du bist geliefert!", er lacht bitter auf und widerwillen muss ich mitlachen. Schon wieder hat er Recht, denn mit der Sandkasten-Schaufel seiner Tochter kann der Kerl wirklich nichts gegen das undefinierbare zwei-Meter-Tier ausrichten. Eigentlich. Aber natürlich kann er es mit zwei, drei Amateurhieben in die Flucht schlagen und Manu neben mir schüttelt einfach nur noch den Kopf.

"Als ob dieser Lauch es tatsächlich geschafft hat. Aber es ist doch das mysteriöse Monster der Stadt und keiner konnte ihm bisher entwischen!", imitiert er jetzt die Stimme der blonden Tusse aus dem Film, die auf den Protagonisten steht.

"Klar, irgendwer muss es ja schaffen. Außerdem dauert der Film erst zwanzig Minuten, das Viech ist noch nicht tot. Das kommt schon wieder, keine Sorge", beruhige ich ihn und greife mir erneut Chips. Ich brauche jetzt Nervennahrung, aber nicht, weil ich den Film so spannend finde - im Gegenteil, im Stillen gebe ich meinem Freund recht, der Film ist scheiße - sondern weil ich den meckernden Manu sonst nicht vertragen würde.

Der dreht den Kopf schweigend wieder zum Fernseher und fängt irgendwann an, mir nebenher sanft durchs Haar zu fahren. "Warum tun wir uns diesen Film eigentlich an, Paddy? In Wahrheit weißt du nämlich, dass ich Recht habe", murmelt er grinsend und ich seufze.

"Was sollen wir denn sonst tun, außerdem hätte ich den Film vielleicht sogar genießen können, wenn du nicht andauernd dazwischen gequatscht hättest!", meine ich mit anklagendem Unterton in der Stimme und mein Freund schielt zu mir herüber.

"Sorry, Paddy, ich versuch's ja, aber es ist halt eine Gewohnheit", gibt er zu und wirft mir einen entschuldigenden Blick zu. Grinsend angele ich nach der Fernbedienung. "Schon gut", ich zappe weiter, "worauf hast du Lust?"

Ich komme bei Frauentausch, Galileo und Criminal Minds vorbei, alles Sachen, die Manu nicht abkann. Überhaupt sieht er nicht gerne fern, er ist eher der Typ, der drei Stunden allein vor seinem Rechner sitzt, nur weil ihm irgendjemand in diesen ganzen Minispielen überlegen ist.

Es war eine Glanzleistung gewesen, ihn vom PC vor den Fernseher zu bringen. Mein Freund ist halt ein hauptberuflicher Gamer. Und als inoffizieller Nebenjob Filmkritiker.

Ich habe nie den Sinn vom Zocken verstanden, aber ich habe mich damit abgefunden, dass ich meinen Freund wegen seinen Aufnahmeterminen mit Freunden selten sah. Und deswegen würde ich jetzt alles daran setzen, diesen Abend ohne Computer mit ihm zu genießen. Und wohl auch ohne Fernseher, wie es momentan aussah.

"Und wenn wir uns deinen Lieblingsfilm ansehen?", schlage ich vor, mein letzter Trumpf. Manu liebt Titanic über alles. Kurz leuchten seine Augen auf, dann guckt er kritisch zu mir rüber. "Aber du hasst doch Liebesfilme, die sind immer der reinste Horror für dich", stellt er fest und ich wuschele ihm lachend durch die Haare. "Mit dir ist jeder Film der reinste Horror, Manu. Und trotzdem liebe ich es, mit dir Filme zu gucken. Egal welche. Und wenn es sein muss, gebe ich mir halt noch ein achtes Mal Titanic, auch, wenn du wieder Rotz und Wasser heulen wirst". Er guckt mich einmal beleidigt an, bevor er mich zu sich zieht und liebevoll unsere Lippen vereint.

"Ich liebe dich, Paddy."

"Und ich liebe dich, du kleiner Filmkritiker. Und jetzt suchen wir erstmal die DVD, ich hab nämlich keine Ahnung, wo du die letztes Mal hingeschmissen hast."

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