Romans Sommerpause

1.9K 37 3
                                    


Romans Sommerpause war auch nicht wirklich entspannt. Die EM in Frankreich fand statt und er war für die Nationalmannschaft nominiert wurden. Obwohl Yann Sommer die Nummer Eins im Schweizer Tor war, machte ihn schon die Nominierung allein glücklich, weil es wie ein Zeugnis für seine Qualität war. Und es war immer wieder schön, Zeit mit seinen Kollegen zu verbringen, die er nicht jeden Tag sehen konnte. Das zusätzliche Training würde ihm sicherlich auch nicht schaden und für Urlaub hatte er nach der EM noch Zeit. Zum Glück hatte Fabian (Schär) im Spiel gegen Albanien ein frühes Tor geschossen, sonst wäre das ein sehr trauriges Unentschieden geworden. Der Kapitän der Albaner war in der 36. Minute mit Gelb-Rot vom Platz geschickt worden und es gelang den Schweizern dennoch nicht, den Ball in Tor zu befördern, obwohl sie immer wieder kurz davor standen. Zudem rettete sie Yann das ein oder andere Mal vor dem Ausgleich, wodurch sie das erste Spiel der Gruppenphase gewannen. Das Problem mit dem Toreschießen zog sich weiter durch das Spiel gegen Rumänien, aus dem sie mit einem 1:1 heraus gangen. Wenn man schon früh einen Elfmeter kassiert und dann unzählige Chancen vergab, musste man sich mit einem solchen Ergebnis zufrieden geben.

In den Trainingseinheiten zwischen den Spielen war Roman nicht immer aufmerksam, weil seine Gedanken immer wieder zu der neuen Dortmunder Mannschaftsärztin abschweiften. Sie hatte ihn beeindruckt, was wohl jeglicher Logik widersprach, wenn man sich die Laune und das Verhalten der jungen Frau ins Gedächtnis rief. Wie konnte man schon jemand so unfreundlichen näher kennen lernen wollen? Als Yann ihn darauf ansprach, redete sich Roman mit der Vorfreude auf den Urlaub heraus. Es musste ja noch nicht die halbe Bundesliga von Camille wissen. Yann war eine Tratschtante und wenn es erst einmal die falsche Borussia wusste, dann auch wenig später der Rest der Liga. Es gab nicht viele Frauen in den Betreuerteams der Mannschaften und sobald eine neue dazukam, sprach sich das herum und das Interesse wuchs. Und da Roman beim Saisonabschluss bemerkt hatte, dass Camille es nicht leiden konnte, wenn man über sie sprach, versuchte er die Situation bis zum ersten Auswärtsspiel hinauszuzögern. Jedoch hatte er in seinen Überlegungen die offizielle Pressemitteilung des Vereins vergessen, wodurch die Fußballwelt jetzt schon von ihr erfahren hatte. Diese war aber zu sehr mit der EM beschäftigt, um sich groß für die Neue im Team des BVBs zu interessieren.

Das Spiel gegen Frankreich sollte nicht besser als die ersten Gruppenspiele laufen. Zeitweise hatte Roman das Gefühl gleich auf der Bank einzuschlafen, da keiner Mannschaft eine der zahlreichen Aktionen Richtung Tor glückte und es dieses Mal in einem torlosem Unentschieden endete.
Als das Achtelfinale im Elfmeterschießen gipfelte, war Roman erleichtert nicht an Yanns Stelle zu stehen. Der Torwart des Gewinner-Teams war nach dem Spiel der Held und der der anderen Mannschaft würde hauptsächlich für die Niederlage verantwortlich gemacht werden. Dazu noch die Anspannung und Konzentration, die im ganzen Körper steckten… Darauf konnte Roman getrost verzichten. Das verlorene Elfmeterschießen im DFB-Pokalfinale gegen die Bayern hatte ihm gereicht und das ganze auf internationaler Ebene mitzuerleben war noch unangenehmer. Es wäre zwar schön gewesen, als Außenseiter weiter im Turnier zu kommen, aber so war es halt nach dem Achtelfinale vorbei und Roman konnte endlich in seinen wohlverdienten Urlaub fahren.

Roman nahm sich in der Sommerpause immer Zeit seine Familie zu besuchen und machte deswegen vor dem Flug nach Ibiza noch einen Abstecher in die Schweiz, um seine Eltern und seinen Bruder zu sehen. Nach diesem Ausflug ging es dann weiter nach Ibiza zu seinen Freunden, die schon voraus geflogen waren.
Wenn er wirklich entspannen wollte, machte Roman im Ausland Urlaub, weil dort die Gefahr erkannt zu werden einfach wesentlich geringer war als irgendwo in Deutschland oder in der Schweiz. Meistens genoss Roman den Kontakt mit den Fans und gewissermaßen auch seinen Promistatus, weil er ihm schon einige Vorteile bescherte. Es wurde nur schwierig und anstrengend, wenn man mal schnell in die Stadt einkaufen wollte und dann alle paar Meter angehalten und nach einem Foto oder Autogramm gefragt wurde. Auf Ibiza kannte man Roman Bürki nicht, außer man war selbst deutscher oder schweizer Urlauber und Fußballfan, was ihm eine relativ sorglose Zeit ermöglichte.
Wären da nicht die ständigen Gedanken an die junge, braunhaarige Frau mit den braunen Augen, die je nach Lichteinfall heller oder dunkler wirkten. Ja, er hatte gestarrt, während Lisa und Jenny Camille ausfragten. Diese hatte die Person angeschaut, mit der sie sprach und da dass in diesem Moment nicht Roman war, hatte er genug Gelegenheit Camilles Gesicht zu studieren, ohne dass sie es bemerkte. Julian hatte ihm zwar ein-, zweimal im richtigen Moment ans Bein getreten, aber sonst war Roman (hoffte er zumindest) nicht wirklich auffällig gewesen.
,,Junge, wo steckst du schon wieder mit deinen Gedanken?”, Niklas Frage brachte ihn zurück in die Gegenwart, ,,sonst bist du doch auch nicht so ruhig.” Anscheinend hatte Roman länger über Camille nachgedacht, sodass er nicht mehr am Gespräch seiner Freunde teilnahm, denen sein ungewöhnliches Verhalten mittlerweile aufgefallen war. Roman überlegte, ob er ihnen von der neuen Mannschaftsärztin erzählen sollte. Sein Freundeskreis hatte nicht viel mit seinen Kollegen zu tun und neigte auch nicht zum Tratschen, weswegen er beschloss, seine Gedanken mit ihnen zu teilen: ,,Also, bei mir im Verein gibt es jemand Neuem im Betreuerteam…” ,,So wie du klingst, ist es eine Frau.” ,,Könntet ihr mich ausreden lassen?” Seine Freunde nickten und schauten ihn abwartend an. ,,Okay. Wir haben eine neue Mannschaftsärztin und sie ist Zorcs Tochter, 24 Jahre alt und anscheinend ziemlich begabt.” Roman wusste, dass als nächstes Nachfragen zu Namen und Aussehen kommen würden: ,,Sie heißt Camille, ist für eine Frau ziemlich groß, braune Haare, keine Ahnung wie lang und braune Augen.” Daniel drehte sein Handy zu Roman: ,,Sie hier?” Auf dem Bildschirm war ein Bild einer jungen Frau im Arztkittel zu sehen, deren Gesicht ein freundliches Lächeln zeigte. Ein Ausdruck, den Roman live bisher noch nicht erleben durfte. ,,Hast du sie jetzt gegoogelt oder was?” ,,Ja? Zu dem Bild gehört noch ein Auszug aus einem längerem Text. Interesse?” Es war ein kollektives Nicken zu sehen, das Daniel dazu verleitete, mit dem Vorlesen zu beginnen.

,,Zuletzt verabschieden wir uns als Kollegium des Massachusetts General Hospitals von einer sehr talentierten und ehrgeizigen Kollegin verabschieden. Doktor Camille Zorc hat ein hervorragendes Abitur am Leibniz-Gymnasium/Dortmund International School abgelegt und während ihres Abschlussjahres ein Medizin Studium an der Uni Heidelberg aufgenommen. Durch ein Partnerprogramm mit der Berliner Charité kam sie dann zu uns nach Boston, wo sie ihre Facharzt-Ausbildung mit Bravour abschloss. Doktor Zorc hat sich um jeden Patienten bemüht und ging immer offen auf jeden zu, der Hilfe benötigte, auch wenn sie deren praktische Ausführung erst noch lernen musste. Ihr Fleiß und Arbeitswille hat sie schnell zu einer geschätzten Person im Ärztekollegium unseres Klinikums werden lassen.
Wir bedauern den Verlust dieses jungen Talents, das wir gerne weiterhin in unserer Klinik behalten hätten. Das gesamte Kollegium wünscht ihr Erfolg auf ihrem weiterem Berufs- und Lebensweg. Wir sind sicher, dass Doktor Camille Zorc die deutsche Medizinwelt mit ihrem Wissen und ihren Fleiß im Sturm erobern wird.
David Torchiana, Präsident und CEO des Massachusetts General Hospitals, im Namen des gesamten Kollegiums”

,,Ich hab’  mal nach dem Krankenhaus gesucht. Das ist eine der Top-Kliniken der USA und wenn man weiter durch die Google Ergebnisse von Camille Zorc scrollt, kommen noch mehr Artikel über erfolgreiche Forschungsarbeiten und Auszeichnungen, die sie dafür bekommen hat”, Niklas Augen wurden bei jedem Wort, das er las größer, ,,und es tauchen bei der Forschung immer die gleichen Namen auf. Ah, hier steht, dass ,,dieses Forscherteam auch außerhalb des Labors ein Team ist und viel Zeit miteinander verbringt”, Alter, ihr gesamter Freundeskreis scheint aus Genies zu bestehen!” Freunde - ein Wort, das Roman noch nicht im Zusammenhang mit Camille gehört hatte. Jenny und Lisa hatten nur Fragen zu ihrer Ausbildung gestellt und er hatte sie auch nur nach ihrem Beruf gefragt.
Niklas’ Satz war die erste Information, die Roman über Camilles Privatleben bekommen hatte. Es ärgerte ihn, nicht selbst auf die Idee gekommen zu sein, einfach mal das Internet zu durchsuchen. In Zeiten moderner Technologie war es nichts außergewöhnliches mehr, jemanden, den man kennenlernte, zu googeln. Trotzdem hatten seine Freunde bisher nur oberflächliche Dinge herausgefunden. Selbst als sie dann verschiedene soziale Netzwerke abgrasten, waren die Ergebnisse wenig aufschlussreich. Da waren Bilder, wie sie mit ihren Freunden Museen besuchte, im Labor stand oder den amerikanischen Nationalfeiertag feierte; jedoch war sie auf den meisten verlinkt und ihre eigenen Konten waren dann nicht öffentlich. Da die Follower-Zahlen sehr niedrig waren, ging der schweizer Torwart davon aus, dass Camille nur ihre guten Freunde an ihrem (Online-) Leben teilhaben ließ. Auf Roman wirkte es langsam so, als wollte Camille etwas verbergen oder zumindest erst darüber sprechen, wenn sie jemanden lange und gut kannte.
Kennt ihr dieses Gefühl, wenn ihr jemanden seht und einfach nur mit dieser Person befreundet sein wolltet? Ihr eure Gedanken, Meinungen und Gefühle mit dieser teilen, aber im gleichen Moment jedes Detail und jede Geschichte über sie erfahren wollt? Wenn ihr diesem Menschen Trost spenden wollt, wenn er traurig aussieht und die glücklichen Momente mit ihm teilen wollt? Wenn ihr Teil der Geschichte, des Lebens dieser Person werden und sie gleichzeitig in das eigene eingliedern wollt?
So ging es Roman im Bezug auf Camille. Er glaubte nicht an Liebe auf den ersten Blick und so erklärte er sich das Bedürfnis der jungen Ärztin näher zu kommen auf diese Art und Weise.

Doktorspiele (Roman Bürki FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt