Anschlag - Keine Spiele

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Dieses Kapitel ist der bei weitem am längste ,,Moment". Der Anschlag auf den Bus war eines der prägenden Ereignisse der Saison 2016/2017 und darf hier nicht unerwähnt bleiben

Camille hatte am 11. April Spätschicht mit anschließender Bereitschaft. Es war ein Heimspiel, also war Doktor Braun zuständig und weil es unter der Woche stattfand, war sie für die Schicht in der Klinik eingetragen. Sie mochte diese Dienste, weil abends und nachts oft Fälle kamen, die außerhalb der Norm waren und ihre vollste Konzentration und Kompetenz forderten. So war vor zwei Stunden eine junge Frau mit Polytrauma in die Notaufnahme gebracht worden, deren Weg nahezu direkt in den OP führte. Mehrere innere Blutungen hielten Camille seit geraumer Zeit auf Trab und brachten sie in den ,,OP-Flow", indem sie absolut nichts von der Rettung des Menschen vor ihr ablenken konnte.

Am anderen Ende Dortmunds spielten sich zur gleichen Zeit tragische Szenen ab. Die Mannschaft war gerade in den Bus gestiegen, als die Spieler und Betreuer einen lauten Knall wahrnahmen und dann eine Wolke sahen, die sich dem Bus näherte. Roman rutschte auf den Boden, weg von den Fenstern und versuchte seinen Kopf zu schützen, während um ihn herum die Scheiben zersplitterten. Er sah Marc vor sich, der bleich im Gesicht war, seinen Arm hielt und wiederholt über Schmerzen klagte. Gleichzeitig ging ihm Camille durch den Kopf. Er konnte jetzt nicht sterben, er hatte doch versprochen bei ihr zu bleiben und aufzupassen, dass sie ihn nicht auch noch verlor. Sekunden später besann sich Roman wieder auf den jungen Mann vor ihm, dessen Gesicht noch immer vor Schmerz verzogen war. Er rückte näher zu Marc und nahm nur unterschwellig wahr, dass der Rest der Mannschaft dabei war den Bus zu verlassen. Hoffentlich hatte einer seiner Kollegen Marcs Verletzung mitbekommen und konnte jemandem Bescheid sagen, dass sie einen Notarzt brauchten. Bis dieser ankam, würde Roman bei seinem Freund und Kollegen bleiben.

Als Doktor Braun gemeinsam mit Marc Bartra in der Notaufnahme des Knappschaft-Klinikums ankam, fragte er nach seiner jüngeren Kollegin, musste jedoch erfahren, dass diese seit mittlerweile vier Stunden im OP arbeitete und nicht für die Untersuchung zur Verfügung stand. Also übernahm der erfahrene Arzt die Behandlung des jungen Spielers. Camille würde die Nachricht erfahren, sobald sie den OP verließ.

Nur geschah dies nicht, weil sie sich direkt nach der Operation kurz ausruhte, um für weitere Fälle fit zu sein und schon 20 Minuten später wieder in der Notaufnahme vor einem offenen Bruch stand, der ihre Aufmerksamkeit forderte.

Roman war unglaublich froh, dass sein Vater für das Spiel nach Dortmund gekommen war und er die Nacht nicht allein in seinem Haus verbringen musste. Die Nachricht, dass das Spiel schon am nächsten Tag nachgeholt werden sollte, beruhigte seine Nerven nicht sonderlich. Noch dazu konnte er Camille nicht erreichen, um ihr zu sagen, dass er am Leben war und mit dem Schreck davon gekommen. Er bat seinen Vater bei ihm im Zimmer zu schlafen und ihn zu wecken, sobald es eine Nachricht von Camille gab. Martin Bürki zog seine Schlüsse über die Beziehung seines Sohnes zu der jungen Ärztin. Obwohl Roman es nicht explizit ausgesprochen hatte, war klar, dass sie endlich zusammen waren und nicht mehr umeinander herum tingelten wie noch zu Weihnachten.

Camille fuhr nach der Übergabe nach Hause und fiel direkt ins Bett. Auch wenn sie diese Schichten mochte, waren sie anstrengend und forderten ihren Tribut am nächsten Morgen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie noch nichts von dem Anschlag mitbekommen und schlief dementsprechend auch sorglos ein.

Bis jemand vehement an ihrer Tür klopfte und sie somit aus dem Schlaf riss. Ihr Vater stand davor, dessen Blick von besorgt zu überrascht wechselte, als er seine Tochter im Pyjama sah. ,,Hab' ich dich geweckt?" ,,Hmmm..." ,,Ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass es Roman bis auf den Schock gut geht, falls du ihn noch nicht erreicht hast." ,,Warum sollte es Roman nicht gut gehen?", Camille neigte den Kopf zur Seite. ,,Hast du nichts von gestern Abend mitbekommen?" ,,Ich hab' den Großteil der Nacht im OP verbracht, da war keine Zeit für Fußball über. Was ist denn passiert?" Während Camille versuchte langsam wacher zu werden, erzählte Michael Zorc von den Vorfällen am Bus und dass Marc Bartra verletzt wurde, die anderen jedoch ,,nur" einen Schock erlitten hatten. Auch dass Roman (eher sein Vater) bei ihm im Haus angerufen hatte, ließ er nicht aus.

Das veranlasste Camille dann auch dazu, ihr Handy zu holen und What'sApp endlich zu öffnen. Dort warteten zahlreiche Nachrichten auf sie. Roman war natürlich dabei, aber auch Flo und Markus hatten ihr geschrieben, um zu fragen, ob sie von dem Anschlag mitbekommen hatte. Sie schrieb Flo, dass ihr Vater sie gerade darüber aufgeklärt hatte und beschloss zu Roman zu fahren, der ihre Anwesenheit gerade vermutlich eher zu schätzen wüsste als eine simple Nachricht.

Als sie bei ihm ankam, wurde die Tür von Martin Bürki geöffnet. ,,Ich wär schon nach der Arbeit hergekommen, wenn ich davon gewusst hätte, aber mein Vater hat es mir gerade erst erzählt." ,,Du musst dich nicht entschuldigen. Hauptsache ist, dass du jetzt hier bist. Er ist nach dem Frühstück wieder in sein Zimmer gegangen." ,,Danke, Herr Bürki."

Camille klopfte sachte an die Tür und öffnete diese, nachdem sie ein leises Grummeln vernahm. Roman lag unter seiner Decke vergraben mit dem Kopf von ihr abgewandt. Er schien nicht vorzuhaben, sich umzudrehen und murmelte ihr ein ,,Lass mich allein, Papa" entgegen. ,,Roman, ich bin nicht dein Vater", antwortete Camille ihm mit Darth Vader Stimme, während sie sich zu ihm auf das Bett setzte. Mit sanften Fingern begann sie durch sein Haar zu streichen und flüsterte ihm: ,,Lass alles raus, Schatz" zu. 

Unter Tränen erzählte er ihr von dem Schreck, der durch die Knalle verursacht wurde, von Marcs Schmerzen und wie alle anderen Gedanken lange von Sorgen um sie überschattet wurde, wie er Angst hatte, sein Versprechen zu brechen und damit vielleicht auch sie. Während die Tränen zu Beginn etwas versiegt waren, brachen sie jetzt wieder mit voller Wucht hervor. Es traf ihn alles noch einmal mit neuer Härte. Nur war noch keine Zeit für Reflexion. Sie mussten ja am Abend das Spiel nachholen.

Camille würde jetzt für ihn da sein, so wie er es vor vier Monaten war. Sie würde ihn reden lassen, wenn er es brauchte, gemeinsam mit ihm schweigen und ihn zur Therapie begleiten, falls er sich für diesen Weg der Bewältigung entschied. Beziehungen forderten Arbeit und Camille war bereit, sich so hart in diese zu stürzen, wie sie es tagtäglich in ihrem Beruf tat. Der Anschlag würde sie nicht auseinander bringen!

Doktorspiele (Roman Bürki FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt