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Früher hatte ich den Regen geliebt.

Früher.

Ich atmete so gerne den frischen Duft ein, wenn das frisch gemähte Gras meine Nase erreichte, sprang fröhlich in Pfützen, interessierte mich nicht für nasse Schuhe, oder wenn meine Zehen steif und unbeweglich wurden. Wenn meine Locken pitschnass in mein Gesicht hingen, und meine Wangen schmerzten, weil ich so breit lächelte, dass mein Grübchen auf meiner Wange womöglich bald abfiel.

Ich genoss es. Mehr als alles andere.

Aber heute sah die knallharte Realität anders aus. Während ich todesgenervt meinen Schulweg lief, und der Regen auf mich schüttete, als würde er mich jeden Moment umbringen wollen, versuchte ich verblichst den Regenschirm über meinen Kopf zu halten, und nicht mit ihm zusammen wegzufliegen. Der Wind peitschte in mein eiskaltes Gesicht, die Strähnen klebten an meiner Stirn und kleine weiße Wölkchen entkamen meinen pinken Lippen. Meine Hände klammerten sich förmlich an den Griff des Schirmes und frustriert seufzte ich auf, als ein Auto an mir vorbei fuhr, und das dreckige Wasser direkt auf mich spritzte.

"Fick dich." Grummelnd machte ich halt und sah an mir runter.

Steinchen klebten an meiner Hose, meine weißen Schuhe bräunlich verfärbt. Als ob das nicht alles schlimm genug wäre, donnerte es laut, und ließ mich als ohne hin sehr schreckhafte Person, zusammenzucken. Das wimmern entkam meinen Lippen schneller als das donnern wieder aufhören konnte, und schluckend verschnellerte ich meinen Schritt, während die beißende Ungerechtigkeit in meiner Brust schmerzte.

Es war nicht das erste mal, dass ich in Wind und Sturm zur Schule laufen musste. Da London nichts anderes kannte, als dicke Regenwolken, die manchmal gefühlt schwärzer waren als das Loch in meiner Brust, wurde ich fast täglich mit dieser miesen Lage konfrontiert. Mein zwanzig Minuten Weg war zu kurz für einen Bus, und ebenfalls zu wenig um meine Eltern, zum fahren überreden zu können.

Und ich musste jeden einzelnen Tag dabei zuschauen, wie andere Kinder in die Schule gebracht wurden. Keinen Tropfen auf ihr glänzendes Haar bekamen, und musste in ihr Gesicht sehen, dass von einem strahlenden grinsen verziert wurde. Ich allerdings sah immer genervt aus. Stirn gekräuselt, Nase gerümpft. Sagte kein Wort und dabei sollte es auch bleiben.

Ich war ein Einzelgänger, und das fand ich besser als wenn mich alle mit ihrer falschen Liebe ausnutzen würden.

Aber mich mochte hier sowieso niemand.

Seufzend betrat ich den Schulhof, der schon voller Autos stand. Die Grüppchen, die sich normalerweise auf dem Hof tummelten, waren nicht mehr vorhanden, da sich alle in die Klassenräume retteten. So betrat auch ich den alten Boden der Schule, klappte meinen Schirm ineinander und schüttelte meinen Kopf, sodass die Tropfen nur so von meinen Locken fielen.

Ich lief die Treppe hinauf, hörte das Klacken meiner Schuhe an den Wänden widerhallen und beschleunigte meinen Schritt, als ich das allseits bekannte Klingeln der Schule hörte.

Die meisten Schüler waren schon in ihren Klassenräumen, weshalb es mich nicht wunderte, als ich als fast letzter in den Raum schritt. Alle Augenpaare waren auf mich gerichtet, was in mir ein ungutes Gefühl auslöste. Ich hatte das Gefühl jeden Moment umzukippen, weil ich wusste, dass ich unbeliebt war. Ich bildete mir das lachen schon beinahe ein, als ich mich auf meinen Platz setzte und schüchtern verschränkte ich die Arme, während mein Blick traurig auf den Tisch fiel. Ich traute mich nicht den Kopf zu heben, hatte Angst in die Gesichter anderer zu sehen. Seit Anfang des Jahres saß ich alleine, da niemand in meine Nähe kommen wollte. Und die Gründe wusste ich seit fünf Jahren nicht.

His Heartbeat Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt