Zwei Seiten eines Spiegels

536 38 4
                                    

"Ja, hat Spaß gemacht." Sirius blickte ihm etwas verloren hinterher, als er sich umdrehte und aus dem Gemeinschaftsraum rauschte. Warum hatte sein Freund es plötzlich so eilig? Hatte er etwas falsches gesagt? Er wurde manchmal nicht so ganz schlau aus ihm. Aber eigentlich sollte er es mittlerweile gewohnt sein, denn Remus machte gern auf geheimnisvoll. Sie waren nun schon seit fünf Jahren befreundet, jedoch ließ Remus seine behutsam aufgebaute Fassade nur dann völlig fallen, wenn er mit ihm allein war. Sirius war sich sicher, dass selbst die anderen beiden Rumtreiber ihn nicht so gut kannten wie er. Er zeigte sich nicht gern verletzlich, und doch schaffte es Sirius immer häufiger, genau diese Seite an ihm hervorzulocken. Es machte Sirius ein bisschen stolz, dass er es war, dem Remus am meisten vertraute. Außerdem mochte er ihn dann am meisten, wenn er 100% er selbst war. Er kannte viele seiner geheimsten Gedanken. Doch immer, wenn er sich daran erinnerte, zuckte er innerlich zusammen, und fühlte sich ein bisschen schlecht, weil er sich dann auch daran erinnern musste, dass er Remus gegenüber ein Geheimnis hatte, das er ihm nicht verraten konnte.. Es hatte ganz harmlos angefangen, jedes Mal wenn Remus sich über etwas freute, seien es Prüfungsergebnisse, Süßigkeiten, oder ein Brief von seinen Eltern, beobachtete Sirius ihn, und freute sich unheimlich darüber, das Glänzen in seinen Augen zu sehen. Dieser Anblick machte ihn so glücklich, dass er sich bald Möglichkeiten und Anlässe einfallen ließ, um Remus zum Strahlen zu bringen. Doch als Remus ihn darauf ansprach, und ihm sagte, dass er ihm nicht jeden Tag Schokofrösche, selbstgezeichnete Karten oder andere Dinge zu schenken brauchte, kam sich Sirius auf einmal ziemlich dumm vor. Er wollte ihm doch nur eine Freude machen, aber Remus behauptete, dass man sich nicht ständig Geschenke machen musste, um befreundet zu sein. Sirius hatte nie vor, sich Remus' Freundschaft zu erkaufen, er sah ihn nur einfach gern glücklich. Aber ab da beschränkte er sich vorsichtshalber darauf, seinem besten Freund ab und zu eine Extraportion Schokolade zukommen zu lassen, besonders wenn es fast Vollmond war. Er freute sich natürlich weiterhin für Remus mit, wenn dieser gute Nachrichten erhielt, und Erfolge feiern konnte. Irgendwann wurden dann aus High Fives Umarmungen. Sirius liebte es, den jungen Werwolf zu umarmen. Er versuchte jedoch immer, ihn wieder rechtzeitig loszulassen, damit dieser keinen Verdacht schöpfte. Bisher, glaubte er, war ihm das gelungen. Es fiel ihm aber zunehmend schwerer, sich aus der Umarmung zu lösen, besonders wenn sie nicht zu viert waren, und Peter und James bei ihnen waren. Dann war sein Wunsch Remus festzuhalten manchmal sehr stark, und er musste sich mit aller Kraft dazu zwingen, ihn wieder loszulassen, und nicht an sich zu drücken und seinen Kopf an seine Schulter zu lehnen. Wenn er ganz ehrlich mit sich selbst war, würde er es damit aber auch nicht so einfach belassen... seine bernsteinfarbenen Augen hatten einen Zauber, der Sirius gefangen nahm, und er dachte sich manchmal, dass er glücklich wäre, könnte er einfach für den Rest seines Lebens in diese Augen sehen.

Er malte sich oft aus, wie er Remus ganz einfach seine Gefühle gestand, und wie es wäre, mit ihm zusammen zu sein. Manchmal verlor er sich in diesen Gedanken, und musste im letzten Moment vor dem Unterricht einen seiner Freunde bitten, ihn die Hausaufgaben abschreiben zu lassen, da er bei all seinem gedanklichen Schmachten vergessen hatte, sie zu machen. Nun packte er auch seine Bücher ein, und ging zurück in den Schlafsaal um vielleicht ein-zwei Sätze in sein Tagebuch zu schreiben, oder bis zum Abendessen noch etwas zu lesen, oder sich mit Peter und James zu unterhalten.


Remus musste raus. Nach draußen. An die frische Luft. Er fragte sich, ob es mehr Fluch oder mehr Segen war, so eng mit dem Jungen befreundet zu sein, in den er verliebt war. Er fing an zu laufen...

Am See machte er schließlich Halt. Dann setzte er sich hin, und fing an, Steine über die Wasseroberfläche springen zu lassen. Je mehr Steine im See versanken, desto wütender wurde er, und desto mehr Tränen flossen über sein Gesicht. Warum konnte er nicht wenigstens einmal so sein wie alle anderen? War er nicht bereits genug gestraft damit, ein Werwolf zu sein? Er stand wieder auf, nahm einen großen Stein und warf ihn mit einem lauten Schrei in den See. Er lief rastlos ein paar Schritte hin und her.

"Du hast fast meinen gesamten Vorrat an Springsteinen verbraucht", sagte eine sanfte Stimme hinter ihm. Er drehte sich ruckartig um. "Wie lange stehst du da schon, Lily?", fragte er erstarrt. "Vielleicht zwei Minuten. Ich komme auch gern hierher, um Steine springen zu lassen. Dann hab ich gesehen, dass du meine sorgfältig zusammen gesuchten Steine in den See wirfst... Harter Tag?" "Du hast ja gar keine Ahnung..." Lily kam auf ihn zu. Sie sagte nichts weiter, sondern schlang einfach die Arme um Remus, der vor lauter Schluchzen am ganzen Körper zitterte.

Er konnte nicht sagen, wie lange sie so dastanden. Vielleicht drei Minuten, vielleicht aber auch 15. Oh, Lily. Sie war besonders. Remus hatte sie schon gemocht, bevor sie James' Freundin wurde. Und das sagte eine Menge, denn er war sehr vorsichtig, was die Auswahl seiner Freunde betraf. Sie war ein herzensgutes Mädchen, und wollte für alle Menschen nur das Beste. Sie war auch die einzige, der er sein Geheimnis jemals anvertrauen würde... Und vielleicht war dieser Augenblick jetzt gekommen. Sie fragte nicht, warum es ihm dreckig ging, sondern wusste, dass er es ihr erzählen würde, wenn er dachte, dass es ihm helfen würde. Sie erkannte einfach, dass das was Remus gerade am dringendsten brauchte, eine lange Umarmung war. Als er sich wieder einigermaßen gefangen hatte, wischte er sich mit seinem Ärmel über das Gesicht und lächelte schwach. "Remus?" "Danke, Lily. Wahrscheinlich fragst du dich, was mich so aufregt. Und ich finde, du hast es verdient, dass ich es dir sage." Er holte tief Luft. "Ich weiß nicht, ob und wie viel du ahnst, deswegen erzähle ich dir einfach alles. Lily, ich bin verliebt.." "Aber offenbar sehr unglücklich", sagte sie traurig. "Ja... Es ist nämlich so, dass die Person, in die ich mich verliebt habe, niemals mit mir zusammen sein wollen wird." "Woher willst du das wissen, Remus? Hast du sie gefragt?" Sie strich seine tränennassen Haare sanft aus seinem Gesicht. "Nein, Lily. Ich kann diese Person nicht fragen... Das ist es ja." "Moony, alles ist besser, als dich emotional so kaputt zu machen! Und wenn du es nicht versuchst, kannst du es doch auch nicht wissen. Was ist das schlimmste, was passieren könnte?" "Der Zerfall einer jahrelangen Freundschaft. Die Auflösung der Rumtreiber." Lily hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. Sie war ganz außer Atem, als sie flüsterte: "Du bist in einen der Jungs verliebt? In Sirius?" "Ja, natürlich. Aber er hat doch nur Augen für die verschiedensten Mädchen an der Schule. Er mag keine Jungs..." Lily überlegte. "Bist du dir da ganz sicher? Ich meine, ich kann doch mal ganz unauffällig nachhaken, wenn ich ihn das nächste Mal alleine erwische?" "Aber Lily, ich weiß doch, dass er ständig auf Dates mit Mädchen geht." "Naja, du weißt aber auch, dass es bisher mit keiner geklappt hat, oder nicht?" Sie hatte den Anflug eines triumphierenden Glitzerns in den Augen. "Ähm..." Remus dachte nach. Es stimmte, Sirius hatte ihm nur ein einziges Mal erzählt, dass es zu einem Kuss gekommen war, und dass er davon wohl ziemlich unterwältigt war. "Du hast schon irgendwie Recht." "Na siehst du!? Vielleicht will er sich ja nur von seinen wahren Gefühlen ablenken, indem er versucht, möglichst viele Mädchen kennenzulernen! Ja Remus, so muss es sein, das ergibt absolut Sinn!" Sie klatschte begeistert in die Hände. Er gab ihr einen unbeholfenen Kuss auf die Stirn. "Ich bin sehr von deinem Optimismus und deinem Kampfgeist beeindruckt. Aber wie finden wir heraus, ob du Recht hast?" "Ich hab da so meine Methoden..." sie grinste. "Du erinnerst dich, dass ich die Beste in Zaubertränke bin? Slughorn liebt mich, und es wird ihm kaum verdächtig vorkommen, wenn ich ihn nach einigen... ungewöhnlichen Zutaten frage, meinst du nicht?" "Was hast du vor? Ein Zaubertrank? Was soll der bewirken? Ich will ihm ja kein Amortentia geben oder so, das wäre keine echte Liebe..."

"Halt, warte, stopp. Oh, nein, Lily! Du kannst ihm doch nicht einfach Veritaserum unterjubeln!" "Das wäre einfach und effektiv. Aber falls er nicht ehrlich antworten will, würde er es merken, dass er unter dem Einfluss des Wahrheitstranks steht, und dann wäre er vielleicht ewig beleidigt. Hmmm... Aber dann könnte ich ihn vielleicht immer noch das ganze Gespräch vergessen lassen.." "Du spinnst, Evans! Du machst uns ja noch echt Konkurrenz, was das Streiche aushecken angeht. Nein, es muss ohne tricksen gehen. Wie war noch mal dein Angebot von vorhin?" "Achsooo, einfach nachfragen. Laaangweilig!" Lily warf den Kopf in den Nacken und lachte. "Na gut, dann machen wir es eben auf die altmodische Art. Ich finde das schon raus, keine Sorge."

About each other (Wolfstar)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt