DREI

683 109 12
                                    

Als ich zurück nach Byron Bay ins Krankenhaus komme, treffe ich auf eine Situation, die ich so nicht erwartet habe. Das Zimmer, in dem Harpers, Jace' und mein Körper gelegen haben, ist leer. Also nein, es ist nicht leer, sondern ein Abstellraum. Dort, wo vorhin noch unsere Betten standen, bauen sich nun Regale mit Putzzeug auf. Sogar das Fenster, auf dessen -bank Harper und Jace vorhin gesessen haben, ist fort. Bin ich vielleicht im falschen Raum gelandet?

„Nein, du träumst nicht", erschreckt Jace mich so sehr, dass ich fast an einem Herzinfarkt krepiere.

Und das ist gar nicht mal so unwahrscheinlich, auch wenn ich nur eine Seele bin. Immerhin bin ich im Moment instabil. So hat Amy es doch formuliert, oder?

„Verdammt, Jace!", fluche ich und schlucke den Schmerz, der in mir pulsiert, runter.

„Was ist das hier und wo sind wir? Also die richtigen wirs", druckse ich herum.

Jace, der an ein Regal gelehnt auf dem Boden sitzt und eine Flasche WC-Reiniger in der Hand hält, zuckt mit den Schultern.

„Und was machst du mit dem Zeug da?", frage ich irritiert.

„Mir war langweilig, okay?"

„Warst du nicht bei deinem Paten?"

Stumm schüttelt er den Kopf.

Nickend wandere ich durch den kleinen Raum, der jetzt nicht viel mehr als ein Gang zwischen sehr viel Kram ist. Eigentlich wüsste ich jetzt viel lieber, wo unsere Körper sind, aber Jace braucht jemanden, der ihm zuhört. Oder vielleicht will er auch jemandem zuhören. Wie gesagt, er ist noch so jung und obwohl ich immer der kleine Bruder war, fühle ich mich verpflichtet, für ihn da zu sein.

Ich bin wirklich ein zu netter Mensch.

„Ich wollte es. Wirklich. Als Harper weg war, da war ich so kurz davor, auch zu gehen. Aber...aber..."

Nickend setze ich mich neben ihn und starre wie er auf die grün-blaue Flasche in seiner Hand. Es ist nicht so, dass es mich überrascht, als er anfängt zu weinen, aber trotzdem bin ich nicht darauf vorbereitet. Was soll ich jetzt tun? Was haben Mom oder Nate immer gemacht, wenn ich geweint habe?

Sie haben mich in den Arm genommen. Mom hat dann immer gesagt „Weißt du, was das Schöne am Traurigsein ist? Wenn es einmal regnet, kann es nur noch besser werden." Traurig zu sein, fand ich trotzdem nie schön, aber sie hat mich damit irgendwie getröstet. Nate hat mir manchmal einfach nur auf die Schulter geklopft.

Sie waren da. Sie waren einfach da.

„Ist okay, Jace. Heute hast du es nicht gepackt. Vielleicht packst du es morgen, vielleicht übermorgen. Das ist schon in Ordnung", spreche ich aus, was mir spontan in den Sinn kommt.

Jace schüttelt unter Tränen den Kopf. „Ich sterbe, Rhys. Es ist nicht okay, dass ich mich nicht zusammenreißen kann. Ich hab nämlich keine Zeit. Da ist jemand, der eine Leber hat, die ich...die ich einfach..." Seine Stimme bricht. Sanft nehme ich ihm den dämlichen Klo-Reiniger aus den zitternden Fingern, an dem er sich regelrecht festgehalten hat, woraufhin er das Gesicht in die Hände stützt.

„Jace, Mann, du hast Amy gehört. Selbst wenn du ihn nicht einmal siehst, kann es trotzdem klappen. Er könnte es auch ohne dich tun. Und es ist scheiße ungerecht, dass die dir das zumuten", versuche ich ihn irgendwie zu beruhigen.

„Was ist denn-", platzt plötzlich jemand in den Raum. Es ist keine Tür aufgegangen, weswegen ich sofort weiß, dass es Harper sein muss. Als ich zu ihr aufblicke, erwarte ich einen missbilligenden Blick oder ein genervtes Augenrollen, aber nichts davon spielt sich in ihrem Gesicht ab. Stattdessen lese ich etwas ganz anderes darin: Mitleid.

Die MörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt