SIEBEN

551 93 9
                                    

Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Obwohl das erst der Anfang war, weiß ich schon jetzt, dass das Ende kaum zu ertragen sein wird. Und das nur von ihren Erzählungen. Ich musste es nicht mal durchleben.

Sie schon.

Meine Vorahnungen verhärten sich. Was sie da angedeutet hat, dass er sie zur Toilette geführt hat in irgendeiner Kneipe...dass er sie...

„Sag was", flüstert sie plötzlich.

Verunsichert öffne ich den Mund, schüttele den Kopf und schließe ihn wieder. Dann sehe ich sie an, halte ihren Blick fest und sie entzieht sich mir nicht.

Ich glaube ihr. Ich glaube ihr, dass er sie dorthin geführt hat und nicht andersrum. Ich glaube ihr, weil ich den Ausdruck in ihren Augen sehe.

Sie sagt die Wahrheit. Warum sollte sie mich auch anlügen?

„Es tut mir so leid", murmele ich und reibe mir mit den Händen übers Gesicht. Ein drückender, ziehender Schmerz breitet sich hinter meiner Stirn aus, windet sich durch den Nacken und verstreut sich in meinem gesamten Körper.

Der gleiche Schmerz, den ich gespürt habe, als ich das erste Mal zu mir gekommen bin, in diesem Badezimmer auf dem Boden.

„Das muss es nicht", versichert sie mir, ringt sich sogar ein Lächeln ab, das aber nur auf ihren Lippen liegt. Es erreicht nicht den Rest ihres Gesichts.

„Vermutlich hätte ich es dir gar nicht erzählen sollen", lacht sie plötzlich unsicher und wendet sich ab. Zitternd nästelt sie an ihrem Kissenbezug herum, nur, um mich nicht ansehen zu müssen. Eine Sekunde lang habe ich das Bedürfnis, ihre Finger mit meinen zu verschränken, damit sie merkt, dass ich für sie da bin, aber vermutlich wäre das keine gute Idee. Bisher ist sie vor meinen Berührungen zurück gezuckt.

„Was hat er getan, Charlie?"

Entschieden schüttelt sie den Kopf, lässt von ihrem Kissen ab, verschränkt die Arme vor der Brust und sieht mich wieder an. Einen deutlicheren Graben könnte sie nicht zwischen uns ziehen.

„Nein, nein, das kann ich nicht...ich meine...", stottert sie, streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht und betrachtet ausweichend ihre Hände. „Noch nicht."

„Okay", meine ich schnell. Blitzschnell blickt sie auf, ihre Mundwinkel zucken.

Noch nicht, ich versprech' s."

Ich schüttele den Kopf. „Du musst mir nichts versprechen."

Sie legt den Kopf schief. „Aber irgendjemand muss die Wahrheit erfahren, bevor ich gehe."

Charlies Eltern gehen, ohne auch nur versucht zu haben, Charlie zu sprechen. Und Charlie lässt sie gehen, ohne ihnen das Gefühl gegeben zu haben, dass sie es anders gewollt hätte.

Dafür kommt Dr Sprice nochmal, um Charlie persönlich ihr Abendessen zu bringen, was diese, oh Wunder, tatsächlich anrührt.

Sie isst nicht viel, aber sie isst, bis Dr Sprice zufrieden ist und sie in Ruhe lässt. Zumindest für' s erste, denn sie kündigt an, dass sie morgen vorbeischauen wird, um mit Charlie über den heutigen Tag zu sprechen.

„Wieso will sie immer alles auf einmal?", beschwert Charlie sich, sobald wir wieder allein sind.

„Ist doch nett, dass sie zumindest bis morgen wartet", scherze ich.

„Oh ja, furchtbar rücksichtsvoll", meint Charlie.

Obwohl Charlie sicher müde ist, bleiben wir noch lange auf. Ich erzähle ihr von Zuhause, vom Strand, vom Surfen, von meinem Job. Von den Walen und dem Leuchtturm und von Nate.

Die MörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt