Ich habe um Hilfe geschrien, aber keiner wollte es hören.
Seit Stunden spukt mir dieser Satz im Kopf herum. Mehr hat sie nicht gesagt. Es ist ihr raus gerutscht, eigentlich wollte sie nicht mal das von sich preisgeben, aber das hat sie getan und danach hat sie beschlossen, mich oder sich – so genau weiß sie das vermutlich selbst nicht mal – mit Schweigen zu strafen. Und das, wie gesagt, seit Stunden.
Manchmal hat sie Anstalten gemacht, etwas zu sagen. Dann hat sie denn Mund geöffnet, die Worte lagen ihr auf der Zunge, bevor sie sie kopfschüttelnd wieder runter geschluckt hat.
„Willst du nicht langsam mal gehen?"
Stumm drehe ich meinen Kopf zu ihr, halte einen Moment Augenkontakt, bevor ich wieder geradeaus an die Wand starre. Ich sitze auf dem Boden, ein Bein angewinkelt, das andere ausgestreckt, das Kinn in die Hand gestützt.
„Willst du das jetzt immer so machen? Mich irgendwann weg schicken, wenn es dir zu heiß wird?", nuschele ich.
Ihre Atmung verschnellert sich, sie versucht ein spöttisches Geräusch zu machen.
„Das ist mein Zimmer! Wenn ich will, dass du gehst, dann gehst du!", piepst sie mit wütend-zittriger Stimme.
„Und wenn nicht?"
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sie die Decke zurück schlägt und aus dem Bett steigen will, doch sobald sie sich versucht aufzurichten, knicken ihre Knie ein. Sie steht sicher nicht sehr oft.
„Das war armselig", kommentiere ich ihr Scheitern. Keine Ahnung, warum ich auf einmal so gemein bin, aber mit Freundlichkeit komme ich bei ihr ja eh nicht weiter, also brauche ich mir auch keine Mühe geben.
„Bist du fertig?", fragt sie. Beim Klang ihrer tränenerstickten Stimme, muss ich mich zusammenreißen, sie nicht sofort anzusehen. Stattdessen rappele ich mich auf, strecke mich und klopfe theatralisch meine Hose ab.
„Schönes Leben noch", wünsche ich ihr beiläufig und bewege mich langsam Richtung Tür.
„Rhys, verdammt!", schreit sie, als ich beinahe weg bin.
„Was?"
„Ich..." Sie zieht schniefend Luft ein, es klingt hilflos.
Verunsichert drehe ich mich um. Immer noch sitzt sie wie bestellt und nicht abgeholt auf der Bettkante, die nackten Füße in der Luft baumelnd. „Ich kann es ihnen nicht erzählen", flüstert sie plötzlich viel zu schnell, bevor ihr die Tränen die Wangen herab laufen.
Bedächtig gehe ich zurück zu ihr. Als ich mich neben sie setzen will, zuckt sie zusammen, deswegen lasse ich es lieber und hocke mich vor sie. Ihre Hände will sie mir auch nicht geben, aber das ist okay.
Mir wird klar, dass Berührungen etwas bei ihr angerichtet haben müssen. Mein Bild von dem, was ihr widerfahren ist, wird Stück für Stück klarer und doch kann ich wahrscheinlich noch nicht mal annähernd überblicken, wie grausam die Hölle war – nein, wie grausam die Hölle ist – durch die sie geht.
„Tut mir leid", nuschelt sie und wischt sich mit zitternden Fingern über das Gesicht. „Ich hab' s wirklich versucht, aber ich kann nicht."
Obwohl ich nicht weiß, was geschehen ist, verstehe ich es. Ich verstehe, dass sie zerbrochen ist und es immer wieder tut, wenn sie nur daran denken muss. Wie schlimm muss es dann erst sein, die Tat auszusprechen?
„Bitte lass mich nicht allein", fleht sie nahezu.
„Werd' ich nicht", versichere ich ihr.
Ich bleibe bis zum Schluss.
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Die Mörder
Teen FictionRhys wird niemals wiedergutmachen können, was Charlie angetan wurde. Und wenn er auch nur einen Funken Verstand hat, wird er es auch gar nicht erst versuchen, weil das seinen eigenen Tod bedeuten würde. Charlie muss sterben. @lumosnyx hat dieses wun...