It's Not My Fault, I'm A Maniac

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A/N: Bevor es los geht, zwei kurze Anmerkungen meinerseits: Der Titel der Geschichte sowie die der ersten acht Kapitel stammen aus dem Fall Out Boy Song "Alone Together". Alle folgenden Kapitelüberschriften sind ebenfalls Liedern entnommen, die ihr  alle in der Spotify-Playlist zu dieser Geschichte findet: https://open.spotify.com/playlist/75lyhphE3bny3RgckfubCh?si=57426aa46afd43c0
Außerdem arbeite ich gerade an einem neuen Großprojekt, wenn ihr dazu mehr wissen wollt, folgt mir gerne auf Instagram (hannah.oktober), da gibt es bereits die ersten Einblicke, weitere folgen bald :)



„Harry? Geht's dir nicht gut?"
„Was? Nein, alles in Ordnung." Müde rieb Harry sich über die schmerzende Stirn, während er hoffte, dass Hermine nicht weiter nachhaken würde. Seit Stunden schon versuchte er vergeblich, sich auf seine Hausaufgaben zu konzentrieren. Ohne nach rechts und links sehen zu müssen, konnte er die Blicke seiner Mitschüler auf sich spüren. Mit unverhohlener Neugier verfolgten sie jeder seiner Bewegungen. Der strenge Blick von Madam Pince war das einzige, was sie davon abhielt, ihn auch hier in der Bibliothek anzusprechen.

Harry wusste, dass Hermine Recht hatte und es das klügste war, das letzte Schuljahr in Hogwarts nachzuholen und seinen Abschluss zu machen. Er glaubte ihr, wenn sie sagte, dass sie alle in dieser Umgebung schneller wieder sie selbst sein würden, als wenn sich jeder in einen anderen Ort zurückzog, um dort seinen Gedanken nachzuhängen. Hermine hatte Recht. Aber Harry fühlte es nicht. Es fühlte sich nicht richtig an, wieder hier zu sein.

Er hatte mit Blicken und neugierigen Fragen gerechnet. Natürlich. Aber er hatte auch damit gerechnet, dass das Interesse nachlassen würde. Dass er auch jetzt noch, Wochen nach Schuljahresbeginn, keinen unbeobachteten Schritt tun konnte, hatte er nicht eingeplant. So kam es, dass er sich mehr und mehr zurückzog und den größten Teil seiner Freizeit darauf verwendete, seinen Mitschülern aus dem Weg zu gehen. Oft saß er stundenlang in der Bibliothek oder kapselte sich gemeinsam mit seinen ehemaligen Kampfgefährten ab. Die meiste Zeit aber brachte er damit zu, ziellos und alleine über die Ländereien der Schule zu laufen. Dort wollte niemand etwas von ihm. Dort war niemand, der wieder und wieder hören wollte, wie er den dunklen Lord bezwungen hatte. Niemand, der ihn besorgt beobachtete wenn er zunehmend schweigsamer wurde und in seinen eigenen Gedanken versank.

„Harry?"
„Was?"
„Du hast noch kein Wort geschrieben. Wir müssen den Aufsatz morgen abgeben."
Harry hörte die Vorsicht in Hermines Worten und doch spürte er, wie sie ihn reizten. „Ich weiß", schnappte er zurück und klappte sein Buch unsanft zu. „Ich kann mich nicht konzentrieren, okay?" Rasch packte er seine Sachen ein und verließ ohne ein weiteres Wort die Bibliothek. Es war nicht nett gewesen, Hermine einfach so alleine zu lassen, aber nur ein weiterer forschender Blick und er wäre unfair geworden. Ganz sicher.
Ohne nach rechts oder links zu sehen, durchquerte Harry die Große Halle und verließ die drückende Enge des Schlosses. Er blieb nicht stehen, bis er das Ufer des Sees erreicht hatte. Erst hier wagte er es, innezuhalten und tief durchzuatmen. Völlig ruhig lag das Wasser vor ihm, dass genauso dunkel war wie der Himmel. Die ersten Herbststürme standen vor der Tür und bald schon würde es draußen kalt und ungemütlich werden.

Ziellos irrte Harry hin und her. Vom Rand des Verbotenen Waldes zum See und wieder zurück. Hin und her. Nur nicht innehalten und sich den drückenden Gedanken stellen. Irgendwann würde er es tun müssen. Irgendwann würde er lernen müssen, mit dem, was geschehen war, umzugehen. Aber noch nicht. Er konnte es noch nicht. Vielleicht irgendwann. Dann, wenn er bereit wäre, sich jemandem anzuvertrauen und nicht mehr alles in sich hineinzufressen. Die Alpträume, die Schuld, die Leere.

Als es zunehmend dunkler wurde, kehrte Harry mit schweren Schritten zurück ins Schloss. Auch wenn es fast wieder so aussah wie vor dem Krieg, wollte das Gefühl des Ankommens und der Sicherheit, das er sonst immer beim Anblick der hohen Mauern empfunden hatte, nicht in ihm aufkommen.


Beim Abendessen entschuldigte Harry sich leise bei Hermine, aber sie winkte nur ab und grinste schief. „Ist schon in Ordnung. Du bis unausgeglichen im Moment, aber das ist normal. Und solange du einfach gehst, bevor du mir eine Beleidigung an den Kopf wirfst, halte ich das schon aus." Harry grinste zögerlich zurück. Natürlich wusste Hermine, was mit ihm los war. So wie sie immer alles wusste und auf alles eine Antwort hatte. „Tut mir trotzdem leid", murmelte er, ehe er sich wieder seinem Essen widmete.

„Ey, sagt mal, was ist denn mit dem Frettchen los?", unterbrach Ron nur kurze Zeit später Harrys Gedanken.
„Mit wem?"
„Malfoy."
Harry zuckte mit den Schultern und sah zu den Slytherins hinüber. Am gleichen Platz wie immer saß Draco Malfoy und schob das Essen auf seinem Teller hin und her ohne Notiz von dem zu nehmen, was um ihn herum geschah. „Keine Ahnung." Harry zuckte erneut mit den Schultern. „Ist das nicht egal?"
„Na, wer weiß, was der wieder ausheckt", knurrte Ron missmutig und brachte Hermine damit zum Lachen. „Was soll er denn schon aushecken?"
„Dem trau ich alles zu! Wieso ist er überhaupt hier? Der sollte zusammen mit seinen Eltern in Askaban verrotten!"
Verärgert zog Harry die Augenbrauen zusammen. „Er hat mir das Leben gerettet."
„Ja, nachdem er dich überhaupt erst in die Situation gebracht hat."
Harry schnaufte ungehalten. So sehr er Draco Malfoy auch all die Jahre zuvor gehasst hatte, fehlte ihm jetzt doch die Energie dafür. Der Krieg war vorbei. „Nein, Voldemort hat mich in die Situation gebracht." Und Voldemort war tot. Er würde nicht mehr zurückkommen und das bedeutete, sie könnten vielleicht endlich aufhören, sich so anzufeinden.

„Er ist und bleibt ein Frettchen."
„Ja, ja", brummte Harry. „Aber er hat dir nichts getan, oder? Lass ihn doch einfach genauso seinen Abschluss machen, wie wir. Er hatte es nicht leicht."
„Er... Was?!"
Beruhigend legte Hermine eine Hand auf Rons Arm, als dieser ärgerlich auffahren wollte. „Jungs, wollen wir nicht einfach gehen? Ihr könnt euch ja später wieder prügeln, wenn es unbedingt sein muss. Aber dabei muss euch doch nicht die ganze Schule zusehen."
Mit verkniffenen Gesichtern nickten Harry und Ron und verließen gemeinsam mit Hermine die Große Halle. Anstatt aber in den Gryffindor-Turm hinaufzusteigen, gingen sie hinauf in den siebten Stock, wo sie unbeobachtet in den Raum der Wünsche schlüpften.

Bereits zu Beginn des Schuljahres hatten sie herausgefunden, dass zwar eine Version des Raumes in Flammen aufgegangen war, er aber dennoch weiterhin so voller Magie war, dass er jeden anderen benötigten Raum hervorbringen konnte. Auf diese Weise war er erneut zu einem Rückzugsort der DA geworden. Doch dieses Jahr übten sie hier keine Verteidigungs- und Entwaffnungszauber, um sich auf den Ernstfall vorzubereiten. Dieser war längst eingetreten. Der Ernstfall war vorbei. Deswegen waren sie hier und taten... – nichts.

In diesem Jahr erinnerte der Raum eher an ein großes Wohnzimmer, in dem ein prasselndes Kaminfeuer und diverse Sitzgelegenheiten eine einladende Gemütlichkeit ausstrahlten. Hier konnten sie sich von dem Rest der Schule abschotten, ohne sich erklären zu müssen.
Als sie eintraten, hatten Ron und Harry ihren Streit bereits wieder vergessen. Es verging kaum noch ein Tag, an dem sie sich nicht wegen irgendetwas in die Haare bekamen. Meistens verflog ihre Streitlustigkeit aber ebenso schnell wieder wie sie gekommen war.
Luna und Neville waren bereits da und saßen in verschiedenen Sesseln, von denen aus sie mit regungslosen Gesichtern ins Feuer sahen. Neville hatte ein aufgeschlagenes Buch über Kräuterkunde auf seinen Beinen liegen und neben Lunas Füßen lag eine Ausgabe vom Klitterer.

Bei ihrem Eintreten hoben sie kurz die Köpfe, nickten kaum erkennbar und kehrten dann wieder in ihre Ausgangsposition zurück. Ebenso schweigend suchten sich die drei Neuankömmlinge einen Platz. Während Hermine sich mit einem Stapel Bücher hinter einem Schreibtisch verschanzte, ließen Harry und Ron sich am Fenster nieder. Zwischen ihnen stand ein Schachbrett, auf dem Ron nun die Figuren aufstellte.

Es war ein schläfriges Spiel, in dem sich jeder Zug nahezu unendlich in die Länge zog. Immer wieder stand einer von beiden auf, tigerte durch das Zimmer, blickte einige Momente reglos aus dem Fenster und kehrte dann wieder zum Spiel zurück. Niemand schenkte diesem Verhalten besondere Beachtung. Es war zur Normalität geworden. Selbst als Harry irgendwann wortlos das Brett vom Tisch fegte, so dass die Figuren über den Boden rollten und wütend schimpfend über den Teppich stampften, sagte keiner ein Wort.
Gereizt machte Harry eine kurze Bewegung mit dem Zauberstab, um das Chaos wieder zu ordnen. Dann warf er sich seine Tasche über die Schulter und verließ mit großen Schritten den Raum. Noch eine Minute länger darin und er hätte Ron einen Fluch auf den Hals gehetzt, nur um einen Streit vom Zaun brechen zu können. Vielleicht hätte er ihn sogar dazu bringen können, körperlich auf ihn loszugehen, damit er zurückschlagen konnte.

Schnaufend sah Harry sich um. Wo sollte er jetzt hin? Die Nachtruhe würde erst in ein oder zwei Stunden beginnen. Bis dahin bestand überall die Gefahr auf andere Schüler zu treffen. Aber er wollte niemanden sehen. Er wollte mit niemandem reden. Viel lieber wollte er jemandem weh tun. Und wenn es er selbst war.
Innerlich brodelnd eilte Harry durch das Schloss. Er spürte die mittlerweile vertraute Aggressivität in sich hoch kochen, die ihn immer dann überfiel, wenn er nicht mehr wusste, wohin mit sich. Wie oft hatte sie ihn schon dazu gebracht, Dinge zu zerstören oder durch die Gegend zu werfen? Einmal hatte er es geschafft, sich mit Ron zu prügeln, was ihnen nicht nur jeweils ein blaues Auge und eine aufgeplatzte Lippe, sondern auch mehrere Stunden Nachsitzen eingebracht hatte.
Rücksichtslos rempelte Harry jeden an, der ihm entgegenkam und nicht schnell genug zur Seite wich. Es bereitete ihm eine grimmige Genugtuung. Hier hatten sie ihren Helden. Den auserwählten Retter..!
Immer mehr steigerten Harry sich in seine Wut hinein und niemand wagte es, sich ihm in den Weg zu stellen. Bis ihn plötzlich jemand hart am Arm packte und in eine der Fensternischen zog. Harry keuchte auf und griff reflexartig nach seinem Zauberstab. Bevor er ihn allerdings zu fassen bekam, fand er sich bereits unsanft gegen die Mauer gedrückt wieder.

„Potter!"
Zum ersten Mal sah Harry auf und erblickte seinen Angreifter.
„Malfoy!"
Der Blonde grinste, ohne Harry loszulassen.
„Lass mich gefälligst los! Was soll der Mist?" Verärgert versuchte Harry sich aus Draco Malfoys Griff zu winden. „Potter!", raunzte dieser so ungehalten, dass Harry tatsächlich überrascht innehielt. „Reiß dich gefälligst zusammen! Du lieferst der ganzen Schule gerade die perfekte Nachkriegs-Show mit ihrem kaputten Helden in der Hauptrolle."
„Was geht dich das an? Wieso mischt du dich da ein?!" Mit einem energischen Ruck gelang es Harry endlich, sich von Draco loszureißen.
„Potter!", schnauzte er erneut und ballte die Fäuste, als könne er sich nur mit Mühe davon abhalten, Harry zu schlagen. „Setz. Dich. Hin. Sofort!" Bei diesen Worten wurde der Blick aus den grauen Augen so hart und unnachgiebig, dass Harry nicht anders konnte, als zu gehorchen.
„So ist es brav. Und jetzt atmest du tief durch und kommst erst wieder raus, wenn du wieder normal bist."

Mit diesen Worten drehte Draco sich um und ließ einen verwirrten Harry zurück, ohne sich noch einmal umzusehen.

Let's Be Alone TogetherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt