Ich grübelte noch lange, woher ich die Männer kannte, denn ihre Gesichter ließen mich nicht los. Sie hatten mich zwar nicht einmal angeschaut, geschweige denn mit mir gesprochen, allerdings hatte ich das Gefühl, ihre Stimmen in meinem Kopf nachklingen zu hören und ihre Blicke, kalt und unfreundlich, wenn nicht schon böse, in meinem Rücken zu spüren.
Ich starrte eine Weile an die Decke und versuchte meinen Kopf wieder klar zu bekommen und an etwas anderes zu denken, bis ich aufgab und entschied meine Familiengruppe zu besuchen.
Seit ein paar Monaten lebte ich in meinem eigenen Zimmer. Ich hatte vor einigen Monaten Geburtstag und wurde zu einer Sechzehn. Der sechzehnte Geburtstag war im Zentrum der einzige, der wirklich gefeiert wurde. Zwar bekam man zu jedem Geburtstag eine neue Uniform in einer anderen Farbe, aber mehr war auch nicht.
Der Sechzehnte war allerdings anders: Man bekam auch eine neue Uniform, allerdings nicht mehr in einer Farbe, die das Alter kennzeichnete, sondern in einer Farbe, die den Stand, also die Berufsgruppe kennzeichnete. Meine war dunkelblau, denn ich wurde zur Lehrerin ausgebildet und diese waren sehr angesehen, weil sie klug waren und Einfluss auf die Kinder hatten. Aber die Uniform war nicht das einzige, was sich an seinem sechzehnten Geburtstag änderte. Bis zum sechzehnten Geburtstag lebte man mit seiner Familieneinheit zusammen in einem Apartment. Mit sechzehn musste man allerdings ausziehen in ein eigenes Zimmer.Meine Familieneinheit bestand aus meine Mutter, meinem Vater und meiner Schwester. Natürlich war ich nicht mit ihnen verwandt, denn im Zentrum wurden die Kinder künstlich gezeugt um eine Überpopulation zu verhindern und Erbkrankheiten auszurotten. Als Paar bekam man Kinder zugeteilt. Auch den Partner konnte man sich nicht frei aussuchen, denn man bekam denjenigen zugeteilt, der laut verschiedenen Tests am besten zu einem passt.
Aber auch wenn ich nicht wirklich mit ihnen verwandt war, hatte ich sie alle sehr gern, besonders meine Schwester June war mir in den Jahren, die wir zusammen gelebt hatten sehr ans Herz gewachsen und ich vermisste sie enorm. Mit ihr hatte man immer viel Spaß, weil sie stets fröhlich war und allen Menschen Witze erzählte, von denen sie immer die Pointe vergas, was aber so lustig machte, dass man sich wegschmiss vor Lachen.
Ich machte mich auf den Weg zum Apartment meiner Familieneinheit, das leider in einem anderen Sektor des Zentrums lag, bei den anderen Familien-Apartments. Es war ein recht weiter Weg von mir zu ihnen, ich musste durch drei verschiedene Sektoren laufen und diverse Sicherheitstüren passieren, an denen jeweils mein Gesicht gescannt wurde um zu überprüfen, ob ich befugt war, den Sektor zu betreten. Noch war ich das, denn das Privileg, seine Familieneinheit zu besuchen, hatte man nur in den ersten zwei Jahren, in denen man alleine wohnte. Aber selbst in dieser Zeit wurde es eigentlich auch nur geduldet und nicht mit Begeisterung gesehen, da wir möglichst schnell selbstständig werden sollten.
Nach einer gefühlten Ewigkeit und zehntausend Sicherheitskontrollen kam ich endlich an. Die Gänge hier sahen zwar fast identisch aus, wie die in meinem Sektor, aber dennoch überkam mich ein vertrautes Gefühl nach Geborgenheit und obwohl ich hier war überkam mich das Heimweh.
Ich versuchte mich zusammen zu reißen und ging die letzten Schritte zu meiner Lieblingstür im ganzen Zentrum. Vor der Tür blieb ich stehen und wartete darauf, dass sie sich öffnete, bis mir einfiel, dass mein Gesicht nicht mehr als Bewohner dieses Apartments gespeichert war und ich wohl oder übel darauf warten musste, dass meine Anwesenheit im Apartment von der Erkennung auf dem Benachrichtigungsmonitor gemeldet wurde und mir jemand manuell die Tür öffnete.
Ich brauchte zum Glück nicht lange warten, denn nach nur ein paar Sekunden ging die Tür auf und ein über beide Ohren strahlendes kleines Mädchen mit dunkelbraunen Haaren und funkelnden grünen Augen stand vor mir.
„June!", rief ich freudig aus, nahm meine kleine Schwester in den Arm, hob sie hoch und wirbelte sie einige Runden durch die Luft. June lachte laut und taumelte mit einem Drehwurm in das Apartment zurück, mich an der Hand hinter sich herziehend. Ich schnaufte noch ein wenig von diesem Kraftakt (ein siebenjähriges, spindeldürres Mädchen ist aber auch verdammt schwer!), aber auch ich lachte ausgelassen und meine Laune stieg, wenn das überhaupt noch möglich war, noch weiter, als ich meine Eltern am Gemeinschaftstisch sitzen sah.
„Ivy", sagte Mutter überrascht, aber mit einem seltsam bedrückten Unterton in der Stimme. Konnte es sein, dass nicht nur ich etwas sehnsüchtig in die Vergangenheit schaute?
„Wie geht es dir?", fragte mein Vater, „Hast du dich denn schon gut eingelebt?"
„Mir geht es gut", antwortete ich, wie bei jedem Mal, wenn ich hier war und er mich das fragte.
Meine Schwester tanzte immer noch völlig aufgedreht um mich herum: „Spielst du etwas mit mir?", bettelte sie und schaute mich aus ihren riesigen Augen an, so niedlich, dass man ihr diese Aufforderung beim besten Willen nicht abschlagen konnte.
„Was möchtest du denn spielen?", fragte ich. Sie schaute fragend zu unserer Mutter und fragte sie, wie viel Zeit sie noch habe, bis sie zum Unterricht musste. Es stellte sich heraus, dass wir noch ca. eineinhalb Stunden hatten, bis ihr Unterricht begann und ich mich auch auf den Weg zur Ausbildung machen musste. Nach einiger Bedenkzeit entschied June sich schließlich, dass sie mit mir in den Sport raum gehen wollte, in dem man immer viele Kinder antraf. Vielleicht war das ja gar keine schlechte Idee, so unausgelastet sie war.Im Sportraum waren viele Klettergerüste, Seile hingen von der Decke und alles war sehr farbenfroh, ganz anders, als im Sportraum der Sektoren, in denen keine Kinder lebten. Ich hatte Recht behalten. Im Raum waren viele Kinder, die sich durch die Gerüste hangelten, auf Matten kugelten und sich gegenseitig versuchten zu fangen.
Kaum hatten wir den Raum betreten, war June auch schon losgedüst und ich stand an der Wand neben der Eingangstür und beobachtete sie, wie sie mit den anderen Kindern zusammen spielte. Ein breites Grinsen zeichnete sich in meinem Gesicht ab, weil ich es liebte, wenn June so glücklich war. Ich stellte mir vor, June sei ein kleines Äffchen, dass sich durch Baumkronen schwang, statt durch Plastikstangen, so wie es in den Schulbüchern beschrieben war, doch diese Vorstellung unterdrückte ich schnell wieder, denn ich hatte Angst, dass man mir ansehen konnte, dass ich gerade rumfantasierte.Nach einiger Zeit kam meine Schwester fix und fertig zu mir und forderte mich auf mitzuspielen und ich zwängte mich wiederwillig durch die für meine Körpergröße viel zu niedrigen Kletterstangen und tat so als wäre ich viel langsamer als June als wir fangen spielten. Es machte Spaß, auch wenn ich mich albern fühlte zwischen den ganzen jüngeren Kindern. Nach ca. einer Stunde machten June und ich uns völlig geschafft auf den Rückweg zu ihrem Apartment.
Ich hatte nicht mehr so viel Zeit und wollte mich noch frisch machen, bevor ich zur Ausbildung musste, weshalb ich mich hastig von allen verabschiedete und zurück in mein Zimmer lief.
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Metropolis
Teen FictionIvy dachte, sie wäre ein ganz normales Mädchen in Zentrum B6953, doch eines Tages fing sie an zu träumen, was in ihrer Gesellschaft eine große Gefahr barg, denn träumen hieß, dass man Fantasie hatte und Fantasie galt als Krankheit. Ein paar Jahre sp...