Kapitel 3

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Die Tochter Kaeshs

          Dachte Irina an ihr erstes Treffen mit Kerim zurück, musste sie bitter auflachen. Sie hatte sich damals ernsthaft Sorgen um sein Wohlergehen gemacht, anstatt ihre Schafe einzupacken und zwei Wochen Berg-Urlaub dran zu hängen.

Und jetzt saß sie mitten im Westen des Landes und probierte verzweifelt Feuer zu machen, mit zwei nassen Holzstäbchen, die sich zwischen ihren Fingern verbogen. Sie waren ganz offensichtlich genauso wenig begeistert von ihrem Schicksal, wie Irina selbst und sie konnte es ihnen noch nicht einmal übelnehmen.

Kerim saß nur wenige Meter entfernt und konstruierte eine Falle, in die vermutlich kein Kaninchen, aber umso wahrscheinlicher Irina im Dunkeln, tappen würde. Es war die Dritte an diesem Tag. Lehnte sie sich ein Stück zur Seite, konnte sie ihm über die Schultern schauen und zusehen, wie geschickt seine Hände die Fäden verknüpften.
Wieso verschwendete er sein gesamtes Geschick an die Schwertschwingerei? Nicht, dass ihn das irgendwo anders, als in problematische Situationen gebracht hätte, doch er klammerte sich an dem Metallding fest, als wäre es alles, was ihn noch zusammenhielt. Auch jetzt lag es griffbereit neben ihm im Moos.

Versuch es.', die Stimme in ihrem Kopf war leise- außer Atem. Auch das fremde Mädchen hatte Angst vor Kerim. Jeder hatte Angst vor Kerim. Vermutlich auch die Tiere, weswegen er sich kein Lastpferd gestohlen hatte, sondern sie selbst die ganzen Beutel tragen musste. Noch nicht einmal die Schafe hatte sie damals mitnehmen dürfen!

Langsam sah Irina auf ihre Hände hinunter, die gestern ein riesiges Biest mit Steinen beworfen hatte. Wenn sie es mit diesem Mistvieh aufgenommen hatte, warum nicht mit einem richtigen Monster?
Langsam ließ sie die Stöcke sinken und erhob sich vorsichtig. Kerim bemerkte es nicht. Behutsam machte sie einen Schritt auf ihn zu. Ihr Herz schlug lauter.

Hör auf zu atmen', wies das Mädchen sie an. Irina hätte sie fast verschluckt.
Klar. Noch irgendwelche Wünsche? Wie wäre es mit einem akadischen Volkstanz, wenn sie grad schon dabei war?
Widerwillig konzentrierte sie sich wieder auf Kerim und tat einen weiteren Schritt.
‚Fühle den Boden unter den Füßen, damit du keinen Laut machst. Bewege deine Muskeln sanft und gleichmäßig.'

Woher kannte sie bloß all diese Lehrsätze? Es hatte sie allein zwei Jahre gekostet, die Namen all ihrer Schafe auswendig zu können.
Schafe.
Der Gedanke an ihre Wollköpfe beruhigte ihren Herzschlag. Sie waren immer friedlich und ruhig und-...
KONZENTRIERE DICH! Du pirschst dich hier an kein Lamm, sondern einen Wolf an!', das Mädchen in ihrem Kopf hatte kein Gefühl für Schafe.

Vorsichtig tat Irina noch einen Schritt und stand nur einen Meter von Kerims Rücken entfernt. Sie atmete langsam ein.

„Ein Fluchtversuch? Ehrlich? Schon wieder? Haben dir die letzten Fünf nicht gerecht?", seine Stimme klang so flach, dass Irina nicht sagen konnte, ob er über sie spottete oder sie gleich zerfetzten würde. Er drehte sich nicht einmal zu ihr um. Dennoch gefror ihr Blut zu Eis. Langsam zuckte sie mit den Achseln, bis ihr einfiel, dass er das gar nicht sehen konnte.

„Ich...", stammelte sie, „Ich kann mit dem Holz kein Feuer machen und ich..."

Stürz dich auf sein Schwert!', johlte die Stimme in ihr auf und vor Schreck machte Irina einen unbeholfenen Schritt auf das Metallding zu, stolperte und landete genau darauf. Kerim, der immer noch an seiner Falle gebastelt hatte, fuhr herum.

Doch schon rollte Irina auf den Rücken und versetzte ihm mit ihrem Knie einen Stoß, sodass er rückwärts in die eigene Falle trat. Ein Seil zog sich um seine Füße zusammen und fesselte ihn an Ort und Stelle.
Hastig kam Irina auf die Beine, während Kerim fluchend begann an dem Knoten zu ziehen.

Wolf's Shepherd - Regenbogenaward EintragWo Geschichten leben. Entdecke jetzt