Kapitel 5

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Die Hexe aus Kaesh


 Kerim brüllte wie ein Stier, dem man eine Lanze in die Flanke gestochen hatte. Mit all seiner Kraft warf er sich auf die zwei Soldaten, die ihn links und rechts flankierten. Einer von ihnen stolperte gegen Irina, die erschrocken zu ihrem eigenen Wärter zurückwich.

Das ging nun schon fast eine Woche so. Kerim fluchte, verteilte Kopfnüsse und Tritte, als kenne seine Kraft keine Grenzen. Auch jetzt schaffte er es, einem der Wachen den Ellenbogen empfindlich gegen die Nase zu rammen und für einen kurzen Moment war er frei.
Ohne nach links oder rechts zu schauen, stürzte er nach vorne auf eine der großen Türen zu, die Irina merkwürdig bekannt vor kamen.
Der Kerl ist wahnsinnig.

Doch schon im nächsten Moment hatten ihn einer der Soldaten wieder eingefangen und ruckte heftig an den Fesseln, um Kerim unter Kontrolle zu bekommen.
‚LOS! Stürz dich auf ihn! Trete ihm mit aller Wucht in die-...', grölte das Mädchen neuerlich los, unterbrochen von Irinas hektischem Kopfschütteln.
Auch das ging schon seit fast einer Woche so. Sie war Feuer und Flamme für Kerims Plan sie beide als Fleischbrei am königlichen Palast von Kaesh ankommen zu lassen.

Und selbst jetzt, da sie vor der geschlossenen Türe des Thronsaals warten sollten, kannten die Beiden nichts anderes, als Irina die letzte Konzentration zu rauben.

Auch ein zweiter Soldat erreichte Kerim und versetzte ihm einen so heftigen Schlag auf den Kopf, dass dieser erschlaffte und gegen den Anderen sackte. Gemeinsam trugen die Männer ihn zurück zu Irina, die ihn aus mitleidigen Augen musterte.

Wie konnte er immer noch so kämpfen? Es war zu spät.

Er weiß, dass er nicht mehr lebend aus diesem Land kommen wird', erklärte das Mädchen und tatsächlich schlich sich so etwas wie Bedauern in ihre Stimme.

Eine Gänsehaut bildete sich in Irinas Nacken. Natürlich kannte sie Kerims Geschichte. Es hatte für einen Winter lang kein anderes Thema in ihrem Dorf gegeben.
Ein junger Mann, der die Königin von Kaesh ermordete, indem er Wölfe auf sie hetzte und bei seiner Flucht die Prinzessin als Geisel mitgenommen hatte.
‚Zumindest Letzteres können wir sicher ausschließen, denn die einzige Prinzessin, die ich in unserem Dorf gesehen habe, ist Aleila', dachte Irina bei sich, die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen.

Er hat nicht die Königin umgebracht. Aber das ist ein verlorener Fall. Wenn wir ihn zurücklassen, werden sie uns vielleicht nicht verfolgen!', hielt das Mädchen aufgebracht entgegen. Ihre scharfen Worte ließen Irina zusammen zucken. Sie konnte ihn nicht hier lassen.

‚Da drinnen wird er als Unschuldiger zum Tode verurteilt-...', setzte sie an.
‚Und schlimmere Dinge werden folgen, wenn die falschen Personen UNS hier sehen!', zeterte das Mädchen.

Die Hilflosigkeit, die sich über sie gelegt hatte, drängten sie an den Rand von dem, was sie ertragen konnte. Nicht einmal mit Kerim alleine hatte sie sich so schrecklich gefühlt.
Mich kennt hier niemand', erwiderte Irina leise. Ihre Sorge galt allein dem bewusstlosen jungen Mann, dessen blasse Haut sich inzwischen über scharfe Wangenknochen spannte.
Glaubst du', hielt das Mädchen dagegen, doch bevor Irina nachfragen konnte, wurde die Tür vor ihnen geöffnet und der gesamte Thronsaal wurde für sie sichtbar.

Das flaue Gefühl eines Déjà-vus beschlich sie, doch ihr blieb nicht die Zeit, den Ursprung dieser Regung zu erkunden. Grob wurde sie nach vorne gestoßen und ein Unbekannter schüttelte Kerim so lange, bis er wieder zu sich kam.

‚Ich flehe dich an, dreh um, bevor uns jemand sieht!', flüsterte es in ihren Kopf.
Irina konnte die aufrichtige Angst in der Stimme des Mädchens hören. Sie würde niemals vorschlagen einen Unschuldigen seinem Schicksal zu überlassen, wenn sie nicht von vollkommener Panik getrieben wäre.
Doch das machte alles nur schwieriger.

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