Auf den Gehstock stützend geht Herr Brown weiter. Seine Frau folgt ihm. An diesem letzten, vierten Tag haben beide beschlossen durch den Wald spazieren zu gehen. Insgeheim hofft Herr Brown noch immer, dass der Pfleger im Krankenhaus sich geirrt hat. Aber er versucht sich nicht davon ablenken zu lassen. Diesen Tag muss er genießen!
Sie unterhalten sich über alle möglichen Themen. Wie sie sich kennengelernt haben, welches ihre besten Erfahrungen sind. Und während sie so gehen wird die Luft kälter und der Wind raschelt durch die Blätter. Einige von ihnen fallen ab. Rote, gelbe und braune schweben auf den Boden hinuter.
Wenn jetzt die Zeit stillstehen würde..., denkt Herr Brown. Doch das kann sie nicht und das weiß er.Eine Bank taucht auf. Sie steht am Wegesrand in mitten bunter Bäume. "Setzten wir uns?", fragt Frau Brown.
Er nickt und sie begeben sich zur Bank. Herr Brown gibt ein lautes Stöhnen von sich, als er sich setzt. Seine Frau gleitet auf den Platz neben ihm und legt ihren Kopf an seine Schulter. Dann beginnt Herr Brown den nackten Kopf seiner Frau zu streicheln. Er bemerkt, wie sie die Augen schließt. Sie scheint es zu genießen.Einige Minuten sitzten sie da. Beiden ist das Schweigen unangenehm, aber keiner weiß, worüber sie sprechen sollen. Frau Brown öffnet wieder ihre Augen. Zufrieden betrachtet sie die herabfallenden Blätter.
"Wir sind wie diese Blätter", sagt sie auf einmal, "zuerst wachsen wir und brauchen den Schutz unserer Familie. Dann verändern wir uns, werden erwachsen, so wie es die Blätter tun, wenn sie ihre Farbe ändern." Sie seufzt. "Und letztendendlich sind wird alt genug um zu fallen. Die letzten Tage des Lebens sind wie der Flug eines Blattes auf den Boden. Wir erleichtern uns von unseren Sorgen und schweben in eine andere Welt. Die Blätter verwelken nach einiger Zeit und zerfallen. Wir werden vergessen. Mit jeder Generation, die stirbt wird eine neue geschaffen, eine die nichtmal unsere Namen kennt.""So poetisch kenne ich dich ja garnicht", sagt ihr Mann verblüfft.
"Vielleicht, aber die Poesie ist für mich wie die Natur. Ungreifbar und doch so nah."
"Wenn du meinst", murmelt er. Für ihn ist Poesie immer nur eine Aneinanderreihung verschiedener Wörter, aber wenn seine Frau sie mag, dann tut er es auch.
"Ja, die Poesie spricht aus meinem Herzen", entgegnet die Frau verträumt.
"Und du sprichst aus meinem", verrät Herr Brown ihr, "ich liebe dich!"
Seine Frau setzt sich gerade auf. "Ich dich auch. Von ganzem Herzen! Die letzten Tage waren die schönsten, die ich je erlebt habe."
Dann beugen sie sich beide vor. Der Mann legt seine Arme um ihren Hals und die Frau platziert ihre Hände auf den Wangen des Mannes, um ihn an sich heran zu ziehen. Ihre Lippen scheinen trocken, denkt der Mann, als ihre die seinen berührten. Aber das ist egal. Einzig und allein zählt, dass sie zusammen sind. Für immer.Nach einer gewissen Zeit findet der Mann, dass der Kuss lang genug ist. Er zieht seinen Mund weg.
"Liebling, ich-", setzt er an. Doch in diesen Moment merkt er, dass seine Frau ihn nicht loslässt.
Ihre Augen sind geschlossen und ihre Gesichtsmuskeln kein bisschen verzogen. Herr Brown bekommt einen Schrecken. NEIN, denkt er, nicht hier, nicht jetzt. Er fühlt ihren Puls. Nichts.
Die Ärzte hatten Recht. Seine Frau ist gestorben. An einer Krankheit, an einer unheilbaren Krankheit!
Er begann zu weinen. Nie wieder würde seine Frau lachen oder ihn umarmen. Nie wieder würde sie bei ihm sein. "Wir erleichtern uns von unseren Sorgen und fliegen in eine andere Welt", zitiert er sie und flüstert diese Worte leise in ihr Ohr.
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Herbstblattfarben
Short StoryEr ist 87, sie ist 83. Er ist kerngesund, sie hat Krebs. Er hat noch lange Zeit zu leben, sie noch vier Tage. Und die will er zu den wunderbarsten ihres Lebens machen. ~In der Hoffnung, dass irgendwo ein bisschen Menschlichkeit zu finden ist~ ->Ei...