I. Tag

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Wohin? Das ist ein gute Frage. Wir haben noch so viel, was wir machen wollten und jetzt? Der Krebs hat unser Leben zerstört. Vor einem Jahr hat sie die Diagnose bekommen. All die geplanten Reisen haben sie abgesagt, auf Feiern sind sie schnell wieder gegangen oder haben sich garnicht erst blicken lassen. Andere Menschen starren sie an, lachen sie aus oder bemitleiden sie. Obwohl sie immer will, dass die anderen so tun, als wäre sie gesund. Frau Brown schnitt sich immer mehr von der Gesellschaft ab. Sie hatte Angst vor ihr. An Ende ist ihr Mann die einzige Person, zu der sie Kontakt hat. 'Wenn ich sterbe will ich so wenig Kummer wie möglich hinterlassen' sagt sie immer. Doch die Größe des Kummers, der enstand sie so distanziert zu sehen, ist größer als alles andere.
"Setzen wir uns in ein Eiscafé", schlägt Herr Brown vor. Seine Frau ist einverstanden und so verlassen sie Hand in Hand das Krankenhaus.

Im Eiscafé ist es still. Niemand ist da, bis auf eine schlafende Person an einem Tisch in der Ecke. "Was würden Sie gerne Essen?", fragt eine Kellnerin.
Frau Brown nimmt die Karte und studiert sie genüsslich. In der Zeit bemerkt Herr Brown, wie die Kellnerin seiner Frau auf den Kopf starrt. Sie hat eine Glatze, da all ihre Haare, aufgrund der Chemotherapie ausgefallen sind. Die Augen der Kellnerin werden immer größer, doch als sie bemerkt, dass sie selbst beobachtet wird blickt sie schnell weg.
"Ich nehme einen Milchkaffee und ein Spaghetti-Eis", sagt Frau Brown, "mein Mann nimmt, so wie ich ihn kenne, eine Schokolade und einen Kiwi-Becher!"
Der Blick der Kellnerin wandert zu ihrem Mann. Herr Brown sieht, wie sich Verachtung in ihren Blick schleicht. Trotzdem lächelt er freundlich und nickt.
Dann geht die Kellnerin.
"Hat sie mich angestarrt?", fragt Frau Brown.
Schwerenherzens nickt ihr Mann. "Ja."
"Genau deshalb gehe ich selten wohin. Ich fühle mich falsch. Alle verachten mich, obwohl ich doch nicht einmal etwas dafür kann. Ich bin doch nur eine Last für alle um mich herum", klagt sie.
Energisch schüttelt er seinen Kopf. "Das stimmt nicht. Du bist mein ein und alles. Ich brauche dich, ohne dich... da wäre es nicht wert zu leben." Dann küsst er seine Frau. Lange. Er spürt, dass es ihr besser geht. Sie spührt seine Nähe, jedoch sieht sie nicht, was er sieht: die Kellnerin verzieht angeekelt das Gesicht, schüttelt den Kopf und macht sich dann wieder an die Arbeit.

Nachdem Herr und Frau Brown ihr Eis gegessen haben, bezahlt er und beide verlassen das Eiscafé. Er, mit Trauer über das Verhalten der jungen Frau. Sie, mit Freude darüber, dass sie ihre letzten Tage mit ihrem Mann verbringen kann.

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